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Selbstgespräch des Simon von Kyrcne

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Wie müde ich bin. Die steinigen Äcker Jerusalems machen mir mehr zu schaffen als die rote Erde Kyrenes. Die Hand des Herrn war in der Fremde gütiger als hier im Gelobten Lande. Wie leicht in Kyrene: ein wenig den Boden lockern, den Samen streuen, das Schöpfrad treten, damit das süße Wasser in die Furchen floß — und schon wuchsen die Ähren wie auf der Hand Gottes. Hier aber ist Plage vom Morgen bis zur Nacht. Und doch bin ich glücklich, weil ich im Schatten des Tempels wohnen darf.

Nun kehr ich vom Felde heim. Es ist die dritte Stunde am Rüsttag des Osterfestes. Drei Tage werde ich diesmal ruhn. Wie freue ich mich auf die Kühle des Wassers und den Schatten meines Hauses. Wie inbrünstig will ich den Segensspruch sprechen, ehe ich die Kühle koste, die der Herr in Seiner Güte mit der Hitze zusammen erschaffen hat. — Ob ich aber jemals mein Haus erreiche? Schlimm, das Gedräng und Gewühl! Ich komme nicht voran, ohne meine Ellbogen zu gebrauchen. Liebe Brüder, gekommen aus der ganzen Welt, in der heiligen Stadt das eilige Mahl zu essen, macht einem müden Bauern Platz. Reißt mich nicht mit in euren Strom, nicht dahin zurück, woher ich komme!

Uff, endlich im Ephraimstor. Muß nun die Sandalenmachergasse dort drüben gewinnen und bin aus der Menschenflut. Und aus dem Geschrei, ein Extrageschrei. Ist es die Totenklage um einen, zu dem Jahve noch vor dem Osterfest seinen dunklen Engel sandte? Was schwankt da über den Köpfen? Sind's Balken? Vielleicht baut eine Gilde ihr neues Haus und trägt feierlich die ersten hin. Doch einen Reiter als Herold werden sie sich kaum gestatten können. Und bei der römischen Verordnung tausendunddrei: einen zu Pferde schon gar nicht! Natürlich ist es ein Römer, ein Hauptmann sogar. Und so finstren Gesichts, daß er nur zu (gut weiß, wo seine Leber und sein Magen liegen, oder irgend etwas an seinem Ritt behagt ihm nicht. Hinter ihm ein “Gewoge von Lanzen und Eisenhauben — eine Eskorte. Und nun seh ich, was sie geleitet: Übeltäter schleppen sich da mit ihren Kreuzen. Sicher dieser Barabbas mit seinen beiden Gefährten, die am Laubhüttenfest gefangen wurden. Das ist also das Ende deines so klug geplanten Aufstandes: der Tod am Schandholz. Durch Aufstand kann doch niemals Gutes kommen. Stell ich mir vor: der Weizen meines Feldes wuchs von heut auf morgen plötzlich groß, ganz hoch im Halme stund er da. Was war dann in den Ähren? Nichts, kein Korn! Nun, es wurde durch Barabbas' Schuld viel Leben gewaltsam beendet, da ist es nur gerecht, daß er nicht mehr hat als seine toten Gesellen. Aber*wo ist denn Barabbas —? Die, denen man die Kreuze auf den Rücken band, sind wohl die letzten seiner Freunde. Doch der andere, der schon blutet und dem man ein Geflecht von Dornen um die Stirn gewunden — äh, von Bocksdorn, den ich nur mit Feuer anfasse —, wer ist dieser mit der teuflischen Krone? Sein Gesicht ist blutverklebt und scheint verunstaltet. Selbst Seine Mutter würde den nicht wiedererkennen. Warum führt man Ihm denn einen Esel nach und schreit Hosianna, und prustet vor Lachen und schlägt sich auf die Schenkel? Heißt das: Du Esel Barabbas? Dieses nachgeführte Last- und Reittier erinnert mich aber auch — ja, woran denn nur: Ich hab's: an die Prozession des Propheten Jesus von Nazareth! Aber das kann doch nicht möglich sein, daß Er jenen harmlosen Einzug durch diesen schrecklichen Auszug büßen muß. Der Gleiche, dem das Volk vor wenigen Tagen seine Mäntel auf den Weg gebreitet, vor dem es Psalmen sang und den es mit Jubel überschüttete, wird jetzt vom gleichen Volk verhöhnt und zum Tode geführt? Das verstehe, wer kann. Nach Seinem feierlichen Ritt sah ich Ihn im Tempel wieder, und Er war zornig, wie es nur ein Mächtiger zu sein vermag. Stall, Bank und Bazar habt ihr aus dem Tempel gemacht, so ähnlich zürnte Er und peitschte hinaus, was da im Schatten der Flügel des Herrn reich werden wollte. — Nun ist der Spieß umgekehrt. Man verfährt mit Ihm, so daß man glauben könnte. Er sei den Wechslern zur blutigen Rache ausgeliefert. Und fällt jetzt! Sein Kreuz stürzt über Ihn. Die Dornen verwunden Ihn noch mehr. Man zerrt Ihn wie ein Schlachttier und wütet mit Peitsche und Ruch — aber er tut den Mund nicht auf zur Klage!

Verflucht sollt ihr Henkersknechte sein wegen eurer Grausamkeit! Ich weiß nicht, was dieser verschuldet, aber was ihr Ihm anrechnet, das ist bei Gott zuviel! Und mir gefällt nicht, daß ich das Osterfest feiern darf und dieser soll am Kreuz hängen! Und wenn ihr Besessenen weiter so mitleidlos gegen Ihn seid, dann fällt Er bald wieder und bleibt für immer liegen!

Haben sie das gehört oder an meinem wütenden Gesicht abgelesen? Denn nun halten sie Ausschau, mustern die Menge. Und dieser wilde Bursche da mich! Oh, wie du mich angrinst, du Befehlshaber von Teufeln! Winkst mir auch noch mit der Peitsche — ich mag deine Spaße nicht!

Ich trüge meine Hacke so gut geschultert, da könnte ich bestimmt auch noch mehr tragen? Ein schlechter Witz, hinter dem • sicher noch mehr steckt! Ich trolle mich lieber. Laß los, sage ich! Wie —? Das wagst du mir zuzumuten —? Ich soll diesem das Kreuz schleppen helfen?! Verdammt will ich sein, wenn ich das tu! Denn wer ist hier zum Tode verurteilt — ich oder dieser Jesus von Nazareth? Euer Hauptmann hat sich nicht gerührt, nicht von ihm ist der Befehl! Ich verlange, daß man Pilatus frage, ob ich, der keinerlei Schuld hat, einem Übeltäter, dessen Verbrechen ich nicht einmal kenne, das Kreuz leichter machen muß! Was gehn mich eure Gott und Menschen verachtenden heidnischen Gesetze an! Hier ist nicht fKrieg und ihr könnt mich nicht mir nichts dir nichts in eure Hilfsvölker einreihen! Und was •habt ihr von; einem Hundemüden, der über seine eigenen Beine stolpert? Ich bin ein Bauer, der sich in der glühenden Sonne geplagt, damit ihr zu essen habt! Wie könnt ihr mir dieses antun? Seht ihr denn nicht: das Holz ist schon mit Blut befleckt! Ich werde unrein, sieben Tage lang, und kann das Osterfest nicht mitfeiern. Und der Tempel wird mich geißeln dafür, die Vierzig weniger einen werde ich kosten. Und mit Schande behaftet bin ich alle

Tage meines Lebens, wenn ich das Kreuz eines Verbrechers schleppe—! Fuchtelt nur mit der Peitsche, ich —. Nein, nicht schlagen, nicht schlagen! Ich will es ja tragen, wie ihr befehlt!

Den Balken her und hinweg! Fort aus der Menge, der meine Schmach ein Fest. Aber nun habt ihr euch einen Helfer requiriert und marschiert doch nicht. Ja, ohne diesen Jesus dürfen wir allerdings nicht weiter. Vergeßt ihr Ihn, so wäret ihr fähig, mich zu zwingen, Seine Rolle ganz zu übernehmen. Aber sanfter könntet ihr Ihn aufrichten! Warum seid ihr so schrecklich gegen einen, der guten Willen zeigt, den nur die Kraft verläßt.

Aber jetzt richtet Er sich selber auf und hebt den Kopf. Oh, wie Er mich nun aus Blut und Tränen ansieht! Die blutverklebten Lider Seiner Augen heben sich und ein Blick kommt hervor...! Er, mit dem jeder Erbarmen haben müßte, sieht mich voll Liebe an. Was geschieht mit mir? Verwandelt sich mein Herz, mein Denken? Was es auch sei — trifft eure Peitsche Ihn statt mich, so will ich nicht klagen, weil Sein armer, gepeinigter Leib einen Schmerz weniger hat.

Jetzt müßte es weitergehn. Unsere Treiber schwingen schon wieder die Peitsche. Aber den Nazarener kümmert es nicht. Er wendet sich den Frauen zu. Und nicht nur diese, sondern das ganze Volk wird seltsamerweise sofort still. Und die Henker haben nichts gegen die Pause, die besser zu werden scheint als die von Gebrüll und schweißtreibenden Wutausbrüchen ausgefüllten Aufenthalte.

„Ihr Töchter Jerusalems“, ruft Jesus in die Menge, „weint nicht über Mich, weint vielmehr über euch selbst und eure Kinder!“ — „Zum Kuckuck, warum denn?“ schreit da eine freche Männerstimme, sich zum Anwalt der Frauen aufwerfend.

Jesus sieht nicht hin, und jeder merkt, daß Er nicht dem Schreihals antwortet, sondern einfach fortfährt:

„Denn seht, es werden Tage kommen, an denen man sagen wird: Selig die Unfruchtbaren, die Frauen, die nicht geboren und nicht gestillt haben. Dann wird man den Bergen zurufen: fallet über uns! und den Hügeln: bedecket uns! Denn wenn das am grünen Holz geschieht, was wird dann erst am dürren ge-scheheni''

Noch sind alle stumm. Doch jetzt braust ein Summen wie von einem riesigen Bienenschwarm los. Das alte, gräßliche Lärmen und Schrein hat der Bestürzung und Neugier Platz gemacht.

Wir ziehen weiter. Kein Henker hat Ihn diesmal angetrieben. Jesus von Nazareth hat selbst den Kreuzweg fortgesetzt. Ich folge Ihm auf dem Fuß, den Balken auf der Schulter, und stütze Ihn mit der Rechten.

Aber was werden das für Tage und warum werden sie sein? Weil Du diesen Todesgang tun mußt? Wie grausig müssen sie werden, daß die Unfruchtbaren selig gepriesen werden, weil sie nicht eigenes Fleisch und Blut leiden sehn!

Da meldet sich wieder die freche Stimme und sagt. Du hättest heute nacht vorm Gericht des Großen Rates feierlich beschworen, Du seist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn. Und nur, weil Du Deiner Rolle bis zum Tod getreu bleiben wolltest, sagtest Du Unheil voraus. Ist das die lautere Wahrheit, was Du beschworen, bist Du es wirklich?! Die „Büßer Israels“, die auf alle nützlichen und angenehmen Güter des Lebens verzichtet haben und in der Wüste von Qumram leben, sagen schon lange, der Messias, den Gott Seinem Volke senden will, würde Sein eigener Sohn sein. Und ferner sagen die frommen Wüstenväter von Qumram, daß der Tempel und seine hochmütige und unrechtmäßige Priesterschaft, die die Hauptschuld an der Verkommenheit des Volkes trägt, im Auftrag des Herrn vernichtet werden wird. Nicht zuletzt deshalb haben sie Jerusalem verlassen und leben sie enthaltsam, fleischlos und ohne geistige Getränke, ja sogar ohne Tempel„ Und Du, Jesus, willst der Verheißene sein und gehst jetzt zu Deir1*errr'Vater*:derrf Fferrn der Herfen uiicf Hoch-gebenedeiten, und wirst Ihn bitten, das Volk, das Dich aus seiner Mitte ausgestoßen hat, mit den furchtbaren Tagen, die Du soeben verkündigt hast, zu geißeln? Und kann auch der Sohn Gottes auf keinem andern Weg zu Gott kommen als durch die Pforte des Todes? Aber welche Macht Du besitzest! Warum nur läßt Du sie zu Hause und wendest sie nicht an, jedenfalls nur für andere, doch nicht für Dich! Welche Geheimnisse sind um Dich, dem ich das Kreuz tragen helfe.

Jetzt werden auf langen Stangen Tafeln mit Inschriften vorbeigetragen. Ich kann den Kopf nicht drehn, der Balken verwehrt mir's, sonst könnte ich lesen, was über Deinem Haupt geschrieben stehen wird, Jesus von Nazareth, und wüßte Deine Schuld. Vor dem Zug trägt man sie nun einher. Ob die große Inschrift in der Mitte die Deine ist? Auch sie ist noch ein Geheimnis für mich. Aber dies brennt mich nicht so wie das Geheimnis der Kraft in Dir, die es möglich macht, daß Du nicht klagst und, selber über die Maßen erbarmungswürdig, noch Erbarmen mit andern zu haben.

Ich helfe einem Sein Kreuz tragen und weiß nicht Seine Schuld. loh gehe hinter einem und habe den Kopf da, wo Er den Seinen bald im Tode neigen wird, und weiß nicht, wer Er ist.

Wie schwer ist das Kreuz! Nun tragen es zwei, und ich bin es, der Heile, Gesunde, der seufzt. Wenn ich mir doch den Schweiß von der Stirn wischen könnte! Ich kann nicht und darf nicht. Der Balken würde kippen und des Schmerzensmannes Schulter es fühlen.

Da schreitet mit uns das Volk und bezahlt mit seinem Schweiß ein Schauspiel voll Blut und Grausamkeit. Dort drüben ist mein Feld, auf dem ich sonst meinen Schweiß vergieße. Aber jetzt begreife ich erst, daß Gott der Herr auch gemeint haben kann, man solle nicht nur sein Brot, sondern auch seine Freude mit feuchtem Angesichte essen. Meine Freude aber heißt: diesem Sein Kreuz tragen helfen!

Und da kommt nun Golgotha, der weiße Hügel, auf dem es dunkel wird für diese drei. Schon fliegen Geier drüber hin. Die Henker gehen hier, die Totengräber warten da.

Der Schmerzensmann zuckt. Es durchlief selbst den Balken. Er wendet den Kopf. Wohin blickt Er, weg von Golgotha? Will Er den Hügel, der einem Schädel gleich, nicht sehn, bevor Er oben? Und wer kniet dort am Weg? Ein Weib — im Schmerz noch eine Königin! Es kniet im Staube und breitet stumm die Arme — ja, so breiten Mütter die Arme nach ihren Söhnen aus. Er kann die ihren wohl sehn, aber sie ihres Sohnes Augen nicht. Sollten sie Seine Mutter weniger beschenken als mich?

O Mutter dieses Todgeweihten, wenn ich deinen Schmerz mittragen könnte, wie ich deinem Sohn das Kreuz tragen helfe. Keine Träne rollt deine Wangen hinab. Das feurige Schwert des Entsetzens in deinem Herzen frißt die Tränenflut. Und dein Sohn — ruhig trägt Er das Kreuz; ich fühle kein Zucken mehr. Wenn ich nicht Sein Haupt zu dir hingewendet sähe, noch jetzt zu dir hin, da wir schon ein ganzes Stück an dir vorüber sind - ich wollte glauben, du hättest ein Herz von Stein ge“boren.

Und so trage ich nun ein Kreuz. Ich gehe in den Fußstapfen eines Delinquenten, schlucke den Staub, den Seine taumelnden Füße aufwirbeln, und bin Ihm nicht gram darum. Meine

Schulter schmerzt, aber ich klage nicht. Die Sonne macht die Straße zu einem Feuerofen. Mich dürstet, und der Schweiß brennt und die Fliegen-plagen mich — aber ich fluche nichti Wie kommt es, daß ich so wie mein geduldiger Vordermann bin? Nie schleppte ich ein schwereres Gerät als dieses. Aber mir ist, als trüge ich durch meine Mühe ein Geringes bei zu einem Tun, wovon die Welt anders wird, so wie ich anders geworden bin.

Selig bin ich, daß ich diese Mühsal ertragen darf!

Selig, daß mir diese Schmach angetan wurde!

Ihr könnt es getrost ans Kreuz schreiben, daß ich es mitgetragen habe! Ja, sehreibt meine Schmach mit daran und größer als die angebliche Schuld dessen, der daran bluten wird — alle sollen es wissen, die Vorübergehn.

Denn was euch Schande, ist mir Ehre. Was euch ein Fluch, ist mir Segen und Gnade — und weiß ich auch nicht, warum ...

Aus „Die Marter des Herrn“, Martin-Verlag, Buchein

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