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Senor Fragezeichen

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„Komm, Juanito, spring über die Mauer, mach es mir nach!“ So lautet der Text zu einer Karikatur, die in dem Witzblatt „Cachafu“ („Altes Schießeisen“) von Santo Domingo erschien. Juanito — das ist der neue, erst wenige Wochen amtierende Staatspräsident der Dominikanischen Republik: Juan Bosch; der zu ihm spricht, ist Fidel Castro, und die Mauer ist die Berliner Mauer, auch in Lateinamerika das Symbol der Trennung zwischen der kommunistischen und der demokratischen Welt.

Das Witzblatt hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn nicht allein in der Dominikanischen Republik, nein, in ganz Amerika, von Alaska bis Feuerland, und selbst in Europa, wo man den Zuständen in Spanisch-Amerika notgedrungen immer mehr Aufmerksamkeit schenkt, fragt man sich besorgt, ob der neue Herr in Santo Domingos Kapitol, der bei seiner Amtseinsetzung so feierlich gelobte, daß, „solange wir regieren, die Freiheit in der Republik nicht untergehen wird“, mit den eiskalten Augen unter der hohen Stirn, dem weichen Mund, der aber so selten lacht, nicht sehr bald schon Waffen-und Weggefährte des bärtigen Desperados von Havanna sein wird. Schrieb er denn nicht — es ist nur ein paar Jahre her —, daß „die Castristische Revolution eine wahrhaft demokratische Revolution ist“, und daß „Lateinamerika in ihr ein Vorbild, dem nachgeeifert werden muß, hat“? Freilich, so urteilte Juan Bosch, als Castros Farbe olivgrün — wie die Uniform seiner Partisanen im Kampf gegen den Diktator Batista —, noch nicht rot war. Aber warum sollte denn nicht auch J. B., dessen Farbe heute demokratisch schimmert, sich chamäleongleich verfärben?

Die „Tutumpotes“ von Santo Domingo, die Vermögenden und Einflußreichen, nehmen es fast als sicher an, und in Washingtons Staatssekretariat hält man es nicht für unmöglich. Aber die Tutumpotes sind durch Bqschs Wahlschlager, „Verguenza contra dinero!“ — „Anstand gegen Geldl“ — verschreckt worden, brachten, was sie an Bargeld hatten, nach Nordamerika in Sicherheit und fürchten nun, daß man ihnen ihren Landbesitz beschneiden, ihre Fabriken nationalisieren werde.

Warnsignal Kuba

Die Bosch aber aus der Nähe kennen, Venezuelas Staatspräsident Betancourt, Orlich, Präsident von Kostarika, und die vielen, die 25 Jahre lang das Exil mit ihm teilten, sind völlig überzeugt, daß J. B. niemals zum Kommunisten würde. Vielerlei spräche dagegen:

Da ist einmal die dominikanische Armee, 25.000 bis 40.000 Mann stark — genaue Zahlenangaben sind nicht die größte Tugend von Santo Domingos Amtern —, konservativ und versehen mit „Beratern“ der US-Army. die nach den bösen Erfahrungen auf Kuba zu verhindern wissen dürften, daß die DR nach links abrutsche. Da sind die Massen der Dominikaner, die eben erst den „Calies“ und „Paleros“, den Sblrren einer 31jährigen eisernen Diktatur entrannen und recht gut wissen, daß auf der Nachbarinsel Kuba die „Mili-cianos“, Schergen in anderer Uniform, fremde Soldaten — und Hunger herrschen, so daß ihnen die Lust zur Nachahmung gründlich vergangen ist.

Doch mehr als der Respekt vor der Armee, mehr noch als die Rücksicht

Überwundene Röteln

Dem im kommenden Juni Vier-undfünfzigjährigen ist es nicht an der Wiege gesungen worden, daß er einmal Staatsoberhaupt seiner Heimat würde. Die kleinbürgerlichen Eltern bestimmen ihn zur kaufmännischen, seine Neigungen zur literarischen und politischen Laufbahn. 1937 muß er, ein „Don nadie“, ein Herr Niemand, sein von Trujillo geknechtetes Land verlassen. Natürlich kommt er im Exil mit allen möglichen politischen Kreisen in Berührung, und natürlich infiziert er sich zeitweise mit den marxistischen „Röteln“, was sich noch jetzt in der Zusammensetzung seiner von ihm 1939 gegründeten „Dominikanischen Revolutionspartei“ („Partido Revolucionario Do-minicano“), heute die weitaus mächtigste Partei der DR, widerspiegelt. Doch er erlebt Betancourt als kommunistischen Präsidenten von Venezuela und Betancourt als reformistischen Demokraten; er lernt die Tragödie der Wandlung Castros aus nächster Nähe kennen. Außerdem bringt er eine zutiefst christliche Grundstimmung mit.

Diese Faktoren bestimmen ihn mehr als anderes zum Demokraten, dieses Wort in seiner ursprünglichen Bedeutung, nicht in seiner volksdemokratischen Verballhornung verstanden. So kommt er 1961 in die Heimat zurück und wird zu einem Sänger des demokratischen Mythos. Seine Reden — J. B. versteht es, tropisch-üppige Formulierungen zu bieten — sind eine einzige Lobdichtung auf die Demokratie und die demokratische Zukunft seines Landes.

Der Kamerad mit der Straßenwalze

Diese Art war es, die das dominikanische Volk erwartete. Doch noch weiteres erwartete das Volk, und Bosch versprach es ihm: Land für 70.000 Bauernfamilien, Land, das niemandem weggenommen werden muß, sondern Trujillo gehörte und heute somit dem Staat, ferner Arbeit für alle und gerechten Lohn.

Freilich, der Sozialreformer und der demokratische Seher sind nur zwei Aspekte der komplexen Persönlichkeit Boschs. Der andere J. B. ist ein gewiegter Demagoge, der zu den Bauern geht, sich in ihre Hütten setzt und bittet: „Gebt mir was zu essen, ich habe das Stadtessen satt“, und der — überzeugter Antialkoholiker — mit den einfachen Leuten so tut, als ob er wie sie ein Verehrer des Nationalgetränks, des Rums, wäre. Der es sich ferner verbittet, als Exzellenz angeredet zu werden, und wünscht, daß man ihn „Bürgerpräsident“ oder „Companero“, Kamerad (natürlich nicht Genosse), nenne. Solches Verhalten erinnert viele an Janio Quadros, der kurze Zeit Brasiliens Präsident war und als einer der größten Komödianten auf Lateinamerikas politischer Bühne gilt.

Wieder ein anderer Bosch zeigt sich erstaunlich brutal und droht, „seine Gesetzesprojekte mit der auf die Stimmung im Volk sind Werdegang und Persönlichkeit Boschs, so meinen seine Freunde, die beste Sicherheit gegen den „Sprung über die Mauer“.

Straßenwalze“ im Parlament durchzupressen.

Start — nicht ganz geglückt

So viele Wesenswidersprüche warfen sehr bald die Frage in Santo Domingo auf, ob der vorzügliche Wahltaktiker Bosch auch ein tüchtiger Staatspräsident würde und der christlich-humanistische Schwärmer von der Demokratie auch ein demokratischer Staatsmann. Schon in den wenigen Wochen seiner Regierung hat er, unerfahren in politischer Praxis, viele vor den Kopf gestoßen.

Die Aufhebung der Autonomie der Universität, angeblich aus Budgetgründen, hat ihm die Studenten — ein wichtiger, lärmender und schießender Faktor im Staat — zu Feinden gemacht, und sein drastischer Importstop wird der Staatskassa wohl Devisen sparen, jedoch das tägliche Brot verteuern, also Boschens eigenen Anhang, die Masse der Hungrigen, treffen.

J. Bs. politischer Dilettantismus könnte aber mit der Zeit dazu führen, daß linker und rechter Extremismus sich wieder auf die Straße wagen, die gläubige Zuversicht, heute noch ungebrochen, von 600.000 Wählern zu wanken beginnt und die Zahl der Zweifler steigt. „Bosch“, schreibt ein dominikanischer Kommentator, „verstand es, dem Volk Vertrauen zu seiner politischen Geschicklichkeit einzuflößen, ohne gezwungen zu sein, Punkt für Punkt ein Programm aufzustellen, noch sich zur Durchführung eines bestimmten Systems oder einer Theorie zu verpflichten.“ Solch echt amerikanischer Pragmatismus ist gerade in einem amerikanischen Land am Platz, vorausgesetzt, daß er mit Erfahrung gepaart ist. Ist aber Bosch Zeit gegeben, hat er den Willen, sie zu erwerben? „Mister Fragezeichen“ nennt das amerikanische Magazin „Time“ ihn, und ein Fragezeichen ist es in der Tat, das vor der Dominikanischen Republik Zukunft steht.

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