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Sensibel für die Spuren Gottes

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Eugen Biser, Theologe und Religionsphilosoph in München, erhält dieser Tage den Romano Guardini Preis 1997 verliehen. Eine philosophisch-theologische Annäherung.

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Eugen Biser, Theologe und Religionsphilosoph in München, erhält dieser Tage den Romano Guardini Preis 1997 verliehen. Eine philosophisch-theologische Annäherung.

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Wächter, wie weit ist die Nacht?” - Immer hörte er die Frage an sich gerichtet. Das Gegenwärtige abhorchend, zur Gestalt raffend, blickte er angestrengt, bekümmert in die kommende Stunde. Nie war der Boden, auf dem er schritt, sicher; sein vortastender Fuß suchte ihn für die Folgenden betretbar zu machen. Das Christliche wird in Zukunft mit einem Schwund der tragenden Religiosität vorheb nehmen müssen und sich darin in seiner Andersheit zu bewähren haben. Die wirklich rettenden Möglichkeiten liegen im Gewissen des Menschen, der lebendig mit Gott verbunden ist. So wird - wie der Unglaube -auch der Glaube zu einem geschichts-entscheiSenen Faktor. Dieses Anschauen der Welt ist - im Urteil Urs von Balthasars - Romano Guardinis grundlegende Aufgabe. Anschauen ist alles andere als passiv, ist vielmehr angestrengtes Raum-Bieten, sich zur Verfügung stellen für das, was wahrgenommen werden will.

Eugen Biser darf - mutatis mutan-dis - in der geistigen Nachfolge Romano Guardinis gesehen und gewürdigt werden. Nicht die Rewältigung eines Stoffes, wie sie die naturwissenschaftliche Forschung betreibt, sondern die Haltungen des Angerufen-werdens und sich Erschließens, des Lauschens und Sich-Versenkens der Regegnung charakterisieren Eugen Riser. Er ist ein charismatischer Interpret und Vermittler der christlichen Rotschaft, Universitätslehrer, Autor und Prediger, der es meisterlich versteht, Menschen für einen rational verantworteten Glauben zu gewinnen.

Ausgehend von der Analyse einer geistig-religiösen Situation entwickelt Eugen Biser in seinem umfangreichen Werk wegweisende Beiträge zu einer christlichen Anthropologie. Die Gottesfrage und das Gottesbild nehmen breiten Baum in seiner theologischen Arbeit ein. In der gegenwärtigen Glaubens- und Kirchenkrise sieht er nicht nur Zeichen des Niedergangs, sondern entwickelt neue Perspektiven in die Zukunft. Wie kaum ein anderer wirkt er im Geiste Romano Guardinis.

Der Eindruck, den die religiöse Situation heute hinterläßt, ist durchgehend der eines Abbaus. Geisteshistorischen Strukturwandlungen kommt zumeist eine Doppel wertigkeit zu: Sie können nicht nur so und anders gedeutet werden, es kann vor allem der lebendige Mensch in der Situation das eine oder das andere aus ihnen werden lassen. Der schöpferische Griff in das geistige Material der Epoche ist vor allem Sache der Christen. Es gehört zu ihrer Sendung, die Zeit zu deuten und aus dem Angebot der Zeit etwas Christliches zu gestalten. Wenn das Christentum die Herausforderung von Gegenwart und Zukunft bestehen will, muß es um seine Mitte wissen. Die Krise des Christentums heute diagnostiziert Eugen Biser als Identitätskrise. Es befindet sich im Zustand der Selbstvergessenheit.

Eugen Biser promovierte zum Doktor der Theologie bei Bernhard Welte, dem berühmten Freiburger Theologen und Philosophen, der von der Notwendigkeit sprach, den einen Geist des einen Evangeliums in Jesus Christus neu zu vernehmen. Ein solches neues Hören des Alten mit der bewältigten Geschichte und damit auch frei von ihr könnte die Möglichkeit nähren, das Alte und Unvergeßliche in lebendiger Gemeinschaft mit der Kirche durch die Geschichte hin in ein neues Wort, eine neue Sprache, eine neue Gestalt zu bergen und darin zu einer Wiedergeburt zu bringen für die Gestalt der Wahrheit von heute und morgen, in einer Stunde, in der diese neuen Ufern zustrebt.

Nicht im Nachrennen der Zukunft,

nicht in der Fixierung der Gegenwart oder der Vergangenheit, sondern nur im Neugewinn des alten Anfangs durch die verstandene Vergangenheit hindurch kann Theologie und Christentum ihre künftige verstehbare Gestalt gewinnen und das unvergeßliche Erbe der Zukunft einbringen.

Eugen Biser promovierte aber auch zum Doktor der Philosophie. Der Heidelberger Philosoph Karl Löwith, eine der herausragenden Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsphilosophie, war sein Lehrer. Für Löwith's philosophischen Weg erweist sich der lebensbegleitende Bezug zu Friedrich Nietzsche konstitutiv. Eugen Biser legte in den frühen achtziger Jahren in stupender Aufeinanderfolge Arbeiten vor wie „Gottsucher oder Antichrist? Nietzsches pro-vokative Kritik des Christentums” oder „Nietzsche für Christen: eine Herausforderung”.

Wer heute von Gott reden, über Gott nachdenken will, muß sich über eines klar sein: Gott ist unserem Zeitalter fragwürdig geworden. Der Satz ist zweideutig. Er drückt einerseits aus, daß dieses Zeitalter nicht mehr die Existenz Gottes selbstverständlich voraussetzt. Das frag-würdig kann aber auch besagen, daß gerade unsere Zeit veranlaßt ist, mit besonderer Eindringlichkeit nach der Wirklichkeit Gottes zu fragen und zu suchen.

Den gesuchten Identitätsgrund für das Christentum wie für jede andere theistische Religion findet Eugen Biser in seiner spezifischen Schau des Gottesgeheimnisses, das in der von Jesus von Nazareth entdeckten Eindeutigkeit des bedingungslos liebenden Vater-Gottes besteht. Eugen Bisers neuer theologischer Ansatz will eine neue Sensibilität für die vielfachen Zeichen und Erweise der göttlichen Liebe zu entwickeln, zusammen mit einer Hermeneutik, die sich um die sachgerechte Deutung dieser Signale bemüht.

Es ist der Gott, der den Menschen einlädt, sich mit ihm zu verbinden, der aber kein Stück Natur ist und keine fertigen Rezepte verabreicht, die den Menschen seiner Verantwortung entheben. Der Mensch kann zu diesem Gott nur ganz Ja oder ganz Nein sagen. Tändeln kann er nicht mehr mit Ihm. Diesem Aufruf Gehör zu verschaffen ist Sinn und Ziel des philosophisch-theologischen Werkes von Eugen Biser.

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