6663436-1960_20_05.jpg
Digital In Arbeit

Sex frei Haus

Werbung
Werbung
Werbung

Es kommt im wesentlichen auf das gleiche heraus, der Unterschied liegt nur in den wenigen Schillingen in Briefmarken, die sich manche Versandhäuser ausbedingen. Aber dann kommt die Flut ins Haus. Innerhalb weniger Tage türmen sich Prospekte und Flugzettel auf dem Schreibtisch zuhauf, und der vorwitzige Besteller, der sich ohnehin keiner Illusion hingab, daß die Sache sehr harmlos wäre, sieht seine schlimmsten Erwartungen sogar durch die harmlosesten Stücke der eingelangten Sendungen übertroffen.

“zuni“Jüngling“ werden leartn, und in den Rubriken „Korrespondenzen“ und „Heirat“ tut sich allerhand. Unter den Inseratentiteln „Verschieb“ denes“ und „Bücher“ tut sich aber noch mehr. Da wimmelt es nur so von Anpreisungen diverser Schriften, daß gewissen Interessenten der Mund wässern muß. Und sicherlich erwecken diese Inserate auch die Neugier jugendlicher Leser. Der in manchen Ankündigungen enthaltene Beisatz, daß die Zusendung der Prospekte nur bei Altersangabe erfolge, ist eine lächerliche „Sicherheitsmaßnahme“, weil niemand die Altersangabe der Besteller kontrollieren-kann und will. Ob die Ankündigungen, die ins Haus kommen, nicht doch harmlos sind? *

Wir unterzogen uns der Mühe und sortierten die zugegangenen Schriften einer Sichtung und Sortierung.

Einen Teil der Buchprospekte kann man insofern aussondern, als es sich — selbstverständlich entsprechend aufgemacht — um Werke der, Weltliteratur handelt, etwa um Goethes „Römische Elegien“ und „Venezianische Epigramme“, um Villon und Boccaccio. Es fehlt nicht an der vielfachen Versicherung der „literarischen Kostbarkeit“ und der „Vollständigkeit“. Es fehlt auch nicht an „wissenschaftlichen Werken“, die teils durch die Albernheit der Anpreisung (so verschickt eine renommierte Wiener Universitätsbuchhandlung einen Werbebrief unter dem Titel „Liebes Ehepaar“, in dem ein Buch empfohlen wird, das offenbar den Eltern ermöglichen soll, Sohn oder TochteT nach Wunsch zu zeugen, mit dem bezeichnenden Satz: „Die Auflage dieses im besten Sinne lebenswichtigen Werkes ist mit Absicht gering gehalten. Sind doch die Folgen, die aus diesem Wissen entstehen können, noch nicht übersehbar“), teils durch ihre Inhaltsangaben, wir kommen später noch darauf zurück, aufreizend wirken müssen.

Aber beginnen wir mit den Kosmetika. Seitenlange, haarsträubende Ankündigungen. Und die stereotype Schlußformel: „Verwahren Sie, bitte, diese Liste wie auch alle anderen Prospekte vor Jugendlichen!!!!“ Besonders wohlwollende Firmen machen es nicht unter dreizehn Rufzeichen.

Ein anderes Blatt beginnt mit einem reizenden Vorschlag: „Wollen wir wetten, daß es Ihnen in Zukunft gelingt, ein wenig Amor zu spielen?“ Was dann kommt, ist entweder Betrug oder Gemeinheit. „Bieten Sie Ihrem Gast oder Ihren Gästen zur Begrüßung einen ganz besonderen Cocktail an, nämlich . .. Meist genügt schon ein Gläschen, um die Stimmung entsprechend zu korrigieren ...“ Es folgt eine Hexenküche weiterer Elixiere, die, so wird empfohlen, auch an einem Abend der Reihe nach den Gästen verabfolgt werden können: „Na, was sagen Sie zu diesen famosen Stimmungsmachern? Das ist doch genau das, was Sie immer gesucht haben! Sorgen Sie dafür, daß an einem Ihrei nächsten reizenden Abende jeder seine rosarote Brille bekommt!“ Ja. Vielleicht bekommer dann die Gäste zu allen anderen Übeln audh noch eine Schädigung des Augenlichtes dazu angetrunken. Denn wer wird diese Dinge kontrollieren? Zum Glück „beschleunigt Nachnahmeversand die Erledigung Ihref1 Aüfträ'p'rW sc besteht vielleicht auch Hoffnung, daß sich ver-' antwortliche Stellen die „WörilberiutM Rezepte“ einmal unter die Lupe nehmen, voi allem aber die Art der Versendung.

*

Sollte die so animierte und enthemmte Versammlung noch nicht in entsprechender Stimmung sein, kann man mit hübschen Gesellschaftsspielen in kurzer Zeit die allgemein Laune heben. Der diesbezügliche Prospekt beginnt mit einer ganz ordinären Frage, mit einei ebenso ordinären Antwort, und setzt triumphierend fort: „Ja — das ist das neueste Gesellschaftsspiel im intimen Freundeskreis!“ Es handelt sich um „unverschämt freche Fragen, die eine Dame anstatt mit Worten mit Ohrfeiger] beantworten würde“! Ob sich in der Gesellschafl noch jemand findet, der von dem Likör nocli nicht gekostet hat und wirklich mit eine) nüchternen Ohrfeige antwortet?

„Bei diesem Kreuzverhör bleibt kein Auge trocken. Die Damen werden von einer heiklen Situation in die andere manövriert. Bitte, haben Sie Verständnis dafür, daß wir oben die harmloseste Frage abgedruckt haben!“

Wie sieht es eigentlich mit den Antworten aus? Man kann sicher sein, daß keine Frage unbeantwortet bleibt. Enttäuschungen werden mit einer großzügigen Geste weggewischt: „Im Vertrauen eine Frage: Waren Sie nicht auch schon einmal enttäuscht, wenn Ihnen mit geheimnisvoller Werbung ein nichtssagendes Bucn verkauft wurde? Dieses Risiko gehen Sie h i e 1 nicht ein!“

Wie könnte man auch, da doch schon die Titel Welten versprechen. Über paradierende „Gottlose“ aus intimen Pariser „Sittenromanen'V die der „Magie der Geschlechter“ verfallen zu sein scheinen, führt der Weg bis zum „erschütternden Bericht“ über das „Call Girl“, dessen knallgelbes Werbeblatt mit dem pathetischen: „Ich weiß, daß ich ein frei und offen geschriebenes Werk erhalte und werde mich durch den Inhalt des Buches nicht beleidigt fühlen“ schließt.

*

Wissenschaftliche Werke gefällig? Alles da! Aber „keine langweiligen Statistiken, keine unverständlichen Fachausdrücke“! Und zum Beweis der Verständlichkeit wird gleich ein, wie man versichert, unvollständiger (man sieht schon den Zeigefinger: es könnte doch ein Jugendlicher...) Einblick in das Sachregistei gegeben. Es beginnt mit „Bisse, Busen, Ehebruch“ und endet mit „Versager“ und „Zu-gucker“. Auch hier versichert der Bestelle schon bei Bestellung, daß er sich nicht beleidigt fühlen werde, und er müßte schließlich wirklich ein Versager sein, sollte er in das Geschäft pfuschen wollen!

„Da hängt sie nun!“ Wer? Die Versandbuchhandlung? Nein, s i e hängt da „und ihr aufreizender Busen schwebt wie eine trächtige Gewitterwolke im Juli über der Landschaft“, sie heißt „Gail“, avancierte zum Filmstar, und bei Betrachtung ihrer Bilder geschieht es dann. „Halbwüchsigen rinnt ein angenehmer Schauer den Rücken herab, und jungen, neugierigen Mädchen, deren ganzes Seelenleben in den Säften der Pubertät schwimmt (!), dient sie als bewundertes, gehaßtes, nachahmenswertes Vorbild“.

Der Roman befaßt sich mit dem Werdegang des Stars, und sofern man der Versicherung der Inhaltsangabe Glauben schenken darf, war sie „nichts weiter als ein kleines, feiles Straßenmädchen“. Anscheinend der sicherste Weg zum Erfolg. Ob er jugendlichen Lesern so nachhaltig gezeigt werden muß, ist allerdings eine andere Frage.

*

Psychologisch geschickt aufgezogen ist das Erfolgsrezept aller dieser Versandhäuser. Der Weg führt über ein Inserat mit „verheißungsvollen“ Ankündigungen zu einem Brief mit einer Reihe noch verheißungsvollerer Prospekte, denen ein neuer, todsicherer Köder beiliegt: „Bei Bestellung Zusendung weiterer Prospekte“.

Was dann ins Haus kommt, ist in diesem Rahmen auch nicht zur auszugsweisen Wiedergabe geeignet. Es wird aber vom Schmalfilm in jedem Format über Dias in Schwarzweiß und Color bis zu den üblichen „Postkartenserien“ alles angeboten.

Von der Verbreitung dieser Dinge kann man sich nur ungefähre Vorstellung machen. Der Erfolg der Inserate, die täglich und wöchentlich in Zeitungen erscheinen, die hunderttausende von Haushalten erreichen, dürfte sehr groß sein. Schließlich kostet Inserieren Geld, und der Einsatz, der geleistet wird, ist nicht gering.

Daß gewisse Machwerke wirklich Auflagen mit 600.000 Exemplaren erreichen, erscheint deshalb glaubhaft, weil — abgesehen vom Inseratengeschäft — auch die Buchvertreter, die in Verkaufskolonnen mit dem Kleinbus Stadt und Land bereisen, unwahrscheinliche Umsätze erzielen. Da ist ein Student, der in einem Ort mit 4000 Einwohnern mehr als 100 „sexualwissenschaftliche“ Werke verkauft, Durchschnittspreis bei S 250. und da sind unzählige unreife Menschen, Jugendliche und Halbwüchsige, die sich im „neutralen Umschlag“ unter der Flagge „äußerst diskret“ vom Briefträger den Schmutz ins Haus tragen lassen. Es wäre hoch an der Zeit, dieser „Geschäftspraxis“ einen Riegel vorzuschieben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung