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Sex im Diskont

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Die Wikinger kommen!... Und es hat allen Anschein, als oh sie diesmal mehr und vor allem längeren Erfolg hätten. Denn sie kommen nicht mehr wie ihre wilden Vorfahren mit Schwert, Rudersegelboot — und Hörnern, am Kopf zu tragen und als Trinkgefäß zu benutzen, sondern sie kommen mit Inseraten und Angeboten über Sexwäsche, Pornoartikel aller Art {solche, die man kaum als Pornoartikel bezeichnen kann, und solche, von denen selbst im Kamasutram nichts steht); mit gedruckten Produkten der erotischen Industrie. (Nun als Sensation: erstmalig in deutscher Ubersetzung.) Sicher, der durchschlagende Erfolg bleibt vorerst abzuwarten — er zeichnet sich aber schon ab. Hier hat die alles beherrschende Industrie eine offensichtlich echte Bedaffslücke gefunden, in die mit aller Kraft der Werbung und aller Kraft des Marketing gestoßen wird. War bis vor noch ganz kurzer Zeit die Vermarktung des Sex und ein Anbringen von einschlägigen Annoncen den Toilettewänden öffentlicher Bedürfnisanstalten vorbehalten, so begannen schon vor Jahresfrist zunächst Kleinanzeigen für Pornoartikel und Erotikä aller Art zu werben. In der Zwischenzeit ist aus diesen schüchternen Versuchen eine wahre Inseratenlawine geworden.

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Die Wikinger kommen!... Und es hat allen Anschein, als oh sie diesmal mehr und vor allem längeren Erfolg hätten. Denn sie kommen nicht mehr wie ihre wilden Vorfahren mit Schwert, Rudersegelboot — und Hörnern, am Kopf zu tragen und als Trinkgefäß zu benutzen, sondern sie kommen mit Inseraten und Angeboten über Sexwäsche, Pornoartikel aller Art {solche, die man kaum als Pornoartikel bezeichnen kann, und solche, von denen selbst im Kamasutram nichts steht); mit gedruckten Produkten der erotischen Industrie. (Nun als Sensation: erstmalig in deutscher Ubersetzung.) Sicher, der durchschlagende Erfolg bleibt vorerst abzuwarten — er zeichnet sich aber schon ab. Hier hat die alles beherrschende Industrie eine offensichtlich echte Bedaffslücke gefunden, in die mit aller Kraft der Werbung und aller Kraft des Marketing gestoßen wird. War bis vor noch ganz kurzer Zeit die Vermarktung des Sex und ein Anbringen von einschlägigen Annoncen den Toilettewänden öffentlicher Bedürfnisanstalten vorbehalten, so begannen schon vor Jahresfrist zunächst Kleinanzeigen für Pornoartikel und Erotikä aller Art zu werben. In der Zwischenzeit ist aus diesen schüchternen Versuchen eine wahre Inseratenlawine geworden.

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Ein „Fräulein Susanne Jensen“ ] (natürlich aus Dänemark) verspricht 1 beispielsweise durchaus Exklusives i und ist „sehr gerne bereit“ gegen nur ! zwanzig Schilling unter „Alters- i angäbe“ (!) Kataloge und Broschüren ■ zu versenden. Ein kurzer Streifzug i durch die Inseratenteile der aufläge- 1 stärkeren österreichischen Tages- i zeitungen wird heute schon vielen i etwas bringen. Abgesehen von so j verheißungsvollen Titeln wie: „Ero- 4 tik in Schweden“, „Liebelei“, „Spe- ; zialangebot von sehr gewagten ■ Photos und starken (?) Magazinen“, ist die langsam total werdende wirtschaftliche Durchdrängung des Sex dadurch gekennzeichnet, daß man ; 1969 je nach Bedarf und auch für die kleine Brieftasche im „Sexwarenhaus“ einkaufen kann; noch günstiger, daß — „Achtung, einmalig!“ — : die „größte Auswahl“ nun schon zum Großhandelspreis erhältlich ist. Andere Pornoindustrielle sind in der Rationalisierung bereits so weit gegangen, daß sie ihre Artikel numerieren und daß man wie Im Großversandhaus neben Plattenspielern und den neuesten Früh Jahrshütchen nun auch Sexartikeln aller Art preisgünstig und selbstverständlich diskret verpackt ins Haus geliefert bekommt.

Ein interessantes Detail am Rande, es sind nicht nur die Wochenbeilagen von solchen Pornoinseraten überschwemmt. Bei der Beschäftigung mit dem Freizeitgestaltungs-problem bliebe es ohnedies erst zu untersuchen, ob besondere Aufmunterung und Anregung zum verlängerten Wochenende geboten werden muß. Nein, durch die ganze Woche, vom müden Montag bis zum immer noch noblen Donnerstag, werben Sexkaufleute aus dem kühlen Norden um den diskret im Hintergrund bleiben wollenden österreichischen Durchschnittssexkonsumenten.

Freilich, diese Sexuällage ist so neu nicht. War es doch schon seit jeher eine Spezialität der Boulevardzeitungen in Titel und Stories das sexuelle Moment im Vordergrund zu halten. Neu sind auch nicht Inserate, die sich einerseits auf Sexartikel aller Art beziehen, anderseits bereits wieder personellen Charakter haben. An Intensität der sexuellen Freiheit scheint es zu einer Neuauflage der verrückten zwanziger Jahre, der freizügigen Zeit der „Glas-Wasser“-Sexologen nach dem ersten Weltkrieg zu kommen. Neu ist jedoch die Verbreitung (der Euro-Sex-Markt scheint schon realisiert zu sein) und neu sind auch die Werbe- und Marketingmethoden, die in den Dienst der Sexindustrie gestellt werden. Neu ist vor allem die vereinfachte Zugänglichkeit all dieser mehr oder weniger pornographischen Produkte. Neu sind — und das solle nicht zuletzt genannt werden — die billigen Preise, der Sexdiskant: der Supersexrabatt macht's für jeden möglich. Es wird diese Lage noch länger und ernster zu besprechen sein, aber manche Experten beurteilen sie keineswegs als beunruhigend. Im Gegenteil, ein großes sexuelles Aufklärungsmoment wird in dieser Invasion entdeckt.Neben den Produkten eines von unserer Gesellschaft noch immer als wenigstens „gesund“ beurteilten Sexualverhalten hat die Offensive aus dem Norden eben durchaus neue Dimensionen eröffnet. So flattert neckisch auf den Posteinlaufschreibtisch des Zentralausschusses der österreichischen Hochschülerschaft ein offizieller Brief, in grüner Tinte, in dem sehr ernst und begründet um den Beitritt zur „Internationalen Liga für die Homosexualität“ geworben wurde.

Was ist neu an dieser Situation? Neu ist, daß die Arten sexueller Vergnügungen, aber auch Ausschweifungen, durch Jahrhunderlte ganz offensichtlich nur einem kleineren Kreis vorbehalten, nun „unters Volk kommen“. Es konnte sich der „kleine Mann“ keine erotischen Stiche von Meisterhand leisten. Der Ersatz blieb daher primitiv. Nun wird durch die Methoden und Mittel des zwanzigsten Jahrhunderts die gesamte Skala erotischer Möglichkeiten weit gestreut der gesamten Gesellschaft zugänglich gemacht. Es ist schwierig, darüber zu urteilen, ob in dieser quantitativen Vermehrung der „Unmoral“, eine tatsächliche Änderung vom Moralischen her eingetreten ist. Selbstverständlich ist diese Gesellschaft (die sich gegen diese Sex-durchdrängung nicht mehr zur Wehr setzt) in ihrer moralischen Ausrichtung und in ihren gesellschaftlichen Einrichtungen kaum in der Lage, mit diesem Problem fertig zu werden. Es kommt daher notwendigerweise zum Auseinanderklaffen der gesellschaftlichen Moralverstellungen und dem tatsächlichen Bedarf an Sex, dem unter Zuhilfenahme aller industrieller Methoden ein nicht geringes Angebot gegenübergestellt wird. Nun gibt es die Ansicht, daß Geschäfte mit Sex nicht grundsätzlich schlecht sind. Es komme so, wird argumentiert, zu einem höheren sexuellen Aufklärungs- und Bewußtsemstand. Der Mensch (und zwar in der gesamten Gesellschaft) sei nun erstmalig in der Geschichte in der Lage, sich von der repressiven Sexualerziehung, die als Mittel des Klassenkampfes gegen ihn eingesetzt wurde, zu befreien. In diesem Sinn äußern sich durchaus ernstzunehmende Pädagogen. Liegt hier aber nicht doch ein Denkfehler vor?

Geschäfte mit Sex sind zu machen, solang die Ware „Sex“ interessant ist. Geschäfte mit Waren, die im Überfluß vorhanden sind, sind unmöglich. Uberflußgüter sind nicht „Ware“. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, braucht man kein Volkswirt zu sein. Es ist daher im Interesse der Sexkaufleute, wenn über den ganzen Komplex „Sexualverhalten — Erotik“ ein (wenn auch noch so kurzer) Mantel des Verbotenen, des Außergewöhnlichen, des zumindest teilweise Geächteten liegt. Die Erfahrungen in Skandinavien haben dies gezeigt: die gesetzliche Freigabe der Pornographie brachte in keiner Weise eine Zunahme des Sexualinteresses mit sich. Im Gegenteil, ein gewisses Nachlassen des Interesses war bemerkbar. Nicht ohne negative Erscheinungen: Ausweichen auf das noch immer verbotene und daher noch mehr erstrebenswerte Erlebnis des Rauschgiftes.

Geschäft mit Sex kann daher nie Aufklärung sein, Geschäft mit Sex muß notwendigerweise zur weiteren Verschleierung und zur Verhinderung einer, wollen wir es als Arbeitstitel so bezeichnen, „natürlichen“ Einstellung zu allen Fragen des Sex führen. Nochmals zum skandinavischen Beispiel: der Eigenverbrauch der Sexindustrie in Dänemark ging nach Freigabe bzw. Aufgabe der Porhographiebestim-mungen so zurück, daß die Sexindustrie in Konkursnähe geriet. Die Rettung brachte der Export in alle jene Länder, Schulen und Behörden den Kampf gegen Schmutz und Schund noch nicht aufgegeben haben. Die staatliche Prüderie in manchen Gegenden südlich der skandinavischen Sexvorkämpfer führten zu hohen Profiten der ßexmanager. Der Vorstoß in die „sexte“ Dimension hat sich also durchaus bezahlt gemacht.

Das Argument der befreienden Aufklärung der Sexgeschäfte ist schon allein durch die Tatsache, daß die derzeitige angebotene Sexaufklärung nur in einem Neugierigmachen besteht, zu entkräften. Diese Art der Aufklärung, an sich selbst schon ein gutes Geschäft, führt zu weiteren florierenden Geschäften mit Sex. In der Ablehnung der derzeitigen Form der Sexgeschäfte wird der Vorwurf mancher fortschrittlichen Sexologen, es wäre doch unsinnig, den Sex nicht als Ware zuzulassen, wo doch andere Güter des täglichen Bedarfes, Nahrungsmittel, Toilettartikel, ebenfalls Waren seien, heute schon weniger energisch zurückgewiesen. Es bleibt für uns in Österreich zu fragen, was tatsächlich passiert,wenn unsere Schmutz- und Schundgesetzgebung in Österreich neu, und zwar weniger bevormundend gefaßt wird. Es bleibt zu fragen, wie sehr das Strafrecht als Grundlage der Sexpolizei in einer modernen Gesellschaft erhalten werden muß. Aufgabe des Staates wird es auch in Hinkunft unbestritten sein, den in erster Linie zuständigen Instanzen, also Familie und Schule, zu helfen, um eine gesunde natürliche Sexualerziehung der Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen. Sicher wird ein Weiterführen der Quargelsturzsexpolitik auch to Zukunft zu Verklemmungen führen können und auch führen. Genauso wie selbst totaler Sexliberalismus sicher nicht die Möglichkeit von Triebverbrechen bannen wird. Der Staat hat darüber hinaus zu sorgen, daß die Gesellschaft vor manipulativer Sexbelästigung geschützt wird.

Vielleicht kommt man auch hierzulande zur Ansicht, daß das Sexualverhalten in die Einzelverantwortlichkeit der Staatsbürger, für deren Erziehung zu mündigen Menschen man allerdings verantwortlich ist, fällt. Daß der sittliche Totalverfall in Österreich, in dem bekanntlich vieles aus dem Ausland gebremst nachvollzogen wird, noch nicht beschlossene Sache ist, beweisen die Studentenheime (zum Beispiel Heime der staatlichen Studentenförderungsstiftung), in denen so eine Neuerung, wie der wechselseitige „Damen- und Herrenbesuch“ unter Studenten ermöglicht wurde.

Die von den „Erwachsenen“ als unausbleibliche Folge befürchteten Ausschreitungen, die Sexualverwilderung, fand nicht statt. Wie sich auch in Österreich das erotische Theater, das so großartig angekündigt wurde, als durchaus lahm und erotisch uninteressant herausstellte, Das erotische Theater, das seine „leuchtenden“ Vorbilder im alten Byzanz und vielleicht schon viel früher hatte, wurde in Österreich zu einer eher langweiligen Angelegenheit. Man wollte oder man traute sich nicht so recht. Womit sich erst herausstellen muß, ob denn die großen Geschäfte mit Sex in Österreich je eine Zukunft haben werden.

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