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Sex, Politik und Weltanschauung

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In den Wiener Sprechtheatern gab es an vier Tagen nacheinander Premieren. Der neue Direktor des Burgtheaters, der Düsseldorfer Paul Hoffmann, setzte an den Beginn der Spielzeit in beiden Häusern Werke der zwei bedeutendsten österreichischen Dramatiker, Grillparzer und Nestroy. Stücke lebender Autoren, des Ungarn Hau und des Österreichers Krendlesberger, wurden vom Theater in der Josef stadt im Haupthaus und in der Lothringerstraße aufgeführt.

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In den Wiener Sprechtheatern gab es an vier Tagen nacheinander Premieren. Der neue Direktor des Burgtheaters, der Düsseldorfer Paul Hoffmann, setzte an den Beginn der Spielzeit in beiden Häusern Werke der zwei bedeutendsten österreichischen Dramatiker, Grillparzer und Nestroy. Stücke lebender Autoren, des Ungarn Hau und des Österreichers Krendlesberger, wurden vom Theater in der Josef stadt im Haupthaus und in der Lothringerstraße aufgeführt.

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Laube hat bekanntlich Grillparzer sehr gefördert. Doch von dem Trauerspiel „Die Jüdin von Toledo“, das derzeit neu inszeniert im Burgtheater zu sehen ist, sagt er, es sei wegen seines „ernüchternden letzten Akts wohl kaum schmackhaft zu machen für das deutsche Publikum“. Und Bulthaupt meint, unser Herz sei bei Rahel, der Preis ihres Todes wiege dramatisch zu schwer.

Grillparzer hat dieses Stück merkbar in der Nachwirkung eigener Erlebnisse mit Charlotte von Paum- garten, der Frau seines Vetters, wie auch mit der verführerischen Marie Daffinger, der Gattin des bekannten Malers, geschrieben; es gab da wohl noch unbewältigte Schuldgefühle. Wie es bei Grillparzer ‘selbst der Fall war, so schließen Sich auch bei König Alfons Liebe und Sinnlichkeit gegenseitig aus. Der König verfällt der schönen, heißblütigen Rahel in sinnlicher Leidenschaft, vernachlässigt Frau und Reich, worauf die Granden die Jüdiin töten.

Bezeichnend ist es, daß die innere Umkehr des Königs erfolgt, als er der toten Rahel gegenübertritt. Liebe vermag den Tod der Geliebten zu übendauern, sinnliche Leidenschaft dageben bedarf des Reizes, der aber vergeht mit dem Tod. So erscheint ihm nun ihr Antlitz als eine Fratze, die Schuld wird ihm bedrückend bewußt. Das Schicksal der schönen Jüdin dauert einen, würde aber der Dichter in dem von ihm vongeführten Geschehen Gerechtigkeit walten lassen, wäre das wohl ein Fälschen der Realität. Gerechtigkeit ist im irdischen Lauf der Dinge nur eine Ausnahme.

Berechtigt steigert Kurt Meisel als Regisseur die Szene zu diesem Schluß hin, dessen unrationale Tragik meist nicht erkannt wird. In dem faist abstrakten Bühnenbild von Lois Egg wurden die einzelnen Schauplätze durch geringfügige Änderungen und Einbauten gekennzeichnet. Für die naiv-rasante Sinnlichkeit der Rahel gibt es heute .kaum’ eine, Schauspielerin. Durch’ erspielte Else LÜdwtg diese 1Gestalt, sie kommt ihr näher als die Vorgängerinnen in früheren Inszenierungen der letzten Jahre. Klaus Jürgen Wussow glaubt man den König, sein Temperament schlägt durch, doch neigt er gelegentlich zu Theatralik. Erika Pluhar als Königin, Annemarie Düringer als Esther, Paul Hörbiger als Isaak, Fred Liewehr als Manrique und Frank Hoffmann als Garoeran ergänzen den ausgeglichenen Gesamteindruck. Leider war der Text oftmals schlecht zu hören. Keiner bestimmten Zeit ordnet Erni Kniepert die Kostüme zu.

Der Advokiatensahn Nestroy, der eu großem Reichtum kam, fühlte sich als ein Mann des Volks. Das spürt man in allen seinen Stücken, im besonderen in der Posse „Der Unbedeutende“, die derzeit im Akademietheater aufgeführt wird. In der Antithese Bedeutend-Unbedeutend rüttelt er hier allerdings nicht an der Bedeutung der in gesellschaftlichem Sinn Bedeutenden, er hebt jedoch mit Nachdruck die Bedeutung der Unbedeutenden hervor.

Puffmann, der Sekretär eines reichen Barons, benötigt dringend ein Alibi, daher läßt er unter die Leute bringen, daß er den betreffenden Abend allein bei Klara, der ehrbaren Schwester des Zimmermanns Beter, die er gar nicht kennt, verbracht habe. Doch Peter gelingt es, ihren guten Ruf wiederherzustellen, Ehre sei ja auch „am Unbedeutendsten“ etwas sehr Bedeutendes. Mit diesem von den Spaniern bevorzugten Motiv stieß Nestroy, wie es die Kritik von ihm gefordert hatte, zum Volksstück vor. Damit, aber auch mit dem Dominieren des Schurken Puffmann in den keineswegs possenhaften Vorgängen ergibt sich ein Widerspruch zu Nestroys ironisch-satirischer Grundhaltung.

Die Bearbeitung durch den Regisseur Leopold Lindtberg und den Einrichter der Musik, Alexander Steinbrecher, die Couplets und mancherlei Wortwitze hinzufügten, weiters die reichliche Verwendung von Musik bis zur fast musicalartigen Darbietung einer der Volksszenen täuscht über diesen Widerspruch hinweg. Heinrich Schweiger als schurkischer Sekretär, Erich Auer als grundanständiger Zimmermann Peter, Hugo Gottschlich, Manfred Inger, Hanns Obonya und Sylvia Lukan erweisen ihre gewohnte darstellerische Qualität Die ansprechenden, zum Teil luxuriösen Bühnenbilder schuf Fritz Butz.

Der Mensch herrsche über die Tiere von den Vögeln und Fischen bis zum Gewürm, heißt es im ersten Buch Moses’. In dem Gespenstenspiel „Der Großinquisitor“ von Julius Hay, das im Theater in der Josefstadt zur Uraufführung gelangte, wird die Frage aufgeworfen, durch wessen Mund Gott aber die Herrschaft des Menschen über den Menschen erlaubt habe.

Diese Frage läßt die Hauptgestalt, ein Dichter, in dem von ihm verfaßten Roman durch einen Pilger einem Kardinal-Großinquisitor stellen, doch bei der Beantwortung gedieh das Manuskript nicht weiter. So beschwört nun der Dichter — frei nach Pirandello — den von ihm erfundenen Kardinal zu erscheinen, es kommen auch sein eben verstorbener Freund, der volksdemokratische Minister, weitere Tote und der Pilger hinzu. Der Kardinal meint, wer zuviel frage, werde zum Ketzer, der Pilger ergeht sich in der Utopie eines zu erwartenden paradiesischen Zustands.

Damit erweist Hay eine nachwirkende Verbundenheit mit frübkom- munistischen Zukunftsvorstellungen. Da dies aber recht vage gerät, scheint er nun doch nicht allzuviel von der visionären Schau des Pilgers zu halten. Hay geht es also gar nicht so sehr um die Antwort als viel mehr darum, durch diese Frage den Mißbrauch der Macht in den Volksdemokratien anzuprangern. Der eigentliche Großinquisitor ist der Minister, der den Dichter durch seine Forderungen und die zu vergebenden Vorteile korrumpierte, wogegen der Mißbrauchte nachträglich aufzumuk- ken versucht, was ihm aber wohl auch den neuen Machthabern gegenüber mißlingen wird.

Dieses Tendenzstück eines Kommunisten gegen kommunistische Methoden greift in der Problematik nirgends tiefer, die Dialoge bleiben unergiebig, sind sprachlich manchmal unzulänglich, vollends wirkt das Hereinziehen des Sexuellen — die Frau des Dichters erliegt der Machtfaszination durch den Minister — ausgesprochen kolportagehaft. An Aktualität hat das Stück zweifellos durch die jüngsten Ereignisse gewonnen.

Die irreolen Gestalten werden von Imo i.loszowicz als Regisseur, ihrer Diktion entsprechend, völlig real vorgeführt. Hans Holt als Dichter, Marion Degler als dessen Frau, Rudolf Rösner als Minister bieten die besten darstellerischen Leistungen. Klaus Wildbolz versagt als Kardinal. Das Bühnenbild von Erich Kondrak zeigt ein Daöhgeschoß- studio.

Im Kleinen Theater der Josefstadt wird die Tragikomödie..Die Frage" des Österreichers Hans Krendlesberger, die vor kurzem bei den Berliner Festwochen zur Uraufführung gelangte, nachgespielt. Das Unternehmen „Sibylle hilft dir“, das den Fragekasten vieler Zeitungen beliefert, kann alle Fragen beantworten, nur die eine nicht, worin das Geheimnis des Lebens besteht. Das bekümmert den Inhaber Arthur, der sich überdies Vorwürfe macht, seinen Vorgänger verdrängt zu haben. Völlig gleich verhält sich sein Angestellter Felix, als er sioh an Arthurs Stelle gesetzt hat. Die Liebessehn- sucht einer reizlosen Sekretärin heizt die Dialoge an, Dieses handlungslose Stück ist in der Beekett-Ionesco-Nachfolge geschrieben. Doch zeigen sich entscheidende Unterschiede. Krendlesbergers Figuren sind nicht in einer tieferen Seinsschicht angesiedelt, sie ble’ben dem Psychologischen verhaftet. Über die existentielle Situation wird lediglich gesprochen, sie ist nicht szenisch umgesetzt, alles bleibt rational, während das Wesentliche bei Beckett und Ionesco erahnt werden muß und damit dichterische Wirkungen ergibt. In der Aufführung unter der Regie von Erich Winterstein vermittelt die facettenreiche Darstellung der Sekretärin durch Erni Mangold einen dermaßen starken Eindruck, daß man von einem Erfolg des Stücks in Wien — im Gegensatz zu Berl’n — sprechen kann. Michael Toost und Alfred Reiferer in den beiden Männerrollen tragen dazu durchaus bei. ux_ sssr; ai aria, Grirnme

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