Sex, Skandal, Schokoeis

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Laufend in der Vorläufigkeit: Marlene Streeruwitz' neuer Roman "Jessica, 30" nimmt sich eines brisanten Themas an.

Vielen Frauen zwischen, sagen wir, 25 und 40 wird dieses Thema bekannt vorkommen. Da studiert Frau Germanistik und Philosophie, promoviert in Kulturwissenschaften um dann, ja was? Um dann Jahre später noch immer als freischaffende Journalistin bei einem Frauenmagazin darum zu betteln, Beiträge verfassen zu dürfen.

Kein Einzelschicksal

Kein Einzelschicksal, diese Jessica Somner, vielmehr ein Typ, wie ihn die Gesellschaft heute scharenweise hervorbringt. Gezwungen, nur mehr in Vorläufigkeit zu leben (und das nun ganz und gar nicht paulinisch gemeint), stehen immer mehr Menschen unter permanentem Leistungsdruck, ohne freilich je irgendeine Zukunftsgarantie zu bekommen. Das gilt für die Dauer eines Arbeitsauftrages für die vielen in freien Dienstverhältnissen Ausgebeuteten ebenso wie für die Dauer von Beziehungen, in denen man sich als Lebensabschnitts- oder Sexpartner täglich als attraktiv genug zu erweisen hat.

Zeitspezifisch ist auch, dass (vorwiegend geisteswissenschaftliche) Bildung und Wissen zu Dumpingpreisen verkauft, bis zur Unkenntlichkeit entschlackt und verformt auf den Markt und vor die Säue geschmissen werden müssen. Säue? Ja, es geht auch um Schweinereien in Marlene Streeruwitz' neuem Roman "Jessica, 30". Um Sex und Gewalt, genauer um einen Staatssekretär, der mehr als eine Frau gequält hat. Um die Beschäftigung von scheinbar anständigen Politikern mit illegalen Prostituierten aus dem Osten, auf Parteikosten, versteht sich, und somit auf Kosten der Steuerzahler. Auch das kommt einem bekannt vor...

Interessant ist - und das auf den ersten Blick - die literarische Form, die Streeruwitz dieses Mal gewählt hat, eine Form, die den kraftraubenden Wettlauf ebenso wie die Art von Einsamkeit auszudrücken vermag, die vor allem beruflich selbstständige Singles bestens kennen. Marlene Streeruwitz' Roman besteht aus drei Monologen, alle entstanden in Jessicas Kopf, durchbrochen nur im Mittelteil von einem Dialog mit Liebhaber Gerhard, der mit jener Szene endet, der im dritten Kapitel/Monolog Jessicas journalistische Rache auf den Fuß folgt. Atemlos laufen die Leser zunächst mit Jessica Somner einen Satz lang (91 Seiten) durch die Praterhauptallee, und zum Kampf gegen überflüssige Kilos gesellen sich Gedankensplitter aus Jessicas Welt, die in ihrer Widersprüchlichkeit sehr glaubwürdig dargestellt werden.

Liebhaber, Sexnehmer

Jessica, die ja das Reflektieren eigentlich gelernt hat, lässt sich längst prägen von dem, was sie als verabscheuenswürdig durchschaut. Beeinflusst von ihrer Arbeit für eine Frauenzeitschrift und von "Sex and the City" kreisen ihre Gedanken um die Sorge um ihre Schönheit und zuviel Schokoeis ebenso wie um Sex, um viel Sex, der durchaus auch das Normale sprengen darf, um geeignete Kleidung und Vorsprache bei der Chefredakteurin, damit ein Beitrag angenommen wird, und um den Liebhaber, besser vielleicht Sexnehmer Gerhard Hollitzer, Staatssekretär für Zukunfts- und Entwicklungsfragen, der verheiratet ist und bleibt und bleiben wird.

Seitenhiebe auf Politiker

Es werden vor allem die oberflächlichen Anspielungen des Textes auf konkrete Personen sein, die da und dort für Ärger sorgen werden. Denn Marlene Streeruwitz verzichtet nicht darauf, Seitenhiebe auszuteilen und Namen von amtierenden Politikern der schwarz-blauen Regierung zu nennen. Da hilft auch der vorangestellte Satz "Dieser Text ist ein Werk literarischer Fiktion, Figuren und Handlungen sind frei erfunden" nichts: Was "sie" (und in diesem Fall liegt die Vermutung nahe, dass es Streeruwitz ist, die dies alles loswerden will) vom Wolferl, der Flöten spielenden Ministerin und anderen Regierungsangehörigen hält, bleibt kein Geheimnis. Schade, der Roman enthielte ohnehin Realitätskritik und politische Brisanz genug, er bräuchte diese Seitenhiebe nicht, aufgrund derer er stellenweise zu einer banalen Abrechnung zu gerinnen droht.

Trotz dieser Schwäche: Streeruwitz hält mit ihrem Roman, in den sie kunstvoll literarische Anspielungen geflochten hat, der Gesellschaft einen Spiegel vor. Mit "Jessica" hat sie einer Frauengeneration und ihren spezifischen Problemen, die in der Realität kaum Thema von Politikern für Zukunfts- und Entwicklungsfragen sind, eine stimmige Stimme verliehen.

Jessica, 30

Roman von Marlene Streeruwitz

S. Fischer Verlag, Frankfurt 2004

254 Seiten, geb., e 19,50

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