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Shakespeare-Oper und Lorca-Ballett

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Seit der Londoner Uraufführung von „Peter Grimes“ im Jahre 1945 hatte sich Benjamin Britten, Jahrgang 1913, mit etwa einem halben Dutzend Opern die Musikbühne erobert. Eine hohe äußere Anerkennung fand sein Schaffen, als man ihn beauftragte, die Krönungsoper für Königin Elizabeth II. („Gloriana“) zu schreiben. Sein vorläufig letztes Bühnenwerk ist die 1960 durch die English Opera Group beim Aldehurgh-Festival uraufgeführte Oper nach Shakespeares „Sommer-nachtstraum“. Obwohl es sich bei der Premiere der Wiener Staatsoper nicht um die deutschsprachige Erstaufführung handelte, kann einmal mit Befriedigung festgestellt werden, daß man nicht Jahrzehnte, sondern lediglich zwei knappe Jahre hinter anderen Opernbühnen nachhinkte.

Aber hat sich bei diesem Werk der Eifer und Aufwand gelohnt? Das ist eine andere Frage, die man eher mit Nein beantworten muß. B r i 11 e n sagt selbst, daß er dieses Stück Shakespeares deshalb gewählt habe, weil er einfach keine Zeit hatte, ein Originallibretto zu schreiben oder die Ausarbeitung eines solchen durch einen Dichter abzuwarten. Gemeinsam mit Peter Pears hat er den Originaltext auf etwa die Hälfte zusammengestrichen — wobei er mit der genauen Vertrautheit seiner Landsleute mit diesem klassischen Meisterwerk der englischen Literatur rechnen konnte. Außerdem mag für Engländer der englische Text größtenteils verständlich sein. Für ein deutsches Publikum fehlt die erste Voraussetzung, und was die Textverständlichkeit betrifft, so ist das Resultat (mit der an A. W. Schlegel angeglichenen Übersetzung Ernst Roths) wahrhaft deprimierend.

Wir tauschen also Shakespeare gegen Britten. Und das ist auf alle Fälle ein schlechter Tausch Denn diese Musik ist in hohem Grade eklektisch und aus zweiter Hand, vom ersten bis zum letzten Takt. Auf weite Strecken rezitativisch, nur selten sich zu Arien, Duetten und geschlossenen Ensembles verdichtend, ist sie nicht viel mehr als Untermalung. Wenn Britten sich auf die immanente Wortmusik des Shakespearschen Stückes beruft, so ist das ein schlimmes Mißverständnis, das sich bei einer deutschen Übertragung bis zur Absurdität steigert (Die größten Meisterwerke des Operntheaters sind aus der Spannung zwischen Text und Musik ent-sftiriaar..f->Dft taiig-eV dre'-<Re?el bestätigende Ausnahme Ist „P-elUas et Meltsande“ — und Debussy war eben ein genialer Musikerl)

Brittens Partitur freilich ist sehr talentiert, seine Orchesterfarben meist zart und apart, die Stimmung, besonders wo Natur-magisches in Töne übersetzt wird, ausgezeichnet getroffen, der Reichtum an einzelnen schönen Stellen nicht eben gering — das Ganze aber ein typisches Zwitterwesen, dessen man nicht recht froh wird und dessen hervorstechendstes Kennzeichen gepflegte Langeweile ist. Diese wird durch die Regie Werner Düggelins und das Optische allerdings bedeutend reduziert. Günther Schneider-Siemssen hat ein wirklich bezauberndes, für alle drei Akte gleichbleibendes Bühnenbild geschaffen: ein riesiges, ornamentales Kreisrund mit dürren Baumstämmen, sternartigen Blumen und fremdartigen Formen, die, in häufig wechselnder, raffinierter Ausleuchtung (Felkel und Rotter) das Interesse immer wieder wachhalten und fesseln. Mit vollendetem Schönklang und kammermusikalischer Finesse musizierten die Philharmoniker unter Heinrich Hollreisers sicherer und sensibler Leitung. Die Besetzung der Haupt- und Nebenpartien mit fast durchweg jüngeren Kräften ließ kaum einen Wunsch offen und hatte echtes Staatsopernformat: Gerhard Stolze — Oberon, Theresa Stich-Randall — Titania, die beiden Liebespaare: Margaretha Sjöstedt-David Thaw und Gundula lanowitz-Robert Kerns, dazu Heinrich Schweiger als Puck (eine etwas problematische Besetzung und Kostümierung),Frederic Guthrie als Theseus und Biserca Gvejic als Amazonenkönigin. Das Sextett der Handwerker war mit Erich Kunz, Ludwig Welter, Ferry Gruber, Ljubo Pantscheff, Peter Klein und Hans Braun besetzt.. Die vielen hübschen, feierlichen und bizarren Kostüme schuf Charlotte Fleming.

Uber den Abend des Volksopernballetts, das so selten zur Ehre einer eigenen Veranstaltung und Produktion kommt, möchte man gern das Beste sagen. Aber das wird uns durch das unadäquate (dreiteilige) Programm erschwert, dessen beide erste Nummern das Ensemble überforderten und dessen letzte ein wenig unter dem Niveau eines staatlichen Opernhauses lag, auch wenn dieses Institut „Volksoper“ heißt. Beim „Barocken Fest“, einer neunteiligen Suite nach Musik von Händel, störten auch die überladenen Bühnenbilder und die in den Farben wenig harmonierenden Kostüme.

Frederico Garcia Lorcas „Bluthochzeit“ ist eine großartige lyrische Tragödie, die ihre Veroperung (durch Wolfgang Fortner) einigermaßen gut überstanden hat, sich aber einer Choreo-graphieruhg an entscheidenden Stellen widersetzt. Immerhin gab es einige hochdramatische, packende Szenen auf der Tanzbühne, besonders, wenn diese mit „viel Volk“ bevölkert war — was auf der Sprechbühne fast immer einen etwas ungeordneten Eindruck macht und wo dem Ballett die besseren Chancen gegeben sind.Auch ließen ich einige der realistischen Szenen, etwa der Zweikampf zwischen Leonardo und dem Bräutigam, recht gut tanzen — aber auf der mythisch-irrationalen Ebene versagten Choreographie und Ausführung. Auch hier hätte man sich das Bühnenbild und die Kostüme einfacher gewünscht. Ein Engländer aus der mittleren Generation, namens Denis A p 1 v o r, Hauskomponist bei „Sadlers Wells“, hat die Musik geschrieben: eine dramatische, ziemlich knallig instrumentierte, keineswegs unwirksame Partitur, von der aber, wenn sie verklungen ist, nichts im Ohr oder im Gedächtnis bleibt als ein barbarisch lautes Trommelsolo. (Der Eklektizismus — siehe Britten I — scheint eine angelsächsische Nationaleigenschaft zu sein, zumindest unter den Musikern.)

In dem Ballett mit Gesang, „ö s t e r-reichische Bauernhochzeit“, von Margarethe W a 11 m a n n und Franz Salmhofer ist alles zusammengemixt, was volkstümlich, wirksam, dekorativ und zu Gemüt gehend ist: ländliche Hochzeitsriten, Maibaum, Erntedank, Schuhgeplattel und fromme Weisen, dazu Blasmusik und Chorgesang — das Ganze geradezu prädisponiert fürs Deutsche Fernsehen. Dia L u c a war die Choreographin des Abends, Alice Maria Schlesinger schuf die Bühnenbilder und Kostüme, von den Tänzern sind Hedy Richter, Melitta Ogrise, Gerhard Senft und Janez Miklic hervorzuheben.

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