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Sie glauben, es sei ein Fest...

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Die Nächte werfen Rostflecken in unsere Laubberge, Rostflecken und goldgelbe Sprengel, die über Tag, wenn sie die Sonne trifft, aufbrennen zu glosenden Tupfen. Weit gähnt das Tal. Ist es größer, breiter geworden? Die sommernde, glanzrausdiende Dichte des Korns ist heimgefahren. Streng, kühl, krautgrün oder entblößt liegt das Feld. Da und dort raschelt Mais wie steifes, blindes Metall. Rücken aber die Wolken beiseite, blinken die Blätter und Schäfte wie vergessene, immer noch würdige Zier.

Draußen in den Weinbergen klingen die Glocken. Nicht zu Festlichkeit und Herzenslust, wie die Städter und ihre Weltausdeutcr, die Dichter, es meinen, nein, o nein, der Bauer dient in allem den Zwecken. Drei, vier Wagenhöhen tief schneiden die schmalen Wege in den gelben, bergenden Löß, der traubenvollen Bottiche stehen viele im Wein-gebirg und oft muß noch zur Nachtzeit gefahren werden, sie alle zu holen. Da melden von weitem die Glocken, meldet der Peitschenhall, in der nädisten Ausweich bleibst du stehen und läßt den Nadibarn vorbei.

Aber sie läuten auch schön, die „Klinseln“, läuten uns ins Herz wie ein Wort, wie ein Lied. Das schwarzschopfige Kneditl holt den Flausenriemen vom Boden und putzt ihn noch spät abends aus freiem Eifer blank. In diesen Tagen darf das Handpferd nicht ledig, nicht ungeschmückt gehen. Du mußt wissen, das ist nicht e i n Riemen, es sind ihrer vier und sie reichen dem Roß bis fast ober den Huf. Und diese Riemen tragen zweiundfünfzig Messingknöpfe und-plättchen und oben hält das alles ein großer Messingschild zuammen. „Konrad Gurtner, Hadres Nr. 7“ steht darauf, ein rechter, ein starker Name. Gut passen die dunklen, männlichen Vokale zu Roß, Wagen und Peitschenknall.

Du mußt auch wissen, wohin du die Glocken hängst. Die großen unten an die Kummetmitte, die kleinen außen an das Seitenblatt. So klingen sie schellend zusammen, tief und hoch, fürwitzig und bedächtig, je nach Schritt und Schwung, stetes, doch vielfältiges Spiel.

Der Ort selbst ist in diesen Wochen auf den zweiten Rang gerückt. Die Kellertrift setzt die Mitte, von der die Wagen alle kommen, nach der sie alle fahren. Das viele Fuhrwerk, das Pochen der Läden, Knarren der Räder, Scheppern der Schweben, Klirren der Ketten, Zuruf, Geschäftigkeit, Glockenlaut, Peitschensang und Herbstsonne, das ist uns Weinviertier Leuten im fernsten

Raum Einmahnung, Wunsch und heimliches Licht.

Es ist ein erregendes Gepoch, aufscheuchende Ankündigung, wenn die Woche vorher die Männer draußen in der Trift die Bottiche und Butten herausstellen auf die Wege, sie waschen, die Dauben prüfen und mit Hämmern die Reifen antreiben. Wer darauf hält, weißt außen und innen das Preßhaus, reibt die dunkle machtvolle Presse blank, macht sie bereit. Und es biegt dann ein Gespann zwischen Linden und Akazien hervor, das schwarzschopfige Knechtl steht hoch auf dem Wagen, es kennt sein Bild und sein Amt und sdiätzt sich nicht gering. Hinter sich Bottich und Traubenhügel, vor sich Glocken, Mähnen, schlagende, sonnblitzende Schweife, in Händen Leitseil und Peitsche, läßt es den schmalen Riemen mit der Quastenschnur keck spielen, hüpfen und schallen. Die Pferdehälse nicken blinkend auf, Hufschlag und Glockenlaut gewinnt Takt und Hall, der Wagen rasselt.

Neue Zeiten haben das Kradicn verboten. O, wie sind die Menschen empfindsam geworden. Doch zur Lese hören die Gendarmen schlecht und außerdem: die Kellertrift ist eine Enklave der alten Freiheiten, Herrenland der Burschen und Knechte. Das schwarze Bürschel plagt nicht wenig seine Faust, seinen Arm. Der Hall muß von den Preßhaus-wänden widerspringen. Schade, daß es sich nicht beschreiben läßt, wie man krachen muß, wenn man ein richtiger Fuhrmann sein will. Da sind Rhythmus, Klang, Stärke und Figuren genau vorgeschrieben. Trotzdem aber soll man zwischen den Gesetzen noch Kunststücke machen nach eigenem Sinn.

Die Kellertrift ist groß. Nicht jeder Weinhauer hat für sich, für seine Leute ein eigenes Dach, aber ein Gemäuer für Geschirr und Fässer. So zählt mein Heimatort mehr Preßhäuser als Wohnhäuser, fast vierhundert. Sie liegen in einer Lößrachel, einem trockenen, schmalen Tal und sehen von weitem her wie eigene Dörfer, denn sie strecken sich weit hinein ins hügelige Land. Siedlungseigenheit sind sie, Landschaftsmerkmal. Aber rund um die Donau herrscht der Berg. Es kennt bald einer Venediger und Glockner. Kommt er zu uns, bestaunt er Fremdes.

Die Preßhäuser stehen mit der Rückwand an der Gstetten. Steige führen durch Wasen und Strauchwerk hinauf. Oben wehen Akazien, unten Nußbäume, Linden, Kästen, Holunder. Das gibt Schatten, Anmut, den Kindern fröhliches Land für Spaße und Spiele.

Die Traubenmühlen leiern, vom Preßtisch rinnt mattgoldener Strahl, Schläudie und

Holzrinnen leiten ihn erdwärts. Das Knechtl fährt zu und ab, Hausherr und Tagwerker pressen bis gegen Mitternacht. Es ist eine schwere, heikle Arbeit, dieses Hantieren mit Riesenkräften, und man muß diese Arbeit verstehen. Die große dunkle Presse ächzt in allen Stücken, wenn der mächtige Stein frei an der Spindel hängt, wenn der Preßbaum, eine ganze Eiche, bebend schwebt, wenn de schmalen Riegeln, die ungeheure Spannung tragend, knallend krachen wie unheilvolle, bedrohende Schüsse.

Unten im Keller zieht unsichtbarer oder weißlichter Nebel, wallt und gaustert. Oben im Weinberg, über einer Luke, steht eine seltsam gedrungene Mühle. Sie windet, handbwegt, den „Dunst“ aus dem Keller. Trotzdem zieht man jedes Jahr einen oder zwei herauf, häßlichen Faum vor. dem Mund, pestdunkel das Gesicht.

Der Mensch weiß, wann er zum Menschen kommen muß. Ein Klosterbruder geht um mit Büttel und Fäßchen. Es ist schier ein mittelalterliches Bild: Die Bottiche, die Butten, die Trauben, die Kellertore, die Fässer, die breitschultrigen, großfäustigen Bauern — rotlichee Wangenbacken darunter — und bei ihnen der Mönch.

Der Zweite ist der Viehhirt. Wer sagt, er sei nicht wichtig? Das Vieh ist das halbe Haus und wenn der Wein mißrät, das ganze. Also empfängt er sein gerechtes Deputat. Aber auch der Schullehrer geht da und dort noch durch die Trift oder er schickt einen anderen. Die Chorsinger richtet er ab und die künftigen Musikanten. Das ist eine Müh', die nicht jeder ausführen kann und zudem: der Pfarrer ist sein Freund. Sie gehen oft zusammen, das Kellerkörbel am Arm. Da wärs ein schlechtes Ansehen, ein ungleiches Gespann, wenn nur der eine Glas und Kellertisch zu bieten hätte. Der Vierte aber war mein Vater. Doch weiß ich das nur mehr vom Erzählen. Meine großen Geschwister durften noch mitgehen, wenn die Mutter allein im Geschäft blieb und der Vater in einem Preßhaus draußen seinen lustigen Stand aufschlug, einen Stand mit vielen Würsten. Ist ein gutes Lesen, hört der Weinbauer das Geld schon leise klimpern. Also vergönnt er sich Rares. Welche Hausfrau aber hätte auch Zeit zu einem warmen Tisch? Einfach geht es her, kalt zum Frühstück, kalt Zu Mittag, kalt zur Jause. Die Sonne scheint, die Welt ist bunt und aufgeräumt, schön sitzt es sich im Rain bei Brot und Wurst und Nüssen. Trauben kann man essen den ganzen Tag. Nur abends gibt es Warmes.

Damals also hatte mein Vater eine Ka$se gleichwie der Klostermann, der Viehhirt und der Schullehrer, ein schwarzes Faß und zum Einfüllen ein Gießschor. Wer seine Wurst essen wollte, zahlte mit Most. Danach aber kam die Reblauszcit. Die neu-n Weinsorten mußten in größeren Abständen gesetzt werden, viele eingegangene Weinberge wurden nicht mehr angelegt, das Wein-gebirg trug nicht mehr so viel wie früher. Keinen Leser, keinen Fuhrmann brauchte man mehr aus Mähren, es reichten die eigenen Hände und Gespanne. Da lohnte es sich auch nicht mehr, daß der Kaufmann mit seinem Stand den Lesern nadizog. Ich war immer sehr traurig darüber, daß der Vater in dieser freudigsten, bedeutsamsten Zeit kein besonderes, kein wichtiges Amt mehr hatte, und über die Einbuße dieser lustigen Tage zwischen Lößwänden, Preßhäusern, Kellern, Fuhrwerken und Bottichen, Gstetten und Feldwegen, Stauden und Bäumen, klingenden Glocken und geschäftigen Menschen.

Rundum in den Weinbergen siehst du Gugeln, Janker und Männerhüte. Du siehst sie und stehst sie nicht. Das ist ein immerwährendes Bücken und Sidiumtun, und wenn der Tag noch so heiterschön ist, der eine oder andere Leser noch so ein Witzvogel und die Lese noch so reichlich, es bleibt immer das gleiche: In der Früh stehst du noch frank und froh, gegen Mittag beugst du schon das Knie, nach der Jause hockst du, gegen Abend aber rutscht mancher sitzend von Stock zu Stock. Das Buttentragen ist umstritten. Wer stark, sehnig ist, dem kann ich's nur rater]. Es ist ein männliches, ein luftiges, ein freies Geschäft. Zieht auch die volle Butte merklich, zurück gehst du leer, immer aber gehst und stehst du aufrecht. Und deine Pfeife, deine Zigarette kannst du dabei probieren.

Am besten ist das schwarze Bürschel dran. Es ist der einzige wirklich Freie in diesen vollgemessenen Tagen. Krachend, sdierzend, simulierend fährt der Pep durch das Tal, von einem Weingebirg zum anderen. Oft auch läßt er draußen am Wald den Wagen stehen, holt inzwischen drüben am Schatzberg einen. Dann reitet er. Das ist erst ein Stolz. Man sieht das ganze Jahr nicht so viel Reiter im Markt als jetzt an einem einzigen Tag. Und manchem von ihnen war ein Steigbügel, wie ihn die Soldaten haben, noch viel -zu groß.

Überhaupt, randvolle Tage sind's für die Kinder. Mit weißen Fürtüchern, Bütteln, Kübeln und Messern rücken sie aus wie die Großen. Aber vor lauter Weinbeer, vor all dem Erregenden, Bunten, das es im herbstlichen Feld, in der Trift, auf Rossen und Wagen, auf Bäumen und Preßhausdächern gibt, könnten Ausdauer und Ernsthaftigkeit leiden. Schade, daß der Vater, daß die Mutter so streng ist. So gern möcht' man, ein wenig flanieren! Elstern ziehen blank schwarz-weiß durchs fröhliche Blau, Rotschwänzchen schlagen, der persische Apfel, den wir beharrlich Pferscha nennen, ist reif, Nüsse soll man bossen und schälen und essen, denn man bekommt davon so wunderbraune Hände. Was aber Allerschörwtes daran ist: Kaum hat das Ach und Weh wieder begonnen, bringt das Lesen wie einen köstlichen Nachtisch zwei lehrerlose Wochen.

Die Großen schliefen ohne diesen Gewinn von Stock zu Stock. Über tausend können leicht in einem Weinberg stehen, und wenn's gerät, hängt an einem ein Dutzend Trauben, Die Handgriffe laß ich dir zählen! So kommt's, daß dann die Hausfrau, ansonsten beflissenste Hüterin der Erträge und Ernten, sich kreisend aufrichtet zwischen all dem verwirrenden Segen, hinschaut über den Weingart und seufzt: „Fleiliger Gott, nimmt's denn noch kein End'?

Das Wissen, es gilt die letzte große Müh, versöhnt. Und es versöhnt der schenkende Tag.

Herbsüßer Mostruch wellt um die Trift, Arom zerbrochener, welkender Akazien rührt seltsam ans Blut, schimmernde Wolkenmilch sonnt im herbsttiefen Raum, Helle und Glast ist das Land, weithin liegen sichtig und strahlend blank die Kirchspitzen, die Orte, die Äcker, die gelben Hänge, die grünen Berge.

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