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Sie hat tausend Kinder

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„INSTITUT DER FRAU“ steht in zierlichen schwarzen Buchstaben auf fliederfarbenem Grund. Die dunkelbraun lackierte Tür zu einer jener großen Wiener Bürgerwohnungen öffnet sich, in der früher einmal Kristallüster und Genrebilder gehangen haben mögen. Ein junges Mädchen in weißem Mantel sagt höflich: „Bitte, treten Sie ein, Frau Doktor kommt gleich.“ In dem einfach, aber gemütlich eingerichteten Arbeitszimmer von Frau Dr. Traute Volkmann liegt Mietze. der erklärte Liebling, am Fensterbrett und wärmt sich an den ersten Sonnenstrahlen des Tages. Der Atmosphäre des Hauses und dem Anliegen des Instituts entsprechend, erwartet der Uneingeweihte eine ältere Dame in Aerztemantel. Nichts von alldem — eine junge, schlanke Frau mit kurzgeschnittenem, dunklem Haar und schmalem Gesicht tritt ein: „Verzeihen Sie, wenn ich Sie warten ließ, aber ich mußte noch eine meiner Patientinnen versorgen.“

Frau Dr. Volkmann, die ihr Leben in den

Dienst der Frau gestellt hat, kann auf eine sehr komplexe Ausbildung zurückblicken: „Meine Eltern hatten ein Friseurgeschäft. Nichts lag näher, als nach Absolvierung des Untergymnasiums in das Geschäft meiner Eltern einzutreten. Kurz nachdem ich die Meisterprüfung abgelegt hatte, wurde ich als Telephonistin kriegsdienstverpflichtet. Da ich in Wien am Schillerplatz stationiert war, hatte ich die Möglichkeit, nebenbei Abendkurse zu besuchen und die Externistenmatura zu machen. Nach Kriegsende inskribierte ich an der philosophischen Fakultät in Wien Germanistik. Als ich bemerkte, daß mein Interesse für die phonetische Entwicklung der deutschen Sprache mehr und mehr nachließ, sattelte ich auf Psychologie um.“

Neben ihren Studien in Psychologie bei Professor Rohracher, wo im Jahre .1949 aus dem Fräulein Volkmann eine Frau Doktor wurde — das Dissertationsthema lautete: „Ausdruck und Eindruck“ — eine experimentelle Studie über Gesten und Gesichtsausdruck, hervorgerufen durch verschiedenste seelische Eindrücke —, absolvierte sie bei Frau Prof. Rosalia Chladek eine gründliche Tanzausbildung. Eine tanzende Psychologin findet man nicht jeden Tag…

1950 gründete die frischgebackene Frau Doktor eine Gymnastikschule am Franziskanerplatz. Ein Jahr später übersiedelte sie dann in die Garnisongasse.

DA ES SICH BEI IHREN SCHÜLERINNEN vorwiegend um junge Frauen handelte, ergab sich häufig der Fall, daß eine meldete: „Frau Doktor, es tut mir leid, aber ich kann jetzt nicht mehr kommen, ich erwarte ein Baby.“ Sie sah die Schwierigkeiten, mit denen die jungen Frauen in dieser Zeit zu kämpfen hatten, erkannte, daß sie ja gar nicht richtig über das Bescheid wußten, was in ihnen nun vorging, und beschloß, :n Zusammenarbeit mit Dr. Roland Schmiedeck, der eben von einer Studienreise aus England zurück gekommen war, den Frauen auch während dieser Zeit beizustehen, sie in körperlicher wie in seelischer Weise zu betreuen.

Sie alle hatten Angst, Angst vor Beschwerden, Angst vor dem Schmerz. Aber das muß doch nicht sein, dachte Frau Dr. Volkmann, und erinnerte sich an das Buch „Mutter werden ohne Schmerzen“ von Dr. Read: „Kommt nicht viel darauf an, daß wir durch Erziehung und Unterweisung in der Frau das wahre und natürliche Glück der Mutterschaft als geistige Vision erzeugen? Das innere Bild des von ihr erwarteten Erlebens sollte ein Abbild alles dessen sein, was erfüllte Liebe an Schönem zu bieten hat. “ — Ja freilich, ein „Sei tapfer, Liebling“ von der Mutter der Gebärenden beim Verlassen des Zimmers, mit gespanntem blassem Gesicht voller Teilnahme gesprochen, ist ein ausgezeichnetes Mittel, Schmerz zu erzeugen.

„Keine Angst, nur keine Angst, wir haben genug Gas, wenn es zu schlimm werden sollte.

Natürlich noch nicht jetzt, jetzt müssen Sie durchhalten, solange Sie können" — diese Sätze aus dem Mund eines fröhlichen Mediziners sind ebenfalls geradezu eine Einladung an den Schmerz.

BEHUTSAM GING FRAU DR. VOLKMANN, unterstützt von einigen Aerzten, daran, die Frauen, die sich ihr anvertrauten, auf ihre große Stunde vorzubereiten. In Vorträgen wurden die Frauen informiert, was sich alles in ihrem Kör-' per begibt, wie und auf welche Weise das junge Leben in ihnen heranreift. Ein Frauenarzt sprach über die Geburt und wie sie selbst dabei mithelfen können, ein praktischer Arzt über den rein physiologischen Vorgang während der Schwangerschaft und dem Wochenbett, ein Kinderarzt unterrichtete die aufmerksam Lauschenden über Säuglingspflege.

In Gymnastikkursen betrieb man Atem- und Entspannungsübungen, die die Frauen körperlich auf die Geburt ihres Kindes vorbereiten sollten. Die ganze Vorbereitung dauert insgesamt fünf Monate, wird also mit dem dritten oder vierten Monat der Schwangerschaft begonnen.

Die „werdenden Väter" kamen zu gesonderten Vorträgen und lernten hier ihre Frauen besser verstehen und gewöhnten es sich ab, mit sehr männlichem Achselzucken die Beschwerden ihrer Gattinnen als „Hysterie“ abzutun. Nicht nur das, sie lernten, wie man ein Baby wickelt, wie man es füttert und badet — man weiß ja &ie, jyozu jįas gut,sein kann, ,

Sie lernen vor allem aber die Ursachen und Beweggründe so vieler, ihnen zunächst unverständlich erscheinender Regungen der jungen Mutter verstehen. Sie erkennen auf einmal, daß das Wunder der Menschwerdung eine viel tiefer greifende Wandlung im Körper und in der Seele der jungen Frau vollzieht, als sie es jemals ahnten.

Und mit dieser Erkenntnis Hand in Hand geht ein Gefühl tiefen, bewußten Glücks. Die jungen Väter lernen das Wort eines großen Gynäkologen verstehen, der ihre Aufgabe mit der Aufgabe des nestbeschützenden Vogelmännchens verglich. Viel stärker als in anderen Zeiten muß der junge Vater seine Frau behüten, umsorgen, Gefahren von ihr abhalten. Er wird es um so lieber tun, wenn er weiß, wieviel davon für seine Frau und sein Kind abhängt.

DA WAR EIN JUNGES, ZWANZIGJÄHRIGES MÄDCHEN, das mit Begeisterung und aus reiner Freude an der Bewegung die Gymnastikstunden im „Institut der Frau“ besuchte. Eines Tages klopfte sie an die Tür von Frau Doktor Volkmanns Arbeitszimmer, den blonden Lockenkopf gesenkt. Ihre Augen glänzten in Tränen: „Frau Doktor, ich bin verzweifelt, ich bekomme ein Kind." — „Aber, das ist doch herrlich, das ist doch kein Grund, verzweifelt zu sein“, suchte sie das Mädchen zu beruhigen. „Es ist ja auch nicht so sehr das Kind, aber es wird keinen Vater haben, ich kann diesen Mann nicht heiraten, er hat mich zu sehr enttäuscht. Und was ist ein Kind ohne Vater?“ Sie zitterte am ganzen Körper, ein Häufchen Elend, saß sie da. Frau Doktor Volkmann ist es gelungen, aus diesem unglücklichen Mädchen eine glückliche, ja wenn das Wort nicht so abgebraucht wäre, eine „stolze Mutter" zu machen, die ohne Schwierigkeiten die Zeit der Schwangerschaft bewältigte und ohne Schmerzen ihr Kind zur Welt brąęhtę. „Ja", seufzt die junge.imi yhjju Jyjp tausendfache „Mutter", „solche Fälle ergeben sich immer wieder, und man muß viel Sorgfalt und Liebe aufwenden, sie wieder ins richtige Geleise zu bringen.“

MIT DER GEBURT EINES KINDES sind die Aufgaben des „Instituts der Frau" aber noch keineswegs zu Ende. Praktisch reißt der Kontakt zwischen Institut und junger Mutter überhaupt nicht ab. Gleich nach der Entlassung aus der Klinik können die jungen Frauen an Kursen teilnehmen, in denen ihnen durch eine spezifische Gymnastik geholfen wird, die Figur wiederzugewinnen, aber auch die Lage der inneren Organe wieder zu festigen.

Damit allein ist es aber nicht getan: Häufig treten nach Entbindungen seelische Krisen auf, Zeiten der Depression kommen. Die junge Mutter fühlt sich den Aufgaben nicht gewachsen, die vor ihr liegen, sie wird mutlos, sie resigniert. Frauen, die alle Schwierigkeiten der Schwangerschaft klaglos meisterten, lassen sich plötzFch gehen und gefährden oft genug damit ihre Ehe.

Mit einem klugen Wort, einer nachdenklich stimmenden Bemerkung lassen sich diese Krisen meist schnell überbrücken. Das beste Heilmittel ist jedoch die Gegenwart so vieler Leidensgefährtinnen, die alle die gleichen Probleme haben und mit ihnen fertig werden müssen.

ES GIBT KEIN LEBENSALTER, das im Institut der Frau nicht berücksichtigt würde. Der Säugling lernt an der Hand einer erfahrenen Aerztin seine ersten unbewußten Bewegungen in zweckmäßige Gymnastik verwandeln. Mit diesen frühen Uebungen kann man noch unendlich viel ausgleichen, eventuell vorhandene orthopädische Schäden werden behoben, das Gesamtbefinden des Kindes hebt sich, die Reaktionsfähigkeit steigt. Die Drei- bis Vierjährigen kommen dann schon selbst zu ihren Gymnastikstunden, die genau auf ihre individuellen Gegebenheiten abgestimmt sind. Die Schulpflichtigen, die Teenager, die jungen Frauen - alle haben sie ihre eigenen Kurse, in denen die physische Gesundheit ebenso berücksichtigt wird wie die psychische.

Gesund - gepflegt und glücklich zu sein, das ist wohl der Wunschtraum aller Frauen. Der Weg dazu ist leichter zu finden, als man glaubt, wenn man berücksichtigt, wie stark die Wechselwirkung von Körper und Seele ist.

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