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Erica Fischer erzählt Historie - und das unglaubliche Schicksal ihrer Eltern.
Erica Fischer erzählt Historie - und das unglaubliche Schicksal ihrer Eltern.
Sie hatten sich Hals über Kopf ineinander verliebt. Weder seine Haft nach den Kämpfen 1934 noch ihre Deportation zurück nach Warschau konnte sie davon abbringen. Der Buchhalter Erich Fischer reiste der Goldschmiedin Irena nach, heiratete sie und setzte sich rechtzeitig mit ihr 1938 nach England ab. Sie als Jüdin bekam einen Flüchtlingssonderstatus, der ihm, dem Christen, verwehrt blieb. Beide betrachteten sich als konfessionslos, links, liberal. Als der Krieg begann, wurde Erich, wie viele Tausende Deutschsprachige, der Mitgliedschaft einer 5. Kolonne verdächtigt. Im Juni 1940 wurde er interniert und mit über 2000 anderen Männern deportiert. Irene blieb zurück im bombardierten London, später als Haushaltshilfe und Fabriksarbeiterin auf dem Land. Über Monate hörte sie nichts von ihrem Mann. Sämtliche Versprechungen der Behörden erwiesen sich als haltlos.
Geschichte der Eltern
Die katastrophalen Bedingungen auf der "Dunera" mit ihrer großteils kriminellen Besatzung, die Verbringung in das Wüstencamp Hay im Südosten Australiens, das von Künstlern und Wissenschaftlern geprägte Lagerleben dort und die aufwendige Rückführung 1941 schildert Erica Fischer aus besonderer Sicht: Sie ist das Kind von Erich und Irene, die 1942 in St. Albans wieder zueinanderfinden durften und 1948 nach Wien heimkehrten. Fischer gelingt der Spagat zwischen Roman und Tatsachenbericht: Sie flicht Originalbriefe ein, wechselt konsequent die Erzählzeit, um klar zwischen historischen Fakten und nacherzählter Liebe zu trennen. Das private Dilemma als Teil der großen Tragödie berührt zutiefst, auch weil sich Erica Fischer erfolgreich als distanzierte Erzählerin übt. Die Befindlichkeit der Tochter ist kein Thema. Ein Detail ergreift: In der Mitte des Buches werden alle österreichischen und deutschen Internierten, die in Sydney an Land gehen, aufgelistet. Es findet sich mancher Name, der später Kulturgeschichte schrieb.
Erica Fischer, vielen seit ihrem internationalen Erfolg "Aimee und Jaguar" bekannt, hat die feministische Geschichte Österreichs seit den 70er-Jahren mitgestaltet. Seit mehreren Jahren lebt sie in Berlin und arbeitet immer noch journalistisch. Das prägt auch ihre Erzählstimme, die literarische Finessen und überraschende Sprachbilder nicht kennt. Ihr Verdienst ist es, aufzudecken und hinzuweisen. Mit Sorgfalt und Empathie drängt sie das Vergessen zurück und gibt der Hoffnung ohne Kitschverbrämung Raum.
Königskinder
Roman von Erica Fischer
Rowohlt 2012.299 S., geb., € 20,60