6642342-1958_02_12.jpg
Digital In Arbeit

Sie nannten ihn „Vater Radetzky“

19451960198020002020

Feldmarschall Radetzky. Von Oskar Regele. Verlag Herold, Wien-München. 576 Seiten, 109 Abbildungen, Karten und liebersichten. Preis 198 S .

19451960198020002020

Feldmarschall Radetzky. Von Oskar Regele. Verlag Herold, Wien-München. 576 Seiten, 109 Abbildungen, Karten und liebersichten. Preis 198 S .

Werbung
Werbung
Werbung

Der Oesterreicher hat wieder ein Vaterland, er liebt es und hat auch Ursache, es zu lieben. Doch er hat kein Vaterlandslied, das alle liebten und das sie auch Ursache hätten, zu lieben. Da gibt es eine offizielle Hymne, zu der eine bedeutende Dichterin den Text geschrieben hat. Außer den Schulkindern, denen man ihn einprägt, kennt ihn niemand, und die Musik — von Mozart, schön wie alles, was der je zum Tonkunstwerk fügte — will der einen Hälfte der Bevölkerung nicht recht zu Herzen gehen. Doch die andere Hälfte der Staatsbürger hegt ein ihr eingehämmertes Ressentiment wider die herrlichen Klänge, deren erhabenen Zauber Furtwängler so beredt gepriesen hat, wider die ehrwürdige Volkshymne von Haydn, deren einfach-einfältiger Wortlaut einst in die von der Geschichte bejahte Binsenwahrheit mündete, Oesterreichs Geschick bleibe innig mit Habsburg Krone vereint.

E i n Musikstück aber, das offizielle Nationalhymne weder war noch ist, weckt Jubel, und es reißt mit, sobald nur seine ersten Takte ertönen, beim Neujahrskonzert der Philharmoniker wie im Programm der im Fabrikhof gastenden Kapeile, und wenn die Spielleute des Bundesheeres damit einsetzen: Johann Strauß' „Radetzkymarsch“. Joseph Roth hat ihn zum Titel und zum Sinnbild eines meisterhaften Romans gewählt, in dem die Wesenheit des alten Oesterreichs eingefangen ist. Es sind aber nicht nur die in ihrer tänzelnden, graziösen Anmut unvergleichlichen und zugleich mannhaft-heroischen Rhythmen, die begeistern. Hier schwingt das Gedächtnis des schlichten und trotzdem so würdigen großen Menschen mit, der gewissermaßen die Quintessenz und die Verkörperung des Oesterreichertums gewesen ist, des Feldmarschalls Johann Josef Wenzel Anton Franz Karl Grafen Radetzky von Radetz.

Der kluge, tüchtige, feingebildete, musische, mit unerhört schneller Auffassungsfähigkeit bedachte Staatsmann und Feldherr, dem ein geradezu prophetischer Blick für künftige Entwicklungen eignete, er ist dem Bewußtsein derbreiten Massen entschwunden, wenn er überhaupt je — vom Ergebnis seiner im späten Alter erfochtenen Siege abgesehen — dort gelebt hatte. Unvergänglich haftet indessen in der Vorstellung der Nachwelt der gütige Greis, der von ihnen vergötterte Vater seiner Soldat en. Widerspricht irgend etwas den Ansichten der Volksstimme über das, was recht und billig ist, dann klagt die populäre Rejujj.ScJijajij oba (vom Himmel herunter), Vater Radetzky!“ S o hat ihn auch der Bildhauer Zumbusch auf dem Monument verewigt, das zuerst vor dem Kriegsministerium Am Hof, dann vor dem Neubau dieser Behörde am Ring zu Wien seinen Standort erhielt: der Feldmarschall, hoch zu Roß, und dennoch mitten unter uns, seine ausgestreckte Rechte zugleich den Weg weisend, und wie Segen spendend blickt hinab auf die Menge: ein Führer und ein wafmfühlender Beschützer. Der Hort Oesterreichs, als diesen hat ihn Grillparzer gefeiert: „In deinem Lager ist Oesterreich, wir andern sind einzelne Trümmer... Sind wir in uns zerfallen: in denen, die du führst zum Streit, lebt noch ein Geist in allen.“ Aehn-lich Anastasius Grün: „Da hat den Glauben er an Oesterreich festgehalten, Der sprühte in sein Schwert, der machte jung den Alten, da ward sein leuchtend Herz der Stern von Oesterreich.“ Und der Poet fährt fort: „Durch Güte ward er groß, durch Menschlichkeit und Milde! Zwar war's ein festes Herz, kein biegsam Wachsgebilde.“

Hier nun meldet ich die Gegenstimme. Was dem einen seines Staates Säule, ist dem andern sein Macht-die-Gair, könnte man Fritz Reuter abwandeln. Während Radetzky für die Oesterreicher den Inbegriff der Humanität darstellt, das fleischgewordene sanfte Gesetz, das einem Adalbert Stifter als höchstes Ordnungsprinzip galt, ist er der herkömmlichen Ueberlieferung der Italiener — vor allem der des Nordens, denn Toskaner, Römer und schon gar Neapolitaner oder Sizilianer verbinden mit dem langjährigen Generalgouverneur der Lombardei und Venetiens keine eindringliche Vorstellung — ein finsterer Tyrann. Wenn am Ende des „Piccolo mondo antico“ Fogazzaros der Held die Morgenröte der Freiheit ahnt, gleitet am Horizont über die dunklen Gewässer des, Sees der schwarze Schatten des Dampfers „Radetzky“, verhaßter Name und unheilvolles Omen. Die übliche Meinung entspricht in Italien etwa dem zu Lebzeiten des Verabscheuten vielzitierten Spruch: „Verräter, polnischen Ahnen entstammt, nun Deutscher und zur Hölle verdammt.“ Der Mann (und die Frau) von der Straße wissen nicht recht, warum sie einen feindlichen Nationalhelden als Satan betrachten. Meine gute alte Kinderfrau schimpfte mit mir, wenn ich — lang ist's her — schlimm war: „Du Garibaldi!“ Als mein Vater sie darum befragte, was oder wer denn dieser Garibaldi sei, sagte sie: „Dös waß i net, Euer Gnaden, aber was ganz was rchlimmes muaß er sein.“ Drüben, in Italien, haben sicher ungezählte wackere Leute beiderlei Geschlechts Radetzky als den Leibhaftigen geschmäht, ohne zu ahnen, warum. Das heißt, nein: weil er ihnen von den Intellektuellen als Schreckpopanz vorgemalt wurde. Die Legende des Risorgimento, zweifellos stolz

und grandios in vielem, hat sich, von kundigen

Propagatoren zugestuzt, ihre Betes noires, ihre schwarz-gelben Bestien, geformt. Sehr zu Unrecht Kaiser Franz', Metternichs und schon gar Radetzkys, die sämtlich eine große Schwäche für Italien und die Italiener hatten, weniger Haynau, die Hyäne von Brescia“, und General „Bum-Bum“, Gorzkowski, mit genügendem Fug die unterschiedlichen „Zaruck“, die Naderer und sonstigen Vertreter der Hermandad. Gegen diese Legende aber muß der um objektive Wahrheit bemühte Historiker, zumal im Falle Radetzky, ebenso ankämpfen wie gegen die husitische der böhmischen Geschichte. Einige italienische Forscher, voran Angelo Filipuzzi, haben das getan. Oesterreicher waren in diesem Sinne seit langem tätig. Doch die entscheidende Umwertung ist erst in dem bedeutenden Buch geschehen, das der Direktor des Kriegsarchivs und zeitweilige Leiter der österreichischen Staatsarchive General Oskar Regele neuestens, zu Weihnacht 1957, veröffentlicht hat.

Dieses hervorragende Werk, zum 100. Todestag — 5. Jänner 1958 — des Feldmarschalls erschienen, erheischt seinerseits Dank und Beifall, weil es die teuere Gestalt Radetzkys getreu und einprägsam zeichnet, die Quellen jeder Art musterhaft verwertend, mit dem Rahmen des allgemeinen Ge-

schehens der dargestellten Epoche völlig vertraut und, trotz einer spürbaren Neigung für den Gegenstand dieser Biographie, ohne Hang zur unöster-reichisch-übertreibenden Panegyrik. Vielleicht wäre etwas mehr von den, zumeist menschlich ansprechenden, kleinen Schwächen des großen Mannes zu sagen gewesen. Sicher ist der kurze Abschnitt über die Herkunft zu knapp: neben der Stammreihe wäre unbedingt die Ahnentafel zu beachten, mit ihren höchst bemerkenswerten Linien zu hervorragenden Feldherren — zum Beispiel Wallenstein, Niklas Salm —, mit ihren Royal Descents und in ihrer nationalen Zusammensetzung (sieben Achtel Tschechen, Einschlag von Franzosen, Briten, Italienern, Deutsche aller Stände, von der Fürstenfamilie bis zu emporgekommenen Finanzgrößen aus Bauerngeschlecht). Doch dieser einzige nennenswerte Einwand ist bei einer hoffentlich baldigen Neuauflage schnell und leicht zu entkräften. Als Ganzes ist die imponierende Gesamtleistung Regeies ein Meisterwerk, das ergreift und erhebt, das an neuen Ergebnissen überreich ist (zum Beispiel in bezug auf die voritalienische Zeit Radetzkys, besonders die Jahre 1809 bis 1815) und das dem Verfasser ebenso Ehre macht, wie es den Platz Radetzkys im Kreise der größten Feldherren und der bedeutendsten Staatsmänner dauernd sichert. Ein spezielles Lob sei der Ausstattung gezollt: dem schönen Einband mit Radetzkys Wappen, der vorzüglichen Bildauswahl, den Karten und Quellenreproduktionen. *

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung