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SIE STANDEN VOR DEM WUNDER

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„Meine Epoche beginnt mit 1870 und endet mit dem Reichstagsbrand“, soll Gerhart Hauptmann einmal gesagt haben. Fast möchte man ihm beipflichten, überblickt man, wie verhältnismäßig wenige seiner zahlreichen Bühnenwerke zu seinem hundertsten Geburtstag aufgeführt wurden, gar noch beim Vergleich etwa mit seinem jüngeren Zeitgenossen, unserm Hugo von Hof-mannsthal und dessen Jedermann-Aufführungen, selbst ohne die Regie Max Reinhardts.

Dichtung und Wirklichkeit sind eben zweierlei, zumal wenn man noch an die über unserem menschlichen Erfahren Waltende denkt. Das drängt sich uns nach dem Jahre, in dem uns der Tod einer Therese Neumann gemeldet wurde, um so mehr auf, als alle drei Vorgenannten einmal zu ihr wohl oder übel Stellung nehmen mußten, der Jude Reinhardt, der Protestant Hauptmann und der Katholik Hofmannsthal.

Es war noch im Jahre 1928, zwei Jahre, nachdem am Karfreitag im oberpfälzischen Dorfe Konnersreuth Therese Neumann, ähnlich dem heiligen Franz von Assisi, sichtbar mit den Wundmalen Christi gezeichnet, ihr Passionsleiden begann. Tausende hatten sich schon zu diesem furchtbaren Schauspiel eingefunden, das durch Dr. Fritz Gehrlich, Redakteur der „Münchener Neuesten Nachrichten“, weithin bekannt geworden war, ehe er katholisch und als gefürchteter Gegner Hitlers von dessen Horden ermordet wurde.

Damals witterte Hollywood ein Geschäft und bot Vater Neumann — nicht das letztemal — eine hohe Summe, wenn er das Passionsleiden seiner Tochter verfilmen ließe. Umsonst! „Mit der Religion macht man kein Geschäft“, war seine achtungswerte Antwort. Und doch war hiefür Max Reinhardt nach Amerika berufen worden, sollte Hofmannsthal das Manuskript schreiben, und die Filmschauspielerin Lilian Gish die Rolle der Therese Neumann übernehmen.

Hofmannsthal berichtete selber später, man hätte ihm vorgelegt, aus dem Leben der Stigmatisierten ließe sich doch ein eindrucksvoller Film machen, zumal er als Katholik, schon von seinem „Jedermann“ her mit der Symbolik des Barock vertraut, so etwas auch ohne Verletzung der religiösen Gefühle fertig brächte. Als er einmal im Herbst 1928 in Aussee von einem Spaziergang heimkehrte, gestand er erschüttert, heute habe sich etwas Schweres und Bedeutsames für sein Leben begeben: „Ich ging, meditierte und sann über die seltsame Aufforderung nach. Plötzlich überkam mich eine große Angst und Finsternis und — ich sah mit einem Male physisch greifbar vor mir, quer über meinen Weg eine Mauer, wo nie eine Mauer gewesen war. Non licet! Da hatte ich an etwas gerührt, das nicht der Kunst angehört!“ Bis dahin war er vorgedrungen bis zu jenem Etwas, das nicht mehr sichtbar gemacht werden darf; sein Leben lang hatte er alles ins richtige Licht, in die Form gehoben: Hier war die Grenze!

. Im September '''jfäs^jbenjföfg^vhl&exe- sich- am Neumann-Aus in Konnersrh/iW^Jl^^i $?'s4cbjrin und zeigte auf den Narrten ihres Erlaubnisscheines, den mnien Lilian Gish, da man damals noch solch einen Besuchsschein vom Ordinariat Regensburg benötigte. Da sie die deutsche Sprache nicht beherrschte, wies Pfarrer Naber sie ab, die höchst erstaunt war, daß sie der ihr begegnenden Therese Neumann selber gegenübergestanden. Tags darauf, am Donnerstag, an dem ja das Passionsleiden zu beginnen pflegte, sprach sie mit einer Dolmetscherin nochmals vor, um am Freitag fluchtartig Konnersreuth zu verlassen. Diese berichtete dann, die Schauspielerin hinge sehr an ihrer Mutter, die sehr krank sei und deren Wiedergenesung sie von Therese erbitten wollte. Pfarrer Naber äußerte hiezu, die Resl hätte wohl wahrgenommen, wenn die Amerikanerin etwas Unrechtes beabsichtigt hätte, und Lilian Gish hat sich dann geweigert, am geplanten Film mitzuwirken. So mußte Reinhardts Plan denn aufgegeben werden.

Ob damals noch die Schauspielerin Else Eckersberg bei Reinhardt in Leopoldskron weilte, entzieht sich unserer Kenntnis. Sie hat 1957 in der Deutschen Rundschau, Nr. 10, ihre Erinnerungen an Max Reinhardt und Gerhart Hauptmann veröffentlicht, deren wir in diesem Zusammenhang gedenken wollen. Die Stadt Liegnitz hatte 1942 Hauptmann zu seinem achtzigsten Geburtstag als Ehrung sein Schauspiel „Griseldis“ aufführen lassen, worauf auf Schloß Seichau eine Feier stattfand mit Tischreden, die der Gefeierte zwar aufmerksam anhörte, aber nur mit Kopfnicken und Erheben seines Glases beantwortete, um wieder ins Träumen zu versinken.

E|se Eckersberg erzählt: „Ich saß zu seiner Linken und wagte nicht, sein Schweigen zu stören. Da sah er unvermutet auf und sprach über sein Stück „Griseldis“. Die Festvorstellung hatte ihm gefallen, doch sei ihm das Stück schon ferngerückt. Seine Arbeit am unerschöpflich antiken Vorwurf, an der Iphigenie, verdrängte alle früheren Schöpfungen aus seinem Bewußtsein, außer dem „Till Eulenspiegel“, den er für sein größtes Werk halte, für das ihn Gott erschaffen - so sagte er wörtlich. „Und für .Hanneles Himmelfahrt' “, fügte ich hinzu. Er lächelte: „Ja, ich weiß, das hältst du für mein Bestes — aber ich schrieb es vor 49,. Jahren, und das liegt weit hinter mir.“

„Aber es ist dein Bekenntnis, dein Ewiges“, warf ich ein. Da schüttelte er sein Haupt und meinte: „Nein, das ist es nicht, gewiß nicht mehr. Ich kann nicht knieen.“

„Aber, Gerhart“, flüsterte ich erstaunt, „du kniest doch vor Goethe: wieso nicht vor dem Kreuze?“

Er starrte mich an — dann riß er seinen Stuhl weit weg vom Tisch und rief laut, so daß im ganzen Raum eine Stille entstand: „Was so eine Frau nicht alles sagen kann, so eine kleine Frau“ — und nun schob er sich mit dem Stuhl wieder zurück an den Tisch und sagte sehr deutlich: „Aber du hast recht, ganz recht — ja. ich kniee vor Goethe“ — und leise fügte er hinzu, nur für mich vernehmbar: „Der Menschensohn, gewiß — er ist der Größte aller Menschen — aber Gottes Kinder? Gottes Kinder sind wir alle. Ich kann nicht an Wunder glauben, ich rebelliere, wenn ich davon höre. Für mich ist das Leben einer Blume, das Blatt eines Baumes, die Stimme eines Menschen — alles das sind Wunder; aber das Übernatürliche — nein, das lehne ich ab. Der Schöpfer durchbricht nicht seine eigenen Gesetze; in ihnen will er verehrt werden.“

„Und das Genie?“ fragte ich. „Ist das so natürlich, so gesetzmäßig, Goethe, Shakespeare, Mozart, du?“

Er schwieg und sann lange nach. Alle am Tisch hatten aufgehört zu reden, niemand bewegte sich. Und dann kam es nach langer Pause — kam aus seinem Munde ein Name. Er sprach ihn aus, als ob er ihn immer bei sich trüge, als ob er ihn sich aus tiefstem Herzen holte: „Therese Neumann von Konnersreuth!“

Ich blieb still. Ich sah, wie sehr er rang, wie tief er in Ehrfurcht kniete, wie seine Weigerung eine letzte, schon nicht mehr gültige Auflehnung war gegen das ihn Bewältigende.

„Warum antwortest du nicht?“ fragte er sehr eindringlich. „Du bist in einem Ursulinenkloster aufgewachsen — was sagst du zu Therese?“

Mir wurde heiß, so hatte ich den großen Freund noch nie gehört, so bescheiden und gespannt etwas fragen. Ich rang nach Worten. „Ich sträube mich nicht, Gerhart; Gott gab uns das Leben; Er kann auch Heilige erwählen. Sie war sechs Jahre gelähmt und vier Jahre blind und wurde durch ein Wunder geheilt.“

„Das ist es nicht“, antwortete Hauptmann. „Ein Schock hatte sie krank gemacht, ein Schock hatte sie geheilt. Aber sie hat seit fünfzehn Jahren nichts zu sich genommen außer der Hostie — sie war Thereses ausschließliche Nahrung, und das ist Wahrheit, an der kein Mensch vorbei kann — auch ich nicht.“

Er verstummte für eine Weile.....Siehst du, ich suche wie du, aber“ — und hier machte er eine seiner weiten und unbestimmten Gesten, um in verwandeltem, humorigem Tone fortzufahren: „Aber ich bin Protestant: Ich muß zuerst protestieren! Komm, trink mit mir und sei fröhlich! Das Leben ist herrlich, und der Geist ist ewig!“

Als wir dann vom Tische uns erhoben, in ein anderes Zimmer uns begeben hatten, führte Gerhart Hauptmann dieses Gespräch mit meinem Mann weiter — bis drei Uhr morgens. Er kam von der Gestalt des Herrn nicht los. Sie hielt ihn wach in dieser Nacht und bis zu seinem Tode. So war ich nicht erstaunt und sehr glücklich, als ich von seinen letzten Bestimmungen hörte. Er verfügte, daß man ihm eine Kutte als Sterbehemd anziehen solle, die ihm 40 Jahre zuvor ein italienischer Mönch geschenkt hatte, und auf seiner Brust sollte liegen — das Neue Testament. So ging er ins andere Leben.“

Und Therese Neumann, wie starb sie? wird vielleicht mancher Leser als Abschluß wissen wollen, von der man hier jahrelang nichts mehr gehört hat oder hören wollte, indes tausende, nein zehntausende amerikanischer Heimkehrer sie vorher noch aufgesucht haben. Am 18. September empfing sie zum letztenmal von Pfarrer Naber die heilige Kommunion, die wie so oft ohne Schluckbewegung verschwand. Als aber der Arzt der Herzleidenden Strophantin in Wasser verabreichen wollte, ja selbst als ihre Schwester Marie ihr ein paar Tropfen Lourdeswasser geben wollte, erbrach sie es. Anscheinend hatte sich nach 3 5 Jahren völliger Nahrungslosigkeit die Fähigkeit ihrer Aufnahme verloren. Noch ein paar unverständliche Worte, vielleicht Ergänzung zu dem, was sie Kardinal Bea im Weingarten geantwortet hatte. Der hatte sie zum Gebet für das Konzil aufgefordert, worauf sie sagte: „Eminenz, ich meine, das kann man besser vom Himmel aus tun.“

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