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Sie suchen ihre Brüder

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In Rom fand ein Treffen statt, das die Öffentlichkeit kaum wahrgenommen hat: .95 Generaloberinnen aus allen Erdteilen und den verges-sensten Winkeln unseres Planeten kamen in Vertretung von mehr als einer Million Ordensfrauen zu einer zweiwöchigen Besprechung zusammen, zur ersten dieser Art in der Kirchengeschichte. Thema: „... gemeinsame Wege zu suchen zu einer echten Erneuerung in Christus und so das Evangelium lebensnah gegenwärtig zu machen für ihre Brüder unter den Menschen.“

Der Autor dieses Artikels war der einzige — wenngleich ungebetene — journalistische Zeuge dieses Treffens.

Sie suchen ihre Brüder, die Ordensfrauen, die wir kurz Schwestern nennen. Vielleicht ist es ihnen noch gar nicht ganz bewußt, daß sie Brüder suchen, Anschluß suchen an die Welt nach dem Konzil. Aber das ist der Eindruck, der sich immer mehr verstärkt.

Haben sie denn keine Brüder? Brüder in Christus, meine ich? Menschlich gesehen zu wenige! Sie haben Grund, sich allein gelassen zu fühlen: Verraten von den Christen, verkannt und verspottet von der Welt, die ihnen im gleichen Atemzug, in dem sie abfällig über sie urteilt, versichert, wie notwendig man sie braucht. Diese' Schizophrenie des öffentlichen Bewußtseins wirkt auf die Schwestern zurück: Sie suchen Anschluß, Gespräch, Rat und vor allem: Nachwuchs. Trotzdem kapseln sie sich ab hinter Rüschen, Schleiern, Gittern, versperrten Türen, Geheimnistuerei und einem „frommen Gehaben“, das uns Christen in der Welt (einschließlich der Priester) verdächtig bis unerträglich geworden ist.

Und dann sieht man diese Gesichter! Frauen, herrlich menschliche Gesichter, in der Liebe reif geworden, schweigend, aber Tag und Nacht für die anderen bereit, ja, was täten wir mit unseren Kranken, mit den Alten, die heute mehr und mehr abgeschoben werden, weil sich die Großfamilie aufgelöst hat, was täten wir mit den Kindern, für deren Erziehung die Jagd nach dem Wohlstand oft keine Zeit mehr läßt? Wer ginge in die Gefängnisse, um die Hoffnungslosen zu trösten? Wer zu den Aussätzigen? Wer bringt die übermenschliche Geduld für die gehirngeschädigten Kinder auf? Wer schließlich hat den Mut, sein ganzes Leben vor Gott hinzuwerfen in Gebet, Buße, Stille? Nicht zu reden von der Altenpflege, von ungezählten Stunden in den Schluchten menschlicher Einsamkeit und Verzweiflung, bei den Asozialen in den Kellerwohnungen, den seelisch Umnachteten in gespenstischen Nobelwohnungen, bei verzweifelten Müttern ohne Mann, bei den Mädchen, die die Gesellschaft ausgespieen hat, den Geschlechtskranken, Fünfzehn- bis Zwanzigjährigen mit gefrorenem Herzen, bei Negerfrauen, Südseeinsulanern, bei den Sexualsklavinnen süamerikanischer Favelas?

1,038.000 Ordensfrauen wirken in der katholischen Kirche, angetan mit den verschiedensten Schleiern, verpflichtet auf die ausgefallensten Ordensnamen, die uns fremder als chinesisch klingen, verstreut über den Erdball und — gelähmt vom Gespenst des“ Aussterbens, denn die „aufgeklärten“ Katholiken weigern sich, ihre Kinder diesen oft skurril erscheinenden Vereinen anzuvertrauen.

Zu welcher Kirche gehören die Ordensschwestern?

Aber kehren wir zurück zur Feststellung am Anfang: Sie suchen ihre Brüder.

Fühlen sich die Schwestern nicht in einer Gemeinschaft mit uns, mit dem Volk Gottes, dessen Vertreter in vorderster Reihe sie sein wollen?

Vielleicht ist diese Aussage gewagt, sie sei aber als persönliche Meinung gestattet: Im Selbstverständnis der Schwestern greift das Bewußtsein um sich, isoliert zu sein.

Die ausführlichen Konzilstexte („Lumen Gentium“ VI, „Perfectae Caritatis“) befassen sich wohl mit den Ordensleuten und geben wichtige Grundlagen. Diese Texte aber stammen von Männern. Sie sind zwar unter dem Titel „Ordensleute“ allgemein gültig, doch für die Situation der Ordensfrauen nur indirekt beziehungsvoll. Bischöfe, Äbte, Theologen, Spirituale haben diese Texte gemacht und letztlich männlich erdacht. Man erlaube mir die harte Ubersetzung von „zölibatär“ (es sei hier menschlich, psychologisch verstanden), aber: Junggesellen sprechen hier für Frauen, deren Psyche “ sie vom Beichtstuhl, vom Sprechzimmer, vom Schreibtisch des „Chefs“ aus, von Büchern kennen. In schönen Formulierungen spricht das sechste Kapitel von „Lumen Gentium“ über das Verhältnis der Orden zur Kirche. So heißt es etwa: „ ... die Kirche selbst nimmt, kraft der ihr von Gott übertragenen Autorität, die Gelübde der Gelobenden entgegen, erbittet ihnen durch ihr öffentliches Gebet Hilfe und Gnade von Gott, empfiehlt sie Gott, erteilt ihnen eine geistliche Segnung und vereint ihre Hingabe mit dem eucha-ristischen Opfer.“

Ganz in diesem Sinne hörte ich auf einer nationalen Versammlung von Ordensoberinnen einen vatikanischen Prälaten von der Verbindung der Orden mit der Kirche sprechen. Er führte aus, wie sehr der Segen Gottes den Gemeinschaften durch die Kirche zukomme. Als einziger männlicher Laie unter den Zuhörern drängte es mich, den Prälaten nach dem Vortrag zu fragen, welche Kirche er damit meine; und er antwortete mir: die Amtskirche. So sind also die Kurie, die mit den Ordensfrauen befaßten Bischöfe, päpstliche und bischöfliche Kommissäre und im weiteren Spirituale, Beichtväter, Hausgeistliche und priesterliche Vorgesetzte praktisch das, was die Schwestern tagaus, tagein als die Kirche erfahren. Wir Laien aber bleiben die Lieferanten des Nachwuchses und die Objekte schwesterlicher Fürsorge, und wir erscheinen ihnen, durch die Art ihrer Tätigkeit, erdrückend als „die Bedürftigen“, als die sündhafte Welt schlechthin, die Welt, „von der sie nicht sind“.

Sie suchen ihre Brüder! Sicher brauchen die Schwestern vor allem ihre geistlichen Brüder als Führer und Beschützer, und nicht alle Geistlichen sprechen hinter ihrem Rücken abfällig über sie. Aber der Klerus allein ist heute nicht mehr die Kirche. Deshalb wird es Zeit, daß wir Laien unser Verhältnis zu den Ordensfrauen neu entdecken. Wir brauchen sie ja als einzelne, als Gesellschaft, als Welt, als Kirche — und nicht nur ihre tätigen Hände, sondern vor allem die gefalteten. Besonders wir Eheleute und Familien werden den weiblichen Orden die Hand reichen müssen. Die theologische „Entdeckung“ der Ehe trägt alle Anzeichen, daß die historischen Mißverständnisse (Jungfräulichkeit als Stand der Vollkommenheit kontra Ehe, Zölibat gegen Sexualität, Angst vor personaler Beziehung zum Nächsten, Nächstenliebe kontra Eros usw.) aufgedeckt werden und der Weg frei wird zu einer menschlicheren, brüderlichen und schwesterlichen Kirche.

Wie soll dies nun geschehen? Sicher geschieht schon viel mehr, als man obenhin sieht. Die einzelnen Schwesterngemeinschaften sind

ihrem Geist und dem Stadium der Anpassung nach sehr verschieden in ihrem Verhältnis zur Welt; vor allem auch die einzelnen Schwestern, je nach Temperament, Bildung und Aufgeschlossenheit ihrer Oberin.

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