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Sieben auf einen Streich

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GRAZ

Sieben Premieren an fünf Tagen: so begann die Theatersaison in Graz. Das entspricht durchaus dem spektakulären Plakatstil der Intendanz Haberland, die solcherart ihr zweites Grazer Jahr eimleitete. In Wirklichkeit war dieser massive Beschuß für den Premierenbesucher weniger sensationell als strapaziös.

Hatte die vorige Spielzeit sich in recht beengender Weise Schriftstellern und Komponisten des Ostens verschrieben, so sind nun die Tore nach dem Westen geöffnet; leider nicht allzu weit, denn es fehlen im Programm dieses Jahres nicht nur wichtige Namen, sondern zumindest auch ein ganzes Land (die irische Dramatik kann man nicht einfach ignorieren!). Immerhin scheint Haberland das geographische Prokrustesbett, in das er den Spielplan drei Jahre hindurch zwängen wollte, doch schon als Folterinstrument (für den Zuschauer wie für die Künstler) erkannt zu haben.

Die Hauptlast der Premiererrwelle trug das Schauspiel. Die Opernsaison setzte weit zögernder ein. Erfreulich ist, daß nicht mit einer populären Erfolgsoper begonnen wurde, sondern mit Handels 1724 zum erstenmal aufgeführtem „Julius Cäsar“ in der textlichen und musikalischen Einrichtung durch den Göttinger Kunsthistoriker Otto Hagen. Das Werk, das als historischen Hintergrund Cäsars Aufenthalt in Ägypten hat, ist reich an musikalischen Delikatessen, stimmungsvollen Szenen und hörenswerten Arien. Das Ohr des Zuhörers aber ist heute durch Schalplatten und — womöglich mit alten Instrumenten — reisende Ensembles gerade im Hinblick auf die Bairockmusik sehr verwöhnt und leidet daher ein wenig unter der stilistisch nicht immer versierten Wiedergabe durch das für die Schwierigkeiten eines Barockwerkes nicht . genug geeichte Ensemble einer mittleren Opembühne. Dieses leichte Unbehagen ist trotz aller Freude an der recht gelungenen Aufführung, trotz der umsichtigen Leitung Berislav Klobučars, trotz mancher ansprechenden Sängerleistung (Kunikazu Ohasi als Cäsar, Stefka Todorowa als Cleopatra) nicht wegzudiskutieren. Dies um so weniger, als die Inszenierung (Andrė Diehl) und die Ausstattung (Josef Brun) sich nicht entschließen konnten, einen barock-historisierenden oder antik-historisierenden Weg einzuschlagen.

Außer diesem „Julius Cäsar“ trug die Grazer Oper zum Saisonbeginn nur eine Neueinstudierung einer älteren Inszenierung der „Carmen“ durch Klaus Homschak bei (sie litt darunter, daß die bewährte Altistin Hilde Roser eben keine Carmen ist) und einen neuen „Bettelstudent“, den Josef Kepplin- ger zwar flott, aber doch zu sehr ins Revuehafte transponiert hatte; der Dirigent Walter Goldschmidt ist schlechthin unersetzlich.

Der Hauptakzent des Schauspiels lag auf der österreichischen Erstaufführung von Dürrenmatts jüngster Komödie „Der Meteor". Der Inhalt dieses zweiaktigen Stationenstückes, in dem beinahe jede Viertelstunde jemand stirbt — nur der nicht, der es unbedingt möchte —, 1st nicht so wichtig und auch kaum des Erzählens wert. Der Einfall, von dem der Autor diesmal ausgeht, ist die Auferstehung. Die Auferstehung als Skandalon, als Ärgernis für eine scheinchristliche Welt, die zwar vorgibt, in gut abendländischer Tradition an die Auferstehung zu glauben, aber dann völlig aus dem Häuschen gerät, wenn wirklich einmal eine passiert. Der Nobelpreisträger Schwitter, der sterben will, weil er nicht an seine Auferstehung glaubt, ist — wie Dürrenmatt sagt

— eine Gestalt, die die heutige Christenheit versinnbildlicht. „Der Meteor“ ist ein Stück über das N icht-glauben-Können; wer seine Auferstehung nicht glaubt, gewinnt folgerichtig auch nicht das ewige Leben, sondern das ewige Sterben.

— Das hört sich einfach an. In Wirklichkeit ist das Stück aber äußerst kompliziert, keinesfalls leicht durchschaubar, dafür aber mit Zynismus reichlich ausgestattet. Wie in den meisten seiner Stücke bleibt Dürrenmatt auch hier einem — oft kabarettistischen — Einfall zuliebe mit Lust an allen möglichen Gags hängen, die makabrer Humor zu bieten hat. Wer an der oft amüsanten Possenreißerei Gefallen findet, wird sich unterhalten. Wer jedoch unter dem bunten Narrenkleid den Sinn dieser Farce entdecken möchte, wird lange suchen müssen, ehe einiges Licht in dieses Labyrinth dringt. Das Ungeordnete rtf' Werkes damit erklären zu wollten, daß der Autor sich nun der Form avantgardistischen Theaters verschrieben habe, geht in eine falsche Richtung. Denn Dürrenmatt selbst gab sich ja die Mühe, eine Art Leitfaden für die „Aussage“ seines Stückes zu verfassen. Rationalität scheint ihm also wohl etwas zu bedeuten — nur mit der Form klappte es offenbar nicht recht... Die Grazer Aufführung unter Klaus Gmeiners Führung war recht spaßig, dann und wann auch ein wenig fad. Darstellerische Leistungen von eigenwilligem Profil gelangen Anton Lehmann und Rosa Dybal-Kadlė.

Ein Triptychon neuerer englischer Dramatik war auf der Probenbühne des Grazer Schauspielhauses zu sehen: Ein interessanter Abend, der einen knappen Einblick in die angelsächsische Spielart des absurden Theaters vermittelte. Kontaktschwäche, Persönlichkedtsspaltung, Verschwimmen von Wirklichkeit und Illusion — das sind etwa die Motive der drei kurzen Stücke. John Mortimers „Mittagspause“ könnte so etwas wie gehobener Boulevard sein, bringt aber doch auch jenes Spiel des Identitätsverlustes und Rollenwechsels, mit dem Ionesco und Audiberti vor zehn Jahren hantierten. James Saunders Einakter „Ein unglücklicher Zufall" nimmt auf amüsante Weise das Alltagsgeschwätz unserer Fem- sehzivilisation aufs Korn unter dem Motto „Worte sind wichtig. Womit sollte man spielen, wenn nicht mit Worten?“. Das gewichtigste der drei Spiele ist Harold Pinters „Lieb haber“, der allein schon durch das Milieu an Edward Albee erinnert. Das Spiel, das die beiden Eheleute bei Pinter spielen, ist allerdings weniger kraß. Sie betrügen einander, und zwar miteinander, eine erotische Schizophrenie sozusagen, die zunächst eine feinsäuberliche Trennung zwischen Ehefrau und Dime, zwischen Gatten und Liebhaber vomimmt; ein Spiel folgt auf das andere, und alle gehen schließlich doch ineinander. Die Sprache Pinters hat ihren eigenen Reiz, der Dialog ist voller Poesie des Banalen, die vielen Pausen sind geradezu rhythmisch gesetzt. Gerti Pall zeigt sich in den drei Spielen jeweils von einer anderen Seite und bekundet damit ihr starkes Talent, Harald Harth trifft vorzüglich den Tonfall der Stücke (Regie: Günter Bauer vom Burgtheater).

Eröffnet wurde im Schauspiel mit Moliere. Rudolf Kautek inszenierte die „Schule der Frauen“: klar, auf den Text (Weigels deutsche Alexandriner) abgestellt, sehr präzise und dezent. Roussins „Nachprüfung“ schloß sich (wie seinerzeit in der Josefstadt) an und wirkte erwartungsgemäß schwach neben der jugendlichen Lebendigkeit des alten Moliėre.

Die letzte der Eröffnungspremieren galt einem harmlosen Nichts — „Unsere liebste Freundin“ von Taylor ist als Stück kaum der Rede wert, in der Regie Horst Foresters schon gar nicht. Emmy Bergmann allerdings ist eine unverwüstliche Könnerin, der weder ein mattes Stück noch ein hilfloser Regisseur etwas anhaben können.

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