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Sieben Sprachen und ein Strom

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SIEBEN SPRACHEN WERDEN AN DER DONAU gesprochen. Deutsch und Russisch sind Sprachen großer Völker. Slowakisch, Ungarisch, Rumänisch, Serbisch und Bulgarisch sind außerhalb des eigenen Landes unverwertbar und gehören überdies drei Sprachstämmen an, die einander völlig fremd sind.

Der Donaufahrer hält vor der Festung Peterwardein. Hier muß Prinz Ludewig begraben sein. Peterwardein hieß einmal das österreichische Gibraltar des Ostens. Und als ich in die Volksschule ging, lernten wir die Verse von der Türkenpfeife, die einem „Bassen“ (offenkundig Pascha) bei Belgrad abgenommen wurde. Was bedeuten einem heutigen Schulknaben Peterwardein und Belgrad? Saigon und Dien Bien Phu dürften ihm stärkere Begriffe sein.

Im ersten Weltkrieg gingen die Völker des Donaureiches auseinander. Im zweiten gewann die Großmacht, welche die Mündung des Stromes beherrscht. Daß die Sowjetunion nicht nur ihre Reiseschiffe, sondern 'auch die besten Fahrzeuge für den Frachtenverkehr in Korneuburg bauen läßt, ist schwacher Trost für das Versäumen von Möglichkeiten, die nicht mehr wiederkehren werden.

LIEGT WIEN AN DER DONAU? Auf der Landkarte ja, für die Städtebauer nein. Vielleicht schafft das

kommende Zentrum der Vereinten Nationen ein Donau-Wien. Ansonsten kann man ja baden und rudern, fischen...

Sowjetische Schiffe fahren bis Wien, in Ismail dürfte die Flagge Rot-Weiß-Rot Seitensheitswert

haben. Die Möglichkeit, daß Wien am Schwarzen Meer liegt, wird weniger genützt als die andere, das Schwarze Meer bis Wien auszudehnen. Auf der Fahrt donauabwärts klingen Strophen aus dem Nibelungenliede im Gedächtnis auf. War Österreichs Kulturarbeit an der Donau eine Fortsetzung des Nibelungenliedes, eine Einbahnfahrt ohne Rückkehr? War „der Nibelungen Not“ eine Vorahnung österreichischen Schicksals?

Die Flagge am Bug des Schiffes wird gewechselt. Rot-Weiß-Rot geht nieder, das tschechoslowakische „Dreifarb“ steigt hoch.

EIN STUDIENKOLLEGE lud mich nach Preßburg, pardon, Pozsony, ein. Ich muß nachtragen, daß der Kalender einen Spätoktobertag des Jahres 1918 zeigte. Vormittags war ich von Österreich in die ungarische Reichshälfte gefahren, abends brachte mich ein Behelfsfahrzeug zur elektrischen Bahn, denn inzwischen war in Budapest die Revolution ausgebrochen und meine Gastgeber wußten nicht, ob sie im ungarischen Pozsony, im slowakischen Bratislava oder im österreichischen Preßburg (auch daran wurde damals gedacht) leben würden.

Einst wurden die ungarischen Könige aus dem Hause Habsburg (Franz Joseph und Karl ausgenommen) in Preßburg gekrönt; die Stadt war Ungarns Laterne nach dem Westen. Heute ist Bratislava der

große Donauhafen der Tschechoslowakei, Ausfallstor und Eingangspforte für den Osten. Sowjetische Urlauber, die Brünn und Prag besuchen wollen, gehen hier an Land. Es ist, als ob die alte Stadt ihre Blickrichtung um volle 180 Grad gedreht hätte.

KEINER DER DONAUSTAATEN ist im Verleugnen der Vergangenheit so stark und so folgerichtig wie Ungarn. Von Ärpäd, dem Eroberer, führt die Kette der Nationalhelden über Franz Räkoczy und Ludwig Kossuth, die Kämpfer gegen Österreich, zur Gegenwart. Selbst An-drässy, Streiter von 1848 und später Außenminister einer Großmacht, ist von der Straßentafel verschwunden. Darf man vergleichen, daß in der Sowjetunion noch zahllose Erinnerungen an die Zarenzeit stehen?

Symbolisch hat sich das moderne Ungarn einem Nationalheiligen verschrieben, dem Bauernrevolutionär Georg Dösza vom Beginn des 16. Jahrhunderts. Der Mann, der nicht für den Kaiser des Sacrum Imperium, nicht für den Papst, nicht für den Sultan, nicht für eine der Magnatencliquen stritt, sondern von einer Bauerndemokratie träumte, schrie doch geradezu darnach, vom heutigen Ungarn als politisches Vorbild entdeckt zu werden. Man darf nur fragen, wie sich Dösza, hätte er

gesiegt, zwischen Kaiser und Sultar gehalten hätte. Wie machtlos eii kleines Volk zwischen den Großer ist, sollte der Ungar von heute wissen.

70 Kilometer südlich von Budapest steigen Rauchpilze zum Himmel; Ölleitungen führen vom Strome zum Schwerindustriezentrum von Düna-ujväros empor. Das Industriekomhi-nat, gestaltet nach sowjetischem

Vorbild, ist acht Kilometer lang. Vom Donauschiff sieht man keine einzige Fabrik, da die Erzeugungsanlagen durch die 50 Meter hohe Böschung

abgedeckt sind. Wer den Begriff Ungarn mit Paprika und Csardas verbindet, tut gut, umzudenken. ★

DIE WELTGESCHICHTE LIEBT SCHERZE. Von Serbien ging der

erste Weltkrieg mit dem Ende des alten Reiches aus; heute ist in keinem Donaustaat der Österreicher so beliebt wie in Jugoslawien, und immer wieder kann man hören, die

österreichische Zeit sei eigentlich doch die beste gewesen. Sogar das Staatsoberhaupt läßt über seine österreichischen Erinnerungen

manchmal Worte fallen, die nicht ganz auf der Parteilinie liegen.

Nebenbei: Nirgends hört man im Osten so viele Witze über Politiker und Partei wie in Jugoslawien, nur der Marschall ist tabu.

Belgrad wurde nach dem zweiten Weltkrieg aufgebaut. Die Wohnblocks stehen im ehemals österreichisch-ungarischen Semiin. Die Behausungen werden — nicht ganz kommunistisch — im Wohnungs-

eigentum vergeben, Kostenpunkt 7 bis 13 Millionen Dinar (350.000 bis 650.000 S). Das alte Belgrad, vor 1914 nicht viel mehr als ein türkisches Dorf, ist zur Nobelstadt der Ämter und Villen geworden. Nur einer wohnt betont einfach: der alte Marschall. Und der Fremdenführer fügt hinzu, der Marschall wolle, daß es jedem seiner Mitbürger gut und besser gehe.

WEM DIE GESCHICHTE HEILIG, dem muß Rumänien sympathisch sein. Am Kasanpaß, wo die Donau noch einmal so schmal wird, wie sie in Ulm gewesen war, werden die Erinnerungen an Kaiser Trajan gepflegt, der bestimmt kein Mitglied der KPR gewesen ist, und das ungarische Denkmal, das an den schwierigen Straßenbau unter König Franz Joseph und den Ministern Graf Szapäry und Baron Baross erinnert, hat die Trennung von Ungarn überdauert.

Mitten im Donaustrom liegt — noch — die Insel Ada Kaleh, das Abu Simbel der Donau. Als der Berliner Kongreß im Jahre 1878 die Grenzen zwischen Österreich-Ungarn, Serbien und Rumänien zog, wurde Ada Kaleh vergessen und die Insel blieb türkisch. Die Muslim lebten hauptsächlich davon, daß sie an die Badegäste von Herkulesbad und Mehadi'a Myriaden Ansichtskarten verkauften, die „bewiesen“, daß die Schreiber in der Türkei gewesen seien. Während des ersten Balkankrieges (1912/13) besetzte Österreich-Ungarn

das Eiland, 1918 wurde es rumänisch, 1968 wird es im Wasser versinken. Wir gehörten zu den letzten Besuchern und tranken den Kaffee, den uns die Türken spendierten. Nächstes Jahr wollen sie nach Anatolien

gehen ... Vielleicht kommt mancher als „Fremdarbeiter Mustapha“ zu uns.

Am Ausgang des Eisernen Tores wächst ein Ybbs-Persenbeug größten Stiles. Der Damm über die Donau wird 451 Meter lang und 60 Meter hoch. Schon rollen Wägelchen von einer Stromseite auf die andere, Kabelkräne und Laufkatzen sind

dem an Kraftwerksbauten gewohnten Österreich ein gewohntes Bild. Jugoslawien und Rumänien berechnen schon den Gewinn an Kilowattstunden. Aber schon im Räume von Ada Kaleh zeigen die Stützen der künftigen Straße Und Eisenbahn, wie hoch die Donau aufgestaut wird. Ada Kaleh wird „ersaufen“; vielleicht wird die Spitze der Moschee gleich dem Kirchturm von Graun in Südtirol 'aus den Fluten ragen und berichten, daß einmal an der Donau eine achte Sprache — die türkische — geherrscht hat.

ALS INDUSTRIE UND HANDELSSTAAT ist Bulgarien an der Donau der Benjamin. Aber auch hier mahnen rauchende Zementöfen und wachsende Hafenanlagen daran, daß der Bulgare mehr sein will als Rosenzüchter und Tabakbauer. Die zweistöckige „Brücke dar Freundschaft“ über die Donau unterhalb Russe und Giurgiu kann für besonders große Schiffe in der Mitte hochgezogen werden und ist zweifellos die modernste der vielen Brücken zwischen Wien und Cernavoda.

Braila und Galatz waren einst das Ende der Donaureise. Jetzt spürt man erst am Unterlauf, was der Strom für seine Bewohner bedeutet. Tragflügelboote mit 60 Kilometern in der Stunde besorgen den Verkehr zwischen Arbeitsstätte und Wohnung. Der Atem einer Großmacht wird fühlbar. In Ismail heißt's auf ein Hochseeschiff umsteigen.

DER AUSGANG DES ZWEITEN WELTKRIEGES hat die Sowjetunion zur Donaumacht werden lassen. Eine zielbewußte staatliche Wirtschaftspolitik hat die Chance genützt. Der Verkehr von der Donau ins offene Meer vollzieht sich durch den 115 Kilometer langen Kilja-Arm des Deltas. Sulina- und St.-Georgs-Arm sind nur für Fischer und Jäger interessant. Und über dem Kilja-Arm weht die rote Flagge mit dem Stern.

Der russische Reiseführer erzählt, Kilja sei eine Gründung griechischer Seefahrer, die, durch Dardanellen und Bosporus kommend, hier mit den Donauvölkern Handel getrieben haben. In der Gegenwart entwickelt sich Ismail zu einem Umschlagplatz des Welthandels in großem Stile. Von Wien kommend, kann man in Ismail umsteigen nach Jalta auf der Krim — übrigens auch eine Griechengründung, wie der Prospekt betont —, nach Istanbul und Athen, mit Fortsetzung bis Genua oder Venedig. Die sowjetische staatliche Schiffahrt nimmt gerne die Tradition der alten Griechen auf...

Meere und Flüsse bleiben, Völker kommen und vergehen. Einst stritten Kaiser und Sultan um die Donau, dann haben die Völker des alten Österreichs die weltgeschichtliche Prüfung nicht bestanden, heute ist die Sowjetunion der einzige Donaustaat, der den Namen einer Großmacht trägt. Und wer von Wien nach Ismail gefahren ist, der weiß, daß sich das Imperium des Ostens seiner Präsenz am Strome bewußt ist

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