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Simild und Jörgele

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Aller-Kindlein-Tag, der dritte nach dem Christfest, war da und zum letztenmal zogen die weißgekleideten und bekränzten Mädchen durch das Burggrafenamt. Sie trugen das göttliche Wiegenkind in die Häuser, wiegten es nach Herzenslust und in seKg dunkler Erwartung der großen Dinge, die noch kommen werden, sangen sie:

„Ist ja vom Himmel g'stiegen,

das kleine Kind.

Muß in dem Stall da liegen,

das arme Kind.

Wollen wir's in die Stube tragen, wollen wir's miteinander haben, Eija, heia-

du selige Weihnachtszeit!“

Die ersten Sternsinger gingen um, halbwüchsige Burschen in bunten Gewändern. Einer von ihnen hatte das Gesicht und die Plände mit Kienruß geschwärzt und von den Ohrläppdnen hingen ihm großmächtige Ringe aus Kapuzinergold. Es war der dritte und kleinste, der tolle Kaspar aus dem Mohrenland.

Mit Mohrenkrawall zogen die drei hinter dem kreisenden Stern her Die Leute in den Stuben sollten erschrecken und der Toni, der Fütterer beim Perthanes unter dem Berg sollte zum Rosser-Hiasl sagen:

„Kimm doch Hiasl, kknm und schau!

Es kommen daher drei wilde Wauwau!

Das Gepferd und das Gereit!

Schau doch, was das Ding bedeut?“

Am benachbarten .Tobelhof waren die kleine Simild und das Jörgele allein in der Stube. Sie hatten ihre Naschen an die gefrorene Scheibe gedrückt und phantasierten in die Frostherrlichkeit des kältesten aller Tage.

„So sein sie, die Walder im Morgenland“, sprach Klein-Simild, sie war so klug als schön und die Leute sagten: -Das Kind wird nit alt!“ und sie jammerten, denn alle hatten es lieb: --O mei. das Hascherl! Es hat no nie dürfen ehrlich sein Vater sehen, und sein Vater darf nit einmal an sein Gräbel gehen, wenn es zu den Engeln reist.“

Groß standen die braunen Augen in dem schmalen Gesicht und sie leuchteten wie Karfunkel, als nun klein Simild dem heiß hinhorchenden Brüderlein weiter erzählte: von den Palmen und den Wäldern des Morgenlandes, durch die heute die Himmel-mutter reitet und die drei Könige zieheirifk

„Sie kommen! Sie kommen! W

Da drüben sein sie, beim Perthanes unter dem Berg!“ jubelten! die Kinder, als sie der drei Gesellen ansichtig wurden. Ihre Herzen klopften und sie warteten und warteten, ob die Drei nicht auch nodi zu ihnen fänden.

Es verstrich eine gute Weile.

Die alte Uhr im Winkel schlug rasselnd halb und dreiviertel. Die alte Kindsdirn am Ofen war eingeschlafen. Der Jährling auf ihrem Schoß- der Säugling in der Wiege und das Spinnrad schliefen. Nichts rührte sich auf dem Hofe, denn die Mutter war nach dem frühen Mittagessen mitsamt dem Ge-

* Der Beitrag, den hier die Siidtiroler Dichterin der „Furche“ widmet, stammt aus ihrer Prosaschc)£fung „Meraner Mär“, von der einst gesagt wurde, sie stelle das Schönste dar, was je über Südtirol geschrieben wurde. — Historisch: Der Bauer Jörg Lanbacher, Besitzer des Tobelhofes bei Meran, der Vater der Kinder Simild und Jörgele, wurde als Anführer des sogenannten ,.Maiser Rummels“ unter Kaiserin Maria Theresia von den Gerichten verfolgt ond wurde landflüchtig, um dem Spielberg zu entgehen. Er wurde schließlich von der Kaiserin begnadigt. sinde in dk Stadt gefahren. Es war Bauernfeiertag und der Tag, an dem die Bäuerinnen, die einen Buschenschank hielten, ihn schlössen mit dem Unisehuldigen-Kindl-Trunk und Bratel für die eigenen Ehehalten, „d*e weinende Rachel zu trösten“.

Die beiden Strohwaisen am Fenster verzapp er ten vor kuter Ungeduld.

„Meinst, sie kommen?“ zweifelte und hoffte das Mädchen. Und das Jörgele schüttelte „Ja“ und „Ja“ und zum drittenmal „Ja“ mit allen seinen flachsblonden Locken.

Die Sternsinger ließen sich Zeit.

Drüben in der Perthanserstube sangen sie ihr Lied von der Wüste, vom Stern und vom Kind, von Weihrauch, Gold und bitterer Myrrhe. Dann tranken sie geruhsam und feierlich wie die Alten vom neuen Wein, den ihnen der Bauer in hohen Krügen vorsetzte. Die Bäuerin brachte Hauswurst, Kraut und Krapfen und die unersättlichen Bettelsinger griffen gierig zu.'Was sie nicht durch die Gurgel brachten, steckten sie in den Sack. Als der Tisch, der Krug und die Schüssel leer war, sagten sie ihr vielfaches Vergeks Gott her und wanderten weiter.

Erst schlenkerten sie dem Talweg zu, der zum Tobelhof führte. Dann aber fiel ihnen ein. daß sie die Bäuerin mit den Dirnen und Knechten in der Stadt gesehen hatten und darum nichts oder nicht viel zu erhoffen war. Sie kehrten um und wandten sich dem Bergweg zu, der unter den Ruinen der Brunnenburg vorüber zum Dorf und zum Schloß Tirol führte. Mit hell erleuchteten Fenstern schauten seine Fürstenzimmer in den fallenden Nebel, in den aufsteigenden, Bodenrauch, nun schon den zweiten Tag. Sonst lag der Palas Winter wie Sommer tot und dunkel.

„Hohe Herrschaften müssen in dein Gschloß sein“, mutmaßten die listigen Drei und auf herrschaftliche Gabe hoffend, schritten sie rüstig aus.

„Sie kommen nit!“ klagte der kleine Jörg vom; Tobelhof.

,.Kimm! Kimm g'schwind!“ drängte Simild. Sie zog ihr Brüderlein vom Fenster, stülpte ihm die wollene Tschoggelmütze über die Ohren, tat ihm den Mantel um und redete ihm zu:

„Wir wollen ihnen nachgehn. Die haben den Stern. Der redet mit ihnen in der Nacht, wenn alles schläft, und sie wissen, wo die Himmelmutter mit dem Christkind ist.“

Der schnarchenden Alten nahm sie die herrlich weiße und weiche Wolke Wolle vom Rocken. In der Labenkammer raffte sie schleunig einen schmalen Schurz voll Äpfel zusammen und bettete beides in den alten Korb, der endlich einmal seiner Windeln ledig, am Ofen lehnte.

Dann ho'te sie ihre Puppe.

Das war ein steifer, formloser Holzklotz mit zwei grellblau hingepinselten Augen, zwei Wangen und einem Mund, die alle drei einmal kirschrot geleuchtet hatten, nun aber längst schon bleich geworden waren von den vielen Küssen der zärtlichen kleinen Mutter.

„'s Liebste wollen wir ihm bringen, dem Christkindel, dem lieben“, redete Simild dem eigenen Herzen zu, alles Zaudern heldenhaft unter die kleinen Füße zwingend, und ein gleiches verlangte sie von dem Brüderlein.

Sie zog sein heißgeliebtes Hossa-hossa-reita-Rössel aus dt- Ofenhöhle und legte es ihm in den Arm, un'er den Mantel, an die kleine Brust.

„Meinst nit, es laßt mir's und bringt mir a Wagele dazu?“ fragte der kleine Mann, minder großmütig als sein Schwesterlein und liebkoste den steifen Schimmel.

„I sag ja“, blieb er auf Similds zweideutiges Schweigen hin bei seiner Behauptung von der Großmut des göttlichen Kindes.

„A Wagele und a G'wehr, Sporen und an Säbel, an Helm mit an großen Federbusch ... und den Vater ... den Vater,... daß er alm bei uns bleiben kann... nie mehr weg muß über die bösen Berg“, plauderte das kraushaarige Bürschlein über die Wiesen hin. Da weideten die Schafe und die Lämmer sprangen munter und linkisch dem Euter ihrer guten Mütter nach und der Jörg wieder sprang hinter dem kleinsten, allerlieblichsten Lämmlein her, dem ganz makellos weißen. Er wollte es fangen und dem Christkind bringen. Simild aber wehrte ab:

„Laß bleiben und schlemn di! Sonst holen wir sie nimmer ein, che drei König. Die haben längere Haxen als du und L“

Weit oben, am halben Berg erklang ihr Lied, blinkte der wandernde Stern aus den kahlen Kronen und die zwei Paar Kinderfüße säbelten ihm eiligst nach, den braunen Hang hinauf, durch das raschelnde Laub und die stacheligen leeren Igel der Edelkastanie, über Steinilammem und Muren, über schmal und klar dahinplätschernde Wässerlein, dann wieder unter entlaubten Wipfeln hin und durch den Eichenbusch, wo im Frühjahr die ersten Blumen blühen: Himmelschlüssel,- Leberblümchen und die blaßblauen Hundsveilchen ohne Duft und Glanz.

Sterne sind schneller als kleine Menschenfüße und bald war den beiden ihr Stern, sein Lichtel und sein Lied entschwunden.

Die Wege wurden fremd. So weit waren sie noch nie gekommen. Die Welt versank im Nebel. Nur allein noch die Muth ragte klar und feierlich bis an die leuchtenden Säume der Wolken und über der rauschenden Töll brannte ein breiter Streifen Abendrot.

Es begann zu dämmern und die Füße schmerzten.

Die zwei Wallfahrer aber fürditeten sich nicht und sie wurden nicht müde. Sie faßten sich an der einen leeren Hand und mit dem hölzernen Rößl und Puppenkind, mit dem Korb voll Wolle und goldener Äpfel wanderten sie tapfer, ohne Klage und ohne Frage ihrer Hoffnung nach.

Alles war möglich in diesen Tagen, da die Sternsinger umgingen, die Stuben wie Kirchen dufteten, Weißbrot auf dem braunen Tisch lag und das weiße Mus in der Pfanne ein sammetbraunes Hütlein von Zimmet trug.

„O ganz gewiß wird sie uns begegnen!“ beteuerte Simild ihrem kleinen Ritter Jörg.

„Sein wir nit drei Nachts im Stroh g'schlafen. dem Christkind zu lieb? Und die Mutter hat seinen Patern ein Kalbele geschickt und ein halbets Schwein den Eingesperrten, die Tag und Nacht beten müssen. Hörst, sie läuten schon wieder!“

Die Kinder standen und lauschten in den Nebel.

Sie waren droben beim Mateiler, wo der geplasterte Weg angeht und der Taleinwärtswind von der Tiefe, vom Rennweg her den Klang der Klarissenglocke trug.

Die Vesper war vorüber, die Komplet ging zu Ende und die Nonnen sangen der zunachtenden Welt das Magnifikat.

Über dem Virwchgau flammte es immer

noch, als war dort der Himmel offen. Von dort her, hinter den Kindern drein, aus dem Rauch, aus dem Klang der Magnifikat-glocken rollten Räder, klingelte ein Roßgespann, seltsam fremd und feierlich, tauchte eine schneeweiße Kutsche an... an den gespenstischen Weiden vorbei... durch che kahlen Weingüter und Wiesen... am Efeugespinnst ihrer Mauern hin ... näher und näher . . .

Nun war sie da.

Es lurlte der Bach.

Die Wegwart lauschte vom Raine. Lang hatte sie gewartet. Nun war sie blind, ihre blauen Augen waren erloschen, da das Große sich begab und das weiße Wunder an ihr vorüberzog.

Das Mädchen Simild aber sank kl che Knie.

Sie hieß ihr Brüderlein niederknien und faltete ihm die Hände über dem hölzernen Rössel. Voller Andacht und Seligkeit flüsterte sie ihm ins verhangene Ohr:

„Sie ist's! Sie ist's!

Die himmlische Mutter!

Keine andere als sie fahrt kn weißen Wagen durch die Weihnachtszeit.“

Und Simild breitete ihre Arme aus, weit über den Weg, über das letzte Restlein Schnee, der Mutter entgegen, mit dem Korb und dem Opfer: Puppe, Wolle und Äpfel, und das Jörgele reckte sein Rössel vor.

Da hielten die wundervollen Rosse an ...

„Was gibts da?“ brummelte der weiße Kutscher auf dem weißen Bock.

„Sei er still!“ gebot hinter seinem Rücken her eine Stimme, voll und tönend wie das Silber der Kirchenglocken. Das goldgeran-dete weißumschleierte Fenster öffnete sich und aus den Sdileiern neigte sich ein Frauenantlitz, das war sdiier so schön wie daheim am Tobelhof in der Kammer über dem einen, immer leeren Bett, neben dem Bett der Mutter, das Bildnis der Jungfrau und Mutter Maria. .

Und Klein Simild fing zu beten an, voM der Inbrunst und Geborgenheit:

„O liebste Mutter vom Himmelreich . . .“

Weiter kam sie nicht. Da geschah das Unfaßliche: Die weiße Tür sprang auf und sebwarzseidene linde Arme hoben den Korb, die Puppe und dann sie selber, den Jörg und sein Rössel in den Wagen. Der sdiwankte weiter, durch die leeren Weingüter, über die glitschigen Platten den ansteigenden Weg entlang, den hn Herbst die fröhlichen Fuhren der Weinlese bevölkerten.

Von der Töll her rauschte die Etsch und es fragte die himmlische i'.rau:

„Wer seid ihr, Kindlein.

„I bin die Simild-'' sprach das Mädchen und faltete die Hände.

„Und i der Jörg,“ echote das Brüderlein.

„Was tut ihr denn, so allein da in dem Nebel, auf dem Berg?“ forschte die Himmlische. *

„Wir sein di suchen gangen, Himmelmutter,“ gestand Simild, ein weniges kühner. Denn die unirdische Frau saß nicht allein in der langsam dahinschaukelnden Kutsche. Etliche Heilige waren bei ihr, Jungfrauen und Ritter, vielleicht waren es Könige, ja heilig und wahr, es waren wohl die drei Weisen aus dem Morgenlarde, denn der eine in dem roten Wams hatte ein kohlschwarzes Gesicht. Und alle drei und die beiden brokatenen Frauen sahen so menschlich aus und so erdhaft bieder und beleibt und ihre Mäntel und Gewänder und selbst die Schuhe waren so fröhlich bunt, daß den Kindern langsam wieder der Atem kam und das Jörgele gar dem einen, dem Manddl-äugigen, nach, der gerillten perlgrauen Straußenfeder auf dem Dreispitz griff.

„Wer hat euch den Weg gewiesen?“ verwunderte sich die gebenedeite Frau.

„Die, drei Könige mit ihrem Stern. — Bist du vielleicht einer?“, fragte nun Simild, schon ganz keck geworden, den einen, den atlassenen Alten mit dem silbergefaßten Binokel.

Der Alte aber schüttelte den Kopf: „Bin nur ein Diener der erlauchtesten Majestät!“

Sie hatten die große Kehre hinter sich und waren nun oben auf der freien Höhe. Der kalte Passe'rerwind pfiff vom Jaufen her und „die Passeirer Handwerker“, die Raben, flogen in tiefen schwarzen Schwärmen heimwärts, dem Etschtal zu. Die Pferde scheuten, bäumten sich und rissen mit sdiarfem Ruck an den Strängen.

Die Kutsche schaukelte und krachte und schüttelte ihre Insassen, daß es Puder von den Perücken schneite. Simild bückte sich nach den Äpfeln. Die waren dem fladien Korb entflohen und kugelten nun fröhlich unter den seidenen Säumen und den roten Lackstöckeln dahin.

Das Jörgele aber bot sein Rossel dar.

„Was soll ich damit, kleiner Tiroler?“, lachte die Majestät.

„Den Vater wieder heimführen, bitt schön, liebe Himmelmutter!“ bettelte todernst das Kind. Es patschte in die Hände und zwei große Tränen tropften ihm aus den Blauaugen und tropften — noch heiß von Weh und Inbrunst — auf die Hand der Königin und Kaiserin Maria Theresia.

Unsichtbare Wasser rauschten. Unsichtbare Herden läuteten, bald nah, bald ferne.

„In der Nacht kimmt er, der Vater“, erzählten die Kinder geheimnisvoll weiter, „feart als Zigeuner, heuer als Müller. Niemand dörfen wir es sagen, dir aber schon, liebe Himmelmutter! Er kimmt, wenn wir schlafen und wenn wir aufwachen und die Stiegen herunterkommen, ist er schon wieder weg.“

„Die drei heiligen Nacht sein wir im Stroh g'legen, wie dein Christkind... Daß der Vater wieder heim könnt in sei Bett“

„Wo ist er?“, fragte die Frau im Perlenreif, und Simild deutete nach dem Westen, wo der Tag zu verglimmen begann und die Straße ins Vinschgau und Schweizer-land steigt.

„Warum kommt er nicht? Kommt er heimlich und nur für eine Nacht?*', verbesserte sich die Majestät. Sie begann zu begreifen.

„Sonst fangt ihn die Kaiserin mit ihre Dragoner... und er muß ihr die Kasernen bauen und im Spielberg unter dem tropfenden Fels als Lebendiger begraben sein“, erschauerte das Kind.

„Ist sie eine so böse Frau, die Kaiserin?“, fra gte sie selber.

Ihre Oberstkämmerin, die Dame, die aussah wie die silberkrauseten Engel, die zu Christi Himmelfahrt unsern Herrn in seine Herrlichkeit holen, kicherte aus ihrer gelben Seide.

Jetzt ging es durch den Berg. Das Eingeweide der Erde moderte und tropfte. Unheimlich widerhallte der Klang der Schellen vom tropfenden Felsen.

Es war finstere Nacht und kein Schein ging um die himmlische Frau, wie auf den Bildern Mariens in den Stuben, Kirchen und Wegkapellen. Klein Simild fing in jäh aufbrennender Herzensangst traumleise zu singen an, wie ihre Mutter sang, wenn sie den Vater auf seiner heimlichen Fahrt über die Gletscher wußten: ,.Ave Maria, rosenrot! Klagen tu i dir unsere Not. I will dir zünden a rote Kerz, I will dir schenken a silbernes Herz: Durch den reißigen Wind, über die eisige Wand, führ uns den Vater wieder ins Land!“

„Laßt mich mit ihnen, allein!“, sprach die Kaiserin zu ihren Begleitern, als nun der Tunnel zu Ende ging, und sie stieg mit den Kindern aus.

Der Nebel lichtete sich und gab die Landschaft frei: Zur Rediten den Berg, die lehmig daherrausdiende Mur und an ihren zerfressenen Rändern die Erdpyramiden, gleich hageren, grauen Riesen mit steinerner Kappe; zur Lihken den Abgrund voll kahler Kastanienwälder, steiler Triften und weidender Schafe und darüber das Schloß Tirol.

Vierschrötig, von der Kraft längst entschlafener Heldenzeitalter aufgetürmt, un-bezwungen von den Geschoßen der Menschen und den heiligen Gewalten Gottes: Blitz und Donner, Wasser und Wind, wuchs der Bergfrit und sein kleineres Geschwister aus der Umklammerung tausendjährigen Efeus, und der felsgewordene Schutt eiszeitlicher Gletscher hob in schroffen, himmelhohen Riffen den Palas und die Kapelle über die Gewässer und Stürme der Tiefe.

Hoch über allem, älter und gewaltiger als alles, ragte die Muth.

Wo ihre Wälder endeten und das Gewölk begann, klebte das Lahnbacher Höfel am jähen Hang.

Ganz nah und deutlich sah man es in seiner Armut und Kühnheit: Den elenden Stall und Stadel, das Feuerhaus mit der gemauerten Stube und den hölzernen Kammern unter dem Schindeldach, die steilen Äcker und Wiesen, sorgsam bebaut und umzäunt, daß nicht Kind oder Kalb in die schaurige Tiefe falle, und geschaffen und erhalten von der gleichen trotzigen Bauernkraft, die drunten, die drüben den Turm und Palas von Tirol über den Abgrund stellte.

„Da oben ist der Vater daheim!“, deuteten und rühmten die Kinder.

Die Kaiserin schaute hinauf und schaute hinüb und ihre Frauenseele begriff, was sie an ihrem Schreibtisch in der Wiener Hofburg und aus dem Vortrag ihrer sieben weisen Minister niemals begriffen hätte.

Wieder fror sie von den Frösten des eigenen Herbstes und sie griff nach den kleinen Händen, die das hölzerne Pferd und Puppenkind umklammert hielten. Aber auch sie froren und waren steif und rot vor Kälte.

Da zog die Monarchin das Kindlein an sich, an ihren mütterlichen Leib, eines zu ihrer Linken und eines zu ihrer Rediten, und hüllte sie in das Rauchwerk ihres Mantels.

So schritten sie selbdritt über den Wildbach und durch die Dämmerung, im Rücken die urzeitlichen Riesen, vor sich im Nebelgejag die Burg der begrabenen Grafen von Tirol. Aus den Gräben und Schluchten trieb der Nebel an und spann sie ein. Der Tag und die Welt verging und die Kaiserin war allein mit den Kindern, mit den weidenden Schafen am Weg und mit dem Wort aus der Tiefe, vom Algunder Steinach her, aus dem Munde der Nonne, von der sie kam:

„Die Fürsten werden gehen die Schafe werden bleiben ...“ sprach die Schmerzensreiche aus der dunklen Flut ihrer Gesichte. Ihre Wunden bluteten, Blut sickerte durch die weißen Gebände um Stirne, Brust und Hand und in Blut verrannen die Augen der Seherin . .. •

Die Glocke von Dorf Tirol setzte in wuchtigen Schlägen ein und läutete zur Klage der Rachel. Der Pfarrer und seine beiden Gesellpriester saßen im Chorgestühl und sangen die Jeremiade vom Unschuldigen-Kindlein-Tag:

„So spricht der Herr:

Ein großes Jammern hört man in Rama,

Wehklagen und Weinen.

Rachel beweint ihre Kinder

und will sich nicht trösten lassen,

weil sie nicht mehr sind.“

Die Große von Algund, die hochgerühmte Marlingerin und alle Glocken der unsichtbaren Kirchen im Tal und auf den Bergen stimmten mit ein in die weltewige Klage aller Mütter und Waisen, die im Schatten der Kronen wehklagen und weinen.

Maria Theresia erschauerte.

Es war eine der Stunden, da ihr wissend wurde: Ihr Gesdilecht und seine Herrlichkeit, ihr Reidi und seine Krone würden vergehen und nur die Sterne der Barmherzigkeit würden die Nacht des großen Untergangs überdauern

Und Maria Theresia fragte die Kinder:

„Wo seid ihr daheim?“

„Da, wo diese Äpfel wachsen.

Die wachsen lei bei uns und im Himmelreich“, sagte Klein-Simild, und zog den einen Apfel aus ihrem Kittelsack. Die Monarchin aber reichte ihn dem Mandel-äugigen im Dreispitz, der ihr gefolgt war.

„Da... nehm er, mein lieber Graf Sylva ... und mach er seine Recherchen! ...“ gebot ihm die Kaiserin.

Sie waren beim Schlosse.

Wo sein Gemäuer in die tief ausgewaschene Moränenschlucht abfiel, lehnte eine zerlatterte Hütte und krochen mühsam aufgemauerte Rebleiten am sonnseitigen Hang hin. Der anrainende Baumgarten zog sich bis an den Sankt Peterer Weg und in Bäuerlein hinkte von Stamm zu Stamm, klopfte an die Rinde und sprach, laut und beschwörend:

„Baum, wach auf und trag! Es wachst der Tag.“

„Der Hias! Der Hias!“, jubelten erlöst die Kinder.

Der Hias war Fütterer bei ihnen auf dem Tobelhof — seit bald vierzig Jahren, und mit den Sparkreuzern dieser langen Zeit hatte er dem versoffenen Völlauer das Sdiloßgütel hier nahe dem Schloß Tirol abgekauft. Nun war er der Glücklichste auf der unzufriedenen Welt: Er hatte eigenen Grund und Boden unter den Füßen und konnte einmal als freier Bauer zu den Vätern fahren.

„Respekt, Hias!“ werden sie sagen, wenn er zu ihnen in den strahlenden Saal der Ewigkeit tritt.

„Wir haben dir nichts mitgeben können als gesunde Glieder und einen ehrbaren Sinn und du hast dir ein Höfl erhaust, dieweil andere ihr Erbteil verludert haben.“

So werden sie sagen. Sie werden aufstehen, einen Stuhl weiterrücken und ihn auf den Prälaten- und Magnatensitz an ihrer Tafel lassen, sinnierte der Hias an den Feierabenden, in den mondhellen Nächten, während er die verfallene Hütte flickte, den Weinberg neu bepflanzte. Beim ersten Hahnenschrei stand er schon wieder unten im Stadel und im Stall seines landflüchtigen Bauern. Dem versorgte er das Vieh. Es war ein Kunststück, wie er alles zustandebrachte.

Was drüben af 1 Weg und droben beim Schloßtor aus- und eintritt, kümmerte ihn wenig. Die weiße Kutsche war ausgefahren und wieder heimgekehrt; er hatte sie nicht beachtet. Erst der Anruf der vertrauten Kinderstimmen weckte ihn aus seiner Ver-sunkenheit.

„Ja, SfmiW und Jörgele, wo kömmts

denn her?“ wollte er erstaunt fragen und die Frage blieb ihm stecken, als er die wunder-wunderprächtige Dame sah. Da war die schöne Wittib des Leichardingers, des Schloßhauptmanns, den die Bauern im Maiserrummel erschossen haben, der reinste Bettel dagegen.

„Er da — braver Mann — führ er die Kinder heim — zur Mutter!“ redete ihn die Herrliche an und reichte ihm über den Zaun hin die spitzenüberrieselte Hand.

Zwei Nächte und zwei Tage brauchte der Hias, bis es ihm einfiel, wo ihm das erhabene Frauenbild schon einmal und öfter begegnet war.

Er lupfte den schweren Deckel von der Gewandtruhe und langte die Holzspanschachtel heraus. Darin verwahrte er den einzigen neuen Taler, den er noch besaß. Er trug ihn ans Licht seiner Stallaterne, tat ihr verrußtes Türlein auf und betrachtete ihn: den Adler mit den weit gespreizten Flügeln und Fängen, den beiden Köpfen mit den zwei Kronen, Scheinen und züngelnden Zungen, das Wappenschild im Herzblatt mit den vielen Zeichen, als eben so viel Reichen Österreichs und die Umrahmung: die Jahreszahl 1756 und Titel und Schriften, die der Hias nicht verstand und nicht ausbuchstabieren konnte.

Er drehte den Taler um und — heilig und wahr! — da war sie, das war sie, die ihm über den Zaun her die Hand und das hohe Lob entboten hatte und ihm die Kindlein, das Beste auf dieser Welt, anvertraute.

Der Hias erlebte seine große Stunde, auf die er ein mühsames und glanzloses Leben lang gläubig gewartet hatte.

Seine Hände zitterten. v

Die Augen wurden ihm naß.

Ganz nah an der rußenden Flamme beschaute er das Bild: Maria Theresia! Die Kaiserin, sie war's!

Er band einen frischgewaschenen Schurz um, den mit dem großen Nadelweißstern im rediten Zipfel und ging aus seiner Kammer am“ Roßstall, hinüber zur Bäuerin. Der mußte er's sagen. Er hatte sie lieb, wie sie alle liebten, die unter ihrem Dache, auf ihren weithin lagernden Gütern dienten und an ihrem wohlversorgten Tische saßen.

In der Stube stand ein nobler Herr, der mit dem Dreispitz und den roten Schuhen. In der Hand hielt er eine fremd-feierliche Rolle Pergament, entfaltete sie und reidite sie der Bäuerin:

Die begann zu lesen und erbebte. Sie griff nach dem Tisch... Sie setzte sich hin und las weiter. Tränen stürzten ihr aus den Augen. Nie hatte er sie weinen sehen, der alte Fütterer. Nicht als ihr Vater leichweis lag und nicht, als ihr Eheliebster von ihrem gesegneten Hofe und Schöße fort ins Elend fliehen mußte.

Nun saß sie da, las, weinte und lachte.

„Er kimmt! ... Er kimmt!

Der Vater kimmt und darf bei uns bleiben!“ jauchzte sie in die Wiege und dem Dieter ins kleine Ohr. Alle beide hob sie auf und nahm sie in ihre Arme: Das Gretlein zur Rechten und den Dieter zur Linken. Sie küßte sie, stürmisch und zärtlich, wie nie.

Sie riß die Fenster auf, schrie der Simild und dem Jörg auf der Wiese. Die waren schon wieder hinter den Lämmern drein.

Dann rief sie das Gesinde: Den ersten und den zweiten Knecht, den Melker, den Schäfer, die Kuchlin, die Kindsin, die Schweine-dirn und Stoff, den achtzigjährigen Senner, der im Austragstüblein sein Gnadenbrot aß,

jtech den fünfzig Sommern auf der Spronperakn.

Den Brautschatz: Gürtel. Krone und Flügelhaube holte sie und zwischen dem allsehenden, erderhaltenden Auge Gottes und dem sdiwebenden Heiliggeist über der Tischmitte breitete sie ihn aus wie damals, als ihr Herzliebster zum letztenmal in den Kalbenfall und der Hochzeitstag über die aufapernden Jöcher stieg. Sie zog ihr Werktagsgewand aus und legte den veilchen-farbenen Brautstaat an. Sie band den blühweißen Flor um die Schultern, über den besdienkten Schoß und schmückte den Wollwedel am Rocken mit dem Wimpel aus roter Seide.

Dann zündete sie alle Kerzen an. die im Hause waren, bis auf die rote- die nur dann brannte, wenn eines vom Tobelhof in Todsgefahr war.

Droben aber im Fürstenhaus über dem versunkenen Rosengarten erloschen die Kerzen, denn in de.- weißen Kutsche fuhr die Kaiserin davon.

Es ist dunkel blieben auf dem Schloß Tirol bis zum heutigen Tag. Nur die Berge leuchten in den leeren Palas.

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