Sinnbild für die Langsamkeit

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Zwischen Zürich und Wien rollt nicht nur der Fußball, sondern verkehren auch Nachtzüge, ideale Schauplätze für Handlungen aller Art.

Der Schweizer Autor Hansjörg Schertenleib lebte 1986 längere Zeit in Wien und benutzte daher häufig die Nachtzug-Verbindung Zürich-Wien. Das ist zwanzig Jahre her, liegt also vor der Ära der Billigflüge. Die nächtigen Zugfahrten haben den Autor jedenfalls nachhaltig beschäftigt, und so ist viele Jahre später daraus die Idee geworden, vierzehn Autorinnen und Autoren auf die imaginäre Reise mit dem "Wiener Walzer" zu schicken.

Der Nachtzug ist ein "Futteral für Träume" und, so Schertenleib in seinem Vorwort, "Sinnbild für die Langsamkeit". Das würden die österreichische Bundesbahnen so nicht sehen, die zwar regionale Pendlerverbindungen nach Kräften ausdünnen und verlangsamen, aber die lukrativer vermarktbaren Intercity-Verbindungen durchaus beschleunigen. Doch das spielt für die erzählten Reiseabenteuer keine Rolle.

Literarisches Reisegepäck

Schertenleib hat den Autoren einiges an Reisegepäck mitgegeben: Er skizzierte die Figur des Schaffners Andreas Berger, stattete ihn mit einigen Lebensdaten aus, gab den Fahrplan des "Wiener Walzer" bei und legte den konkreten Tag der Reise fest: die Nacht vom 21. auf den 22. Juni 2007, also die kürzeste Nacht des Jahres. Dass sich die Autorinnen und Autoren nur fallweise und nach Maßgabe ihrer Erzählprojekte daran gehalten haben, versteht sich gewissermaßen von selbst. Die Fahrtrichtung - Zürich-Wien - haben bis auf Franzobel allerdings alle eingehalten.

Spannend ist die Bandbreite der Erzählfelder, die in Verbindung mit nächtlichen Zugfahrten offenbar besonders rasch zur Hand sind. Der lange Arm der Agatha Christie ist in den - oft auch nur geträumten - kriminalistischen Erzählentwürfen (Mark van Huisseling) ebenso zu spüren wie die Option größerer räumlicher Flexibilität in Sachen Ehebruch, die der Beschleunigung der Reisemittel von Anfang an innewohnt (Keto von Waberer, Silvio Huonder).

Befristete Gemeinschaft

Geblieben ist auch die prinzipielle Irritation, die das Zusammentreffen Unbekannter in der befristeten Schicksalsgemeinschaft der Reisenden hervorruft. Das enthält die Chance wie das Risiko unerwarteter Begegnungen, unter denen - wie bei Alex Capus - durchaus alte Bekannte sein können.

Einige der Erzählungen machen tatsächlich den Schaffner zur Hauptfigur, ein fürsorglicher Betreuer allein reisender Kinder (Paulus Hochgatterer) kann ebenso aus ihm werden wie ein Blind Dates im Dienstabteil organisierender Homosexueller (Michael Stauffer).

Was die Erzählungen auch zeigen, ist die große geografische Ferne zwischen der Schweiz und Österreich. So lässt der Schweizer Autor Perikles Monioudis sein junges Liebespaar hartnäckig in Salzburg an der Donau spazieren gehen, noch dazu bei "Donauwetter" als Synonym für "feinen Regen". Selbst eine Beschleunigung der Zugverbindung Zürich-Wien kann die Kenntnis des Nachbarlandes offenbar nicht automatisch verbessern.

Den Fahrplan haben übrigens alle Autoren eingehalten - nur Christian Schüle verliert ihn in seiner etwas platt geratenen Literarisierung männlicher Ängste vor der finalen Machtübernahme der Frauen prompt aus den Augen und lässt den "Wiener Walzer" zwei Stunden zu früh durch Salzburg brausen.

Wiener Walzer

Eine literarische Reise mit dem Nachtzug von Zürich nach Wien

Hg. von Hansjörg Schertenleib

Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2008

187 Seiten, geb., € 18,40

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