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Sinnlose Narben für die Familienehre

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„Im Sudan wirst Du nicht als Jungfrau geboren, sondern zu einer gemacht.”-Ein archaisches Relikt fügt Millionen Frauen großes Leid zu. Die Furche recherchierte in Afrika.

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„Im Sudan wirst Du nicht als Jungfrau geboren, sondern zu einer gemacht.”-Ein archaisches Relikt fügt Millionen Frauen großes Leid zu. Die Furche recherchierte in Afrika.

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Die dunklen Augen der sechzehnjährigen Samira sind teilnahmslos auf die mit unzähligen Mücken verschmierte Wand gerichtet. Doch Doktor Tigani behauptet, ihr Leben retten zu können; mit „heavy antibiotaka”. Der Arzt ist der einzige in der Krankenstation von Sodiri inmitten des sudanesischen Sahel.

Das Penicillinpulver muß der Vater der jungen Frau auf dem Markt besorgen. Denn etwas anderes als milchglasige Infusionsflaschen, an einem Nagel in der Wand über den durchhängenden Betten befestigt, steht dem Arzt in seiner erbärmlichen Station nicht zur Verfügung.

Der Vater hat seine Tochter Samira vor ein paar Tagen hergebracht. Eine Tortour von gut einer Stunde mußte Samira bis hierher durchmachen, auf dem Bücken eines Kamels. Im Zelt der Mutter hätte die junge Nomadenfrau ihr erstes Kind zur Welt bringen sollen. Alles war dort vorbereitet, Ganzkörpermassagen mit Ol und Bauchbäder sollten Samira die erste Niederkunft erleichtern. Eine alte Daya, eine sudanesische Hebamme, war seit Tagen im Zelt. Aber erst nach dem Einsetzen der Wehen kam von der Daya die schlimme Diagnose: „Ma andaha tariq”, wörtlich „Sie hat keinen Weg”, bei ihr gibt es kein Durchkommen. Eine Standardformel der Dayas im arabischen Sudan.

Samira war beschnitten und infibu-liert, schlicht und einfach zugenäht. Und wegen der zu starken Vernarbung der Wunde konnte die Daya die Infibulationsnaht nicht öffnen. „Mit verstümmelten Gliedmaßen”, erzählt Doktor Tigani verbittert, konnte er das tote Kind nur mehr «us der Mutter herausholen. Für Samira in letzter Minute.

Was ihr als Mädchen und Frau angetan wurde, ist die Begel im Sudan, wo zumindest im Norden 90 Prozent der Frauen in der radikalsten Form verstümmelt werden: Noch im Kleinkinderalter müssen die Mädchen im nördlichen, arabisch-islamischen Teil des Sudan die „pharaonische Beschneidung”, „al fara'uni” über sich ergehen lassen: Eine Amputation der Klitoris, der la-bia minora und eine fast vollständige Vernähung der Wundränder.

Erst in der Hochzeitsnacht wurde die Naht wie üblich auf eine zumindest die ehelichen Pflichten ermöglichende Öffnung erweitert. Die vollständige Aufschneidung sollte erst kurz vor der Niederkunft erfolgen. „Das Mädchen lebt nur deshalb noch, weil jetzt Begenzeit war”, stellt Doktor Tigani nüchtern fest. Während der Trockenzeit leben die Nomaden fernab der Marktorte auf den Weiden. „Die Frauen sterben dann qualvoll auf dem Weg in eine Krankenstation.”

Buthayna Guma'a beschneidet nicht nur, sie betreibt auch ein kleines Bestaurant, eine Strohhütte außerhalb des Marktes gleich neben den Tränken. Und weil die Staatsmacht fern ist in der Nomadenprovinz, verkauft sie auch illegales Hirsebier. Ein wenig schämt sie sich für die kleinen liebgewonnenen Laster im gottesfürchtigen Sudan.

Auf ihre langjährige Praxis in der Beschneidung ist Buthayna jedoch stolz. Dementsprechend sind die Zu-Wendungen ihrer Klientel, die den Großteil ihres Lebensunterhaltes ausmachen. Ihre Klientel, das sind ausschließlich Mütter und Großmütter, die die Beschneidung ihrer Töchter und Enkel in die Wege leiten. Und sie sind zufrieden mit ihrer Arbeit. Von einer Daya wird eine sorgfältige Ausschneidung erwartet. Buthaynas Markenzeichen heißt „zayy ad-dalukiya”, wie eine Trommelbespannung, so glatt soll die vernarbte Wunde sein. Während sie das erzählt, klatscht sie mit den Handflächen aneinander und lacht! „Da bleibt nichts mehr übrig.”

Verlangen das die Männer? „Aber was”, entgegnet die Beschneiderin fast beleidigt, „die Beschneidung ist Sache der Frauen allein.”

„Im Sudan wirst du nicht als Jungfrau geboren, sondern zur Jungfrau gemacht”, so lautet schlicht die provokante These Behab Zenawis*, einer Studentin von der Universität Khartoum. Behab steht einer Initiativgruppe vor, die sich der Aufklärung um die Beschneidung widmet. Ihr Kampf ist einer gegen die Grundfesten ihrer eigenen Gesellschaft. Sie holt weit aus, wenn sie deren Strukturen erklärt.

Die sudanesische Gesellschaft hat ihre Wurzeln im nomadischen Milieu der arabischen Besiedlung vor fünf Jahrhunderten. „Quabila', der Stamm, der Clan und die Kernfamilie identifizieren den einzelnen, damals wie heute, geben ihm Sicherheit und versprechen Solidarität. Ein Gesellschaftssystem mit dem Ego im Mittelpunkt solch konzentrischer Kreise verlangt nach einem klaren Abstammungssystem. Einer „unilinearen Deszendenz”, wie es Soziologen nennen. Behab nennt es „patri-archy” und haßt es. Denn der oberste und einzige Garant für die Aufrechterhaltung dieser Ordnung ist die Jungfräulichkeit der unverheirateten Frauen. Oder zumindest die Illusion davon. „Können Familienehre und die Reinheit der Abstammungslinie, die so wichtigen Normen in unserer Gesellschaft, wirklich nur von einem dünnen Häutchen abhängig sein”, fragt Rehab und gibt zur Antwort gleich ein sudanesisches Sprichwort mit: „Die Narben der Infibulation sind das Siegel der Familienehre.”

Verbittert prangern die engagierten Frauen die Scheinmoral der sudanesischen Männer an. Freilich bestätigen auch sie die

Behauptungen der Dayas, wonach Männer nie bei Beschneidungen anwesend sind. Und selbst bei der Verstümmelung ihrer eigenen Töchter werden die Väter von den weiblichen Familienmitgliedern meist nicht einmal informiert.

Aber, so eine Studentin: „Kein Mann würde eine unbeschnittene Frau heiraten.” Auch jene Männer, die der Beschneidung skeptisch gegenüberstehen, wollen sich dem Gesichtsverlust, eine „ghalfa”, eine Unbeschnittene zu heiraten, nicht aussetzen. „Ghalfa” ist ein übles Schimpfwort im Sudan.

„Die eigentliche Jungfräulichkeit interessiert hier im Sudan niemanden, nicht einmal ein Wort haben wir hier für Jungfrau”, erklärt eine Studentin. Doch nur eine „machtu-ma”, eine „Vernähte”, und das im wahrsten Sinn des Wortes, findet einen Mann.

So ist tatsächlich der aus dem mediterranen Raum sattsam bekannte Brauch mit dem blutigen Leintuch in der Hochzeitsnacht im Sudan unbekannt. Wie auch sonst das Bild der Frau im Sudan erheblich von vertrauten Klischeebildern aus dem Orient abweicht. In den stets besorgniserregend überfüllten Bussen über die Nilbrücke von Khartoum nach Omdurman drängen sich Männer und Frauen hautnah. Niemand nimmt Bücksicht auf den mit einem Filzstift im vorderen Teil des Busses hingekritzelten Hinweis „Nur für Frauen”.

Und das, obwohl iranische „Berater” seit fast sechs Jahren fundamentalistischer Diktatur das wahre Frauenbild des Islams zu verkünden trachten. Verschleierte Frauen trifft man im Sudan kaum.

„In Nordafrika oder im Iran werden die Frauen hinter einem Schleier oder hohen Mauern versteckt, die Beschneidung ist nur das sudanesische Pendant dazu”, lautet die nüchterne Analyse einer jungen Hoch-schulassistentin. Worte, die in einem Land wie dem Sudan für böses Blut sorgen.

Immer wieder sind die engagierten Studentinnen den Anfeindungen glaubenseifriger Kollegen ausgesetzt. Tatsächlich fällt die .fundamentalistische Propaganda des Begi-mes vor allem bei den Studenten auf fruchtbaren Boden. Hinter dem Engagement der Studentinnen wittern die Eiferer nur einen perfiden Versuch zur „Zersetzung islamischer Moral” - und stellen sich damit selbst ein schlechtes Zeugnis islamischer Gelehrsamkeit aus.

Schon im Jahr 1924 sorgte ein Fetwa von Scheich Ahmad At-Tahir, einer islamischen Autorität Omdur-mans, für Aufsehen. Als heidnische Belikte brandmarkte der Scheich die Verstümmelung der Frauen.

Allerdings, eine einzige Mutilation an den Geschlechtsteilen der Frau sei zu empfehlen. Nach dem Studium alter islamischer Schriften kam der Scheich zum wahrlich überraschenden Ergebnis, eine minimale Beschneidung der praeputio clitoridis, „eine geringfügige Bit-zung würde der Frau helfen, den Anblick ihrer Geschlechtsteile zu

verschönern, und durch das Nachgeben der Haut bei der Berührung mit dem Penis ihre Befriedigung beim Geschlechtsverkehr zu erhöhen”. Und das alles „bism il-lahi”, im Namen Gottes.

Mit diesem Gutachten kam der Scheich auch den britischen Kolonialbehörden entgegen. Die hatten, mit einer gehörigen Portion Naivität, der Infibulation lange schon legislative Riegel vorschieben wollen. Wenn auch aus ganz anderen Beweggründen: „Abgesehen von den humanitären Aspekten ist die Begie-rung zutiefst an einem Anwachsen der Bevölkerung interessiert”, ließ der damalige Geheimdienstchef der Kolonie - ob der heiklen Angelegenheit „strictly confidental” - die Gouverneure der Provinzen wissen. Und damit war seiner Meinung nach nicht zur rechnen, so lange der Brauch der Infibulation anhält.

Professor Modawi, Gynäkologe an der Universität Khartoum, hält wenig von den Versuchen legislativer Eingriffe und den Thesen islamischer Gelehrter. „Die Bevölkerung hier ist strenggläubig und stolz auf ihr islamisches Erbe”, ist sich der Professor der tiefgreifenden Wertewidersprüche in der sudanesischen Gesellschaft bewußt: „Die Pyramiden am Nil sind für die Muslime hier nichts anderes als die Buinen der Heiden, und dennoch unterziehen sie ihre Töchter ausgerechnet der pharä-onischen Beschneidung.”

Seine Villa im Süden Khartoums verdankt der Professor seiner gynäkologischen Privatpraxis. Die Praxis ist ein sicheres Einkommen, aber es ist nur ein verschwindend kleiner Teil der sudanesischen Frauen, die überhaupt daran denken können, ihre von der Beschneidung herrührenden Komplikationen in einer Privatklinik behandeln zu lassen.

Dilemma der Ärzte

Professor Modawi ist auch Vorsitzender einer afrikaweiten Arbeitsgruppe gegen die Beschneidung. Die Zahl der Leute, die ihre Töchter mit einer unter hygienischen Umständen durchgeführten Beschneidung Gutes zu tun glauben, steigt. Die Ärzte stehen dann vor einem Dilemma. Modawi: „Verweigert der Arzt die Beschneidung, gehen die Eltern auch in den Städten zu einer Daya. Und bei denen sind die hygienischen Bedingungen zumeist katastrophal.” Außerdem hätte der Arzt die Chance, nur geringfügigere Verstümmelungen durchzuführen, zum Beispiel der Mutter eine Infibulation auszureden, oder gar nur eine symbolische Bitzung durchzuführen, bei der halt ein wenig Blut fließt, ähnlich den Vorstellungen des Scheich At-Tahir. Modawi: „Das Vertrauen in die ärztliche Hand ist in Afrika noch groß.”

Modawi weiß aus seiner früheren Arbeit am Land, wovon er spricht, wenn er eine unter möglichst hygienischen Umständen stattfindende Beschneidung zumindest nicht undifferenziert ablehnt: „Es wäre ein erster Schritt.” Tote Mädchen, sterbende Mütter und Neugeborene als Opfer der von Dayas durchgeführten Verstümmelungen kennt er nicht nur von Einzelfällen, „die Dunkelziffer der Toten ist erschreckend hoch”.

Der im Sudan berühmte Gynäkologe steht auch den gesellschaftskritischen Analysen der - seiner Meinung nach weltfremden - Frauen-gruppe von der Universität skeptisch gegenüber, auch wenn er ein von denen gefordertes Umdenken der Männer für möglich hält. „Freilich, die sudanesischen Männer würden bald unbeschnittene Frauen bevorzugen, würde sich der Gedanke einmal durchsetzen”, räumt der Professor ein, um fast zynisch zu ergänzen, „als Geliebte oder Prostituierte, aber doch niemals als Ehefrau.”

*Name von der Redaktion geändert.

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