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Sinnlose Tragödie?

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Hier bin ich, mein Vater. Roman. S.-Fischer- Verlag. 348 Seiten.

„Daß eine schäbige Entwicklung doch nur einem schäbigen Höhepunkt zustreben kann" (S. 295): das ist die für jeden offensichtliche Tragödie des Wiener Juden Otto Maier, eines durchaus mittelmäßigen jungen Menschen, dem es —- ob er sich’s eingesteht oder nicht — immer darum geht, nicht als Jude zu gelten: „Immer und seit je ist es mir doch nur darum gegangen, von den andern, die keine Juden waren, so behandelt zu werden, als ob auch ich keiner wäre, so behandelt zu werden wie ein normaler Mensch… Ich habe mein Judentum immer als Defekt akzeptiert, und die es mich fühlen ließen, immer als Ankläger. Ich habe nie zu vermuten gewagt, daß da vielleicht die Ankläger selbst an einem Defekt litten" (S. 323 f.). Weder zu Hause noch in seinem Volkstum, weder in einem echten Beruf noch in einer starken Liebe innerlich verwurzelt, wird Otto Maier vom „Anschluß" überrascht und sieht »ich bald einer politischen und seelischen Belastung ausgesetzt, der er moralisch nicht gewachsen ist: von der Aussicht, dafür seinen Vater, dem er entfremdet ist und an den er sich doch unlöslich gebunden fühlt, aus Dachau herauszubekommen, gibt er sich dazu her, ein „jüdischer Nazispitzel" zu werden. Zu spät, da sein Vater schon tot ist, sucht er in Paris in der Doppelrolle des verachteten Nazispitzels und des freiwilligen Spitzels gegen die Nazi sich „gleichzeitig zu rächen und zu entsühnen": „Das war es, woran ich scheitern mußte. Denn man kann zwar über eine mißglückte Rache zur Not noch hinwegkommen — über eine mißglückte Buße nicht" (S. 318). In völlige Ausweglosigkeit verstrickt, äußerlich und innerlich gescheitert, endet er durch Selbstmord.

Es geht Torberg um mehr als eine psychologische Deutung dieser Tragödie als eines „Vater-Sohn-Konflikts", der wiederum symbolisch hinweist auf den viel größeren Konflikt, in dem Otto Maier untergeht. „Warum sagen Sie: Juden?" fragt der weise M. Bourguignac. „Warum nicht: Söhne? Warum nicht: alle, für die es eine Rolle spielt, ob ihr Vater lebt oder nicht? Und warum sagen Sie: Nazi? Warum nicht: alle, für die das Leben ihres Vaters keine Rolle spielt? Alle, denen das Phantom eines Führers den eigenen Vater ersetzt und das Phantom einer höheren Gemeinschaft die eigene Moral? Finden Sie nicht, daß das die beiden Lager sind, zwischen denen der Konflikt vor sich geht?" (S. 348.)

Die viel tiefere Frage Torbergs gilt dem Verständnis des Judentums selbst. So paradox es zunächst scheinen mag: die äußerste Erniedrigung des Judentums in der Person des gestrandeten Otto Maier ist gleichsam nur der dunkle Schatten für ein helles Licht — etwa im Sinn des Axioms „Corruptio optimi pessima" zielt der Roman auf die Verteidigung des Judentums. Und dies nicht bloß im Sinne einer moralischen Rechtfertigung, wie sie Otto Maier in sein Tagebuch schreibt: „Soviel scheint mir sicher: für das, was an den Juden defekt geworden ist, haben sich die änderen zu entschuldigen, nicht die Juden" (S. 324). Sondern es geht Törberg um eine theologische Deutung. „Wir wehren uns ja gerade mit unsrer Moral", sagt der alte Religionsprofessor Bloch zu dem in Schuld und Verzweiflung Versunkenen. „Gerade mit unsrem Glauben daran, daß eines Tags Moral vor Gewalt gehen wird. Daß eines Tags … das Gute über das Böse siegėn wird… Vielleicht, weißt du, vielleicht werden eines Tags die andern unsre Moral haben… Wir Werden… ihre Gewalt nicht haben, sondern immer nur unsre Moral… Und das, wenn du es wissen willst, ist unsre Aus- erwähltheit. Nicht daß wir besser wären als die andern — nur daß ės uns leichter ist, gut zu sein. Dafnit ės uns aber flicht allzuleicht sei, werden wir verfolgt. Gott hat uns schwach genug gemacht,

daß wir verfolgt werden können, und stark genug, die Verfolgungen zu überstehen" (S. 336). „Ob du willst oder nicht: auch du bemühst dich um diese höhere Moral, die man von uns Juden verlangt — und die wir selbst von uns verlangen müssen, immer, und wenn wir in Not und Verzweiflung sind, dann erst recht" (S. 335).

So gewollt und unzulänglich dieser Versuch einer Deutung auch sein mag, er wäre ein bemerkenswerter Ansatz zur Wiederaufnahme des Gesprächs, das zwischen Juden und Christen bis an das Ende über den Sinn Israels nicht verstummen darf.

Sehen wir in diesem Versuch die eigentliche Bedeutung dieses Romans, so dürfen wir die künstlerischen Werte nicht übersehen. Torberg ist ein Meister der seelischen Analyse und der Schilderung der Atmosphäre — bisweilen in einem harten Realismus, der dem Inhalt und dem Anliegen möglichst gerecht zu werden sucht — und sozusagen erbarmungslos in der Zuspitzung der inneren und äußeren Entwicklungen bis zur Ausweglosigkeit. Es ist ein starkes, von harten Kanten umgrenztes Buch.

Mein ist die Rache. Novelle. S.-Fischer-Verlag. 110 Seiten.

Im Juden Aschkenasy, der mit vielen anderen Rassegenossen ins Konzentrationslager gekommen ist und sich einer grauenvollen Ausrottung überantwortet sieht, kämpfen gleichsam zwei Seelen wider einander: der Rabbinatskandidat und der gewöhnliche Mensch. Der Rabbinatskandidat, der zunächst unbestritten das Wort führt, spricht den Juden jede eigene Rache ab: sie haben nur die Rache des Herrn, „denn die Rache des Herrn ist unsre Rache zugleich" (S. 55). Und eben das ist ihr Sieg: „Wir rächen uns ununterbrochen: indem wir sind, indem wir immer noch sind… Wären wir noch da, wenn Er uns nicht gehört hätte?… Und daß wir schon zur Königs- und Prophetenzeit genau so zu Ihm um Rache gerufen haben wie heute: seid doch nicht so kleinmütig zu glauben, daß dies unser Jammer sei und unser Elend. Es ist unser Sieg! Daß Ruf und Psalm so gelten wie vor dreitausend Jahren: es ist unser Sieg!" (S. 56.) Während der zynische und sadistische Lagerkommandant ihm einzureden sucht, die Juden hätten gar keine Wahl, gut oder schlecht zu sein, sondern seien von vornherein moralisch defekt, behauptet er in einem ganz anderen Sinne, sie hätten keine Wahl, eben weil sie auserwählt seien. „Mein ist die Rache, spricht der Herr — und das heißt: Verderbt mir meine Rache nicht. Ihr, die ihr verfolgt werdet seit Jahrtausenden — ihr, die Ich räche an allen, welche euch verfolgen, denn sie verfolgen Mich in euch — ihr, die ihr Meine Rache seid — verderbt euch nicht, indem ihr euch selbst zu rächen sucht. Das erst, hört ihr, das wäre erst euer Tod: wenn ihr die Rache, wenn ihr euch selbst aus Meinen Händen nehmen wolltet!" (S. 81.)

Aber in der Qual der Folterungen steht der gewöhnliche Mensch in Aschkenasy auf: „Wie? Wir hätten keine Wahl?! Aber wir haben Sie doch ununterbrochen, immer wieder haben wir sie, immer aufs neue müssen wir uns entscheiden, anders wäre es ja auch leer und blind und sinnlos: wenn die Entscheidung uns abgenommen wäre — wenn wir keine Wahl hätten" (S. 92). Ja, es gilt in solcher Selbstentscheidung für die Rache Gottes einzustehen, statt sich zurückzuziehen in Feigheit, Schwächlichkeit und Furcht (S.96f.).

Der gewöhnliche Mensch, der gegen allen Fatalismus um seine Persönlichkeit kämpft, behält gegen den Rabbinatskandidaten im entscheidenden Augenblick recht: er übt Rache und rettet sich die Freiheit. Doch dann, bis zum Ende seines Lebens, weiß er, daß er falsch gewählt hat: frei hätte er sich entscheiden sollen für die Rache dės Herrn, und flün wird seine Rache gerächt werden,

denn „mein ist die Rache, spricht der Herr" (S. 108).

Härter und tiefer noch als im Roman „Hier bin ich, mein Vater" wird die theologische Problematik des Judenvolkes herausgestellt oder doch beleuchtet: die Problematik, wie sie in den Jahren der KZ sich glühend jedem wachen Gewissen eingebrannt hat. Torberg stellt die Frage, erregend und atemlos. Er gibt aber keine letzte Antwort. Francis Stuart schreibt in seinem Roman „Das Lächeln": „Antworten müssen mindestens aus ebensolcher Tiefe herkommen wie die Frage." — SO hat der Christ das Wort.

Die zweite Begegnung. Roman. S.-Fischer- Verlag. 355 Seiten.

Martin Dub, ein Intellektueller, der nach dem letzten Krieg aus der Emigration nach Prag zurückgekehrt ist, weicht vor dem Kommunismus lieber in eine aufs äußerste reduzierte Welt zurück, in deren Verborgenheit er sein Menschsein wahrt, als daß er ihr dient oder sich ergibt. Und da ist es, daß er Wera wieder begegnet, die vor acht Jahren zurückgeblieben und dann eine Ehe ohne Liebe eingegangen ist. Daß sich aber zwei Menschen finden und lieben und in Treue zueinander- stehen, darin erkennt er den Sinn des Lebens. Liebe, die sich selbst Gesetz ist, und was sie fordert, ist normal. In dieser Liebe behauptet sich sein Menschsein, nach dem der Kommunismus greift, und findet schließlich den Weg in die Freiheit.

Torberg vergräbt sich hier in eine unerbittliche Analyse des totalitären kommunistischen Systems, und so intensiv ist diese Analyse, daß das Quälende einer solchen bewußt erlebten Welt sich irgendwie auch dem Stil des Romans mitteilt, der in künstlerischer Beherrschung die Atmosphäre der Sinn- und Aussichtslosigkeit einzufangen weiß. Torberg versagt es sich nicht, in den eingestreuten Tagebuchaufzeichnungen des Martin Dub sich grüblerisch mit diesem politischen System auseinanderzusetzen: so wichtig ist ihm dieses Anliegen, daß er dafür die Risse im Ablauf der Erzählung in Kauf nimmt.

Doch der Roman ist zu sehr in die bloße Dies- seitigkeit verklammert, als daß er über die

Analyse, über das Nein zum Kommunismu» wesentlich hinauskäme. Kennzeichnend dafür scheint uns das Wort, das Martin Dub, da er über die Rolle der Religion im Leben des einzelnen nachdenkt, in den Mund gelegt wird: „Ich fürchte, daß die Religion wirklich nur ihm als einzelnem taugt, zur Rückendeckung gewissermaßen, zur Sicherung seines inneren, persönlichen, um nicht zu sagen: privaten Gleichgewichts. Zum Sammel- und Ausgangspunkt einer aktiven

Gegenbewegung taugt sie nicht, am allerwenigsten jenen, die dem Angriff der Gottlosigkeit am nacktesten ausgesetzt sind: den Jungen. Denn da die Kirche — und darin gleicht ihre Situation sogar der des einzelnen — das Ueberleben als Selbstzweck betreiben muß, wird sie mit dem Angreifer entweder einen faulen Frieden schließen, oder sie wird jeden Bundesgenossen gegen ihn akzeptieren. Und damit tut sie genau das, was einem jungen, sauberkeitsbedürftigen Menschen am unerträglichsten ist. Damit hat sie die Bundesgenossenschaft Gottes für ihn diskreditiert’’ (S. 161).

Der Roman ist in seiner Art ehrlich und be- scheidet sich. Aber eben diese Bescheidung läßt den Leser einigermaßen enttäuscht zurück, denn sind wir nicht schon der bloßen Analysen und Anklagen müde und verlangen nach einer Lösung, die auch positive Ueberwindung bedeutet? Schade, daß der Verfasser — und er steht hier für viele Antikommunisten — dem Wesen des Christentums und der Kirche offenbar verständnislos gegenübersteht. Denn eine andere Ueberwindung des Kommunismus von innen her gibt es nicht. Es genügt ja nicht, einer großen Welt, wie sie irgendwie die kommunistische Weltanschauung doch darstellt, eine kleine, die des eigenen Ichs und der eigenen Liebe und der eigenen Freiheit, gegenüberzustellen und zu behaupten, sondern es muß ihr eine größere Welt, die freilich in Menschen mächtig werden muß, begegnen. — Wir vertrauen darauf, daß der Verfasser auch in dieser Frage sein letztes und stärkstes Wort noch nicht gesprochen hat.

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