So sind die Politiker

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Walter Wippersberg läßt den Leser in die Haut eines sozialdemokratischen Aufsteigers schlüpfen.

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Walter Wippersberg läßt den Leser in die Haut eines sozialdemokratischen Aufsteigers schlüpfen.

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Walter Wippersberg hat wieder zugeschlagen. Wem die österreichische Politik Rätsel aufgibt, dem sei sein neuer Roman "Die Geschichte eines lächerlichen Mannes" wärmstens empfohlen. Jeder, der meint, unsere glorreiche Politik zu durchschauen, sollte das Buch aber ebenfalls lesen. Die Lektüre ist ein Genuss, und das will bei dem Thema etwas heißen.

Die Politiker haben vor allem bei jungen Menschen ein miserables Image. Nicht nur in Österreich, aber hier besonders. Was mit den Begleiterscheinungen der Großen Koalition zusammenhängt. Auch die Meinung der Schriftsteller über die Politiker ist so katastrophal, dass es kaum einem von ihnen dafür steht, sich dazu in Romanform zu äußern. Immerhin haben einige in Essays ihre Meinung gesagt. Josef Haslinger zum Beispiel in seinem schmalen Buch "Politik der Gefühle", Robert Menasse in seiner "Ästhetik der Sozialpartnerschaft" und zuletzt in "Dummheit ist machbar". Doch Romane über österreichische Politik und die Typen, die sie machen, haben eher Seltenheitswert. Es gibt natürlich erfreuliche Ausnahmen. Erfreulich für die Leser. Für die Betroffenen weniger.

Eine köstliche Unterhaltung war "Ein Krokodil namens Wanda" des Krimi-Autors und Journalisten Harald Irnberger. Glücklich, wer dieses Buch noch ergattert. Darin importiert eine Fraktion der Grünen ein Krokodil in der Hoffnung, ihm die geliebte Parteisprecherin zum Fraß vorwerfen zu können. Der Roman erschien, bevor Alexander van der Bellen das Ruder übernahm. Und jetzt watschen in kurzer Folge gleich zwei Dichter die Sozialdemokraten ab, indem sie zeigen, was die Ochsentour in der Partei aus einem mehr oder weniger engagierten jungen Menschen macht. Im "Vaterspiel" von Josef Haslinger (Furche 43/2000) wurde aus ihm ein opportunistisches Würstchen. Haslinger ist auf dem Buchmarkt ein Schwergewicht. Walter Wippersberg kommt zwar bei allem Erfolg seiner Bücher an Haslingers Auflagen und vor allem an dessen Medienecho noch nicht ganz heran, doch sein politischer Durchblick und seine literarischen Fähigkeiten würden es rechtfertigen. Er schrieb Romane, Stücke, Hörspiele und Kinderbücher und ist ordentlicher Professor für Drehbuch und Dramaturgie an der Wiener Filmakademie. In "Die Irren und die Mörder" (Furche 40/98) porträtierte er das rechtsradikale und in "Ein nützlicher Idiot" (Furche 8/99) das rechtspopulistische Milieu. Er tat es mit der Schärfe des politischen Denkers und dem Können des bewährten Handlungs-Konstrukteurs. Nun liefert er das Psychogramm des sozialdemokratischen Aufsteigers in einer österreichischen Landeshauptstadt nach.

Die innenpolitischen Verhältnisse, unter denen der Roman erschien, konnte er beim Schreiben so wenig voraussehen wie Haslinger in den Jahren, in denen er das "Vaterspiel" schrieb. Auch in diesem Fall wird daher vielleicht mancher sagen, da werde auf eine zu Boden gegangene, ausgezählte politische Bewegung getreten. Heute denkt ja mancher bereits mit nostalgischen Gefühlen an die Große Koalition von einst. Die Lähmung der Entscheidungsprozesse, der schwarze-rote Filz rechfertigen eine solche Nostalgie nicht. Der unappetitliche Rowdy-Ton, den in jüngster Zeit ein paar Leute in die Politik eingeführt haben und der an den Stil von 1938 erinnert, rechtfertigt nostalgische Gefühle hingegen sehr wohl.

Alles für die Seilschaft Wippersberg porträtiert die Menschen und die Mechanismen, die die Sozialdemokratie dorthin gebracht haben, wo sie heute ist, obwohl der komplementäre Menschenschlag und ähnliche Mechanismen auch in der schwarzen Reichshälfte zu Hause waren. Aber die Geschichte war nun einmal noch nie gerecht. Das Porträt des Aufsteigers Roller ist so scharf, dass ich das Buch manchmal für Minuten weglegen musste, um das Gelesene zu verarbeiten. Denn auch die Mechanismen des Aufstiegs sind nicht gerecht. Wie sie sich da plötzlich gegen den Aufsteiger kehren, der ein Leben lang als Musterschüler der Karrieretechnik bemüht war, sich alles auszurechnen und alles richtig zu machen, das ist schon atemberaubend. Die Hauptfigur tritt plastischer hervor, ist schärfer gezeichnet, erzwingt mehr Anteilnahme als der Vater in Haslingers "Vaterspiel". Gezeigt wird, wie ein Politiker, ein Karrierist, über sich selbst stolpert. Roller war ursprünglich nicht ganz frei von Idealismus, aber auch nie wirklich engagiert. Sein Vater soll im Februar 1934 auf der Seite des sozialdemokratischen Schutzbundes am Bürgerkrieg teilgenommen haben, doch der Sohn hat ihn nur als vor den Kunden buckelnden Friseur und als Haustyrannen erlebt. Der Wunsch, dem ärmlichen Milieu zu entfliehen, war der Motor seines Aufstiegs. Eine wichtige Rolle hat dabei die Seilschaft mit Eichinger gespielt. Um einen Konkurrenten Eichingers auszupunkten, hat er eine Schweinerei begangen, über die man zwar nicht viel erfährt, für die er sich aber, auch dies ist geradezu unheimlich realistisch, in seinen besseren Momenten vor sich selber geniert.

Ein Schleimer warst du Die Begegnung mit dem alten Schulkameraden Pistek ist wie ein Blick in eine andere Welt. Pistek ist ein skeptischer Idealist. Einer, der keine Kompromisse gemacht hat und seinen Idealen treu geblieben ist. Folgerichtig ist Pistek jetzt eine alte Arbeitskraft, die fürchten muss, vorzeitig gekündigt zu werden.

Unmittelbar vor der Ernennung zum Bürgermeister wird Roller erpresst oder glaubt, erpresst zu werden. Die Handlung wird mit einer so eiskalten Logik durchgezogen, dass es gemein wäre, sie hier nachzuerzählen und den Leser um die Gänsehaut zu bringen, die ihm am Ende unweigerlich über den Rücken laufen wird. Wenigstens jedem, der noch etwas, wenn auch noch so wenig, von der "linken Reichshälfte" erhofft. Dabei wird, und das ist das Raffinierte, dieser Roller nicht unsympathisch und nicht ohne Wärme gezeichnet. Wippersberg läßt den Leser in Rollers Haut schlüpfen und ihn die Dinge mit dessen Augen sehen. Und mit Roller blickt er in den unbarmherzigen Spiegel, hört von "denen da unten", was man von ihm hält und ist zugleich der es ihm Hineinsagende: "Ein Arsch warst du. Ein Schleimer. ... Und wie ich dann gehört hab, dass du Politiker geworden bist, da hat mich das gar nicht gewundert, aber schon überhaupt nicht." Fazit: Ein spannender, gut geschriebener Roman, in dem Literatur wird, was viele Österreicher genau jetzt denken und fühlen.

Die Geschichte eines lächerlichen Mannes Roman von Walter Wippersberg, Otto Müller Verlag, Salzburg 2000, 212 Seiten, Ln., öS 248,-/ E 18,02

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