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Solo für Minderheiten

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Für jene Termine, da aus dein heimischen Patschenkino ein Forum der Konfrontationen wird, für die Zeitspanne nach dem Hauptprogramm also, produzierten eine Gruppe von In-strumentalisten und zwei Sprecher zwei Halb-stundensendungen besonderen Feinschliffes: Jazz und Lyrik, telegen aufbereitet von Axel Corti, der auch, zusammen mit seiner Partnerin Cecile Aubry, die Gedichte interpretiert. Eine der beiden Folgen wird die, Welt des

französischen Poeten Jacques Prevert beschwören, die andere steht im Zeichen der Altmeister Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz und Erich Kästner. Demnächst auf den vom ORF versorgten Bildschirmen, als TV-Privatissi-mum für Anspruchsvolle. Das Melodram auf neuen Wegen. Die musikalische Verdichtung rund um die Dichtung besorgt eine der besten Combos, die es derzeit in Mitteleuropa gibt: das E r i c h - K lein schust.er - S e x t e 11.

Lyrisch war Erich Kleinschuster schon immer gestimmt, wie sein Intimus Friedrich Gulda ihm bestätigte, den er als Posaunist im Rahmen des Euro-Jazz-Orchesters zu Konzerten während der Berliner Festwochen begleitete. Gleichsam zwischen Soli, Proben, Tourneen und Festivals holte sich der nun neun-unddreißigjährige gebürtige Grazer und Extheresianist noch den Doktorhut der Jurisprudenz. Eine Flaute auf dem Jazzpodium überbrückte er schnell entschlossen als juristischadministrativer Mitarbeiter des Gra-z?r Arehitekturbüros Dornenig-Huth. (Paradewerk: die Pädagogische Akademie in der Murstadt.) „Hier ist das noch nicht Usus, doch im Ausland gehört den meisten Planungsgruppen auch ein Jurist an, er führt die Verhandlungen und kümmert sich um den Papierkrieg.“

Heute aber ist die Marke Kleinschuster bereits der große, offenkundige Geheimtip aller Kenner und Liebhaber des Jazz. Wenn jeden zweiten Samstag im Hörfunk seine Sendung ...Tazzprofile“ läuft — er kommentiert sie selbst, als Präsentatör. wie man jo'zt so gern sagt —, dann gibt es todsicher Dutzende von Mitschnitten auf privaten Tonbandgeräten. Die Klemschuster-Fans sind dieselben, die in den Spalten der Rundfunkprogramme nach Musica Antiqua, nach Barockmeistern, nach Stra-winsky, Orff, Hindemätih und Bar-tök fahnden und jene garantiert in die Breite wirkende gängige Berieselung aus diversen „Platten-Boutiquen“ mit einem Achselzucken abtun und abschalten. Der trombone-blasende Doktor und seine fünf Freunde Robert Politzer (Trompete), Hans Salomor (Tenorsaxophon), Fritz Pauer (Klavier), Erich Bachträgl (Schlagzeug) und Jimmy Woöde (Baß) spielen für eine Minderheit. Das wissen sie und das ist ihnen auch recht so.

Eine grundgescheite Sache. In den „Jazzprofilen“ vollzog sich die ungewöhnliche musikalisch-literarische Begegnung zum ersten Male. Die Anregung dazu stammte von Alex Freihart, dem Direktor des Theaters für Vorarlberg. Rasch war Dr. Kleinschuster für das Experiment gewonnen. Grundgescheit, wie die Idee, auch der ursprüngliche Interpret: Gert Westphal, Charakterdarsteller des Zürcher Schauspielhauses. Hinter scharfen Brillengläsern norddeutscher Charme (ja, so was gibt es eben!), dazu ein vom Intellekt wie vom Herzen geleitetes Sprecher-naturell, fein die Zwischentöne modulierend. Ein Timbre für die Verse von Poets Maudits, Einzelgängern, Weltumsegiern im Geiste, Satirikern, Großstädtern, Vaganten, die umgeben waren von „schnäpser-nen Vasen“ eingehüllt in Reverien, auf den Spuren der eigenen Seele, zwischen dem Ruch salziger Brisen, dem Dunst sommerlichen Asphalts und dem Duft der ersten Wiesen an der Peripherie. Ihnen allen, Gottfried Benn, Ringelnatz, Kästner, Tucholsky und Prevert, ist der großstädtische Duktus der musikalischen Illustration maßgerecht angepaßt, verfremdend und dennoch hautnah. Spontan erklärte Gert Westphal, es gebe für ein solches Vorhaben nirgends so flexible, auf die Eigenart der lyrischen Impressionen eingehende Musiker wie dieses Wiener Sextett. Und das Sextett seinerseits war von dem Gast von der anderen Fakultät nicht weniger begeistert. „Herr Westphal und nun Herr Corti haben mir ihr literarisches Programm mitgeteilt, danach habe ich jene Nummern unseres Repertoires ausgesucht, die der Stimmung der Gedichte am besten entsprechen.“ Dr. Kleinschusters weitere eigene Pläne in dieser Richtung: Georg Trakl, vielleicht, noch ganz unverbindlich. Vorschläge von außen: Kla-bund, dann der schwedische Villon-Nachfolger Carl Michael Bellman, Else Lasker-Schüler, ja sogar — wie raffiniert! — des jungen Hofmanns-thal bildhaftes Einleitungspoem zu Schnitzlers „Anatol“. Eine Handbewegung mit der dünnen Zigarre, wie ein Taktzeichen, während im Wohnzimmer der Hochhauswohnung über den Praterwipfeln tief summend der Schlag einer ererbten Pendeluhr einsetzt. „Aber wir wollen zunächst mit ,Jazz und Lyrik' etwas pausieren, bevor es zur Masche wird, und wollen uns mehr aufs rein Instrumentale konzentrieren.“ Dies um so mehr, als es gelungen ist, internationale Spitzenreiter für die „Jazzproflle“ ins Studio zu holen. Dr. Klainsohusters Lob auf die neue Hörfunk-Ära: „Der ORF bemüht sich zur Zeit sehr um den Aufbau dieser Sparte. Man ist da sehr entgegenkommend. Wir sind heute in der Lage, erstklassige Solisten nach Wien zu bringen, mit denen wir uns quasi messen können, von denen wir profitieren und die hier ideale Arbeitsbedingungen vorfinden. Erstens bekommen sie Honorare internationalen Standards, zweitens können sie hier ihre eigenen musikalischen Vorstellungen realisieren, ohne daß irgendein Dilettant dreinredet, sei es als Proditeer oder in sonstiger organisatorischer Funktion. Das sind Verhältnisse, die heute in der kleinen Welt des Jazz bereits überall gewürdigt werden. Man darf ohne Übertreibung und Schönfärberei sagen: Die Arbeit des österreichischen Rundfunks auf diesem Sektor ist heute etwa in New York genau bekannt. Man weiß drüben schon: Nach Wien kann man gehen. Noch dazu ist der ORF punkto Aufnahme-möelichkeiten sehr pmß/üip. Amerikanische Gastsolisten haben mir versichert, bessere Aufnahmen hätten sie in Europa noch nie gemacht.“ Gegenwärtig ist der Terminkalender des Sextett-Chefs gedrängt voll wie kaum je zuvor. Rot angestrichen: Alles, was mit dem neugegründeten Jazz-Institut des Konservatoriums der Stadt Wien zu tun hat, ein Institut, dessen Leitung Dr. Kleinschuster übernahm. Mit dem Sommersemester beginnt bereits der Unterrichtsbetrieb, fürs erste freilich in einem Milieu, das eher an Doderer und Honrath gemahnt, nämlich in einem alten Schulgebäude <m 9. Bezirk. Die Jazzszene Modell 1969 entfaltet sich hinter paitiniierter Fassade. Das Projekt geht auf die Initiative Friedrich Guldas zurück, blieb aber lange nur Diskussionsthema im kleinen Kreis. Dann wurde, anläßlich der Erhebung des Grazer Konservatoriums in den Rang einer Musik-akademie, dort ein ähnliches Institut eingerichtet. Dazu Dr. Kleinschuster: „Nichts gegen Graz, aber der Radius ist halt naturgemäß nicht sehr groß. Während Wien auf diesem Gebiet eigentlich Brachland war. Gulda hat dann Wien verlassen und sich in der Schweiz angesiedelt. Ich hab' vorher noch mit ihm gesprochen und ihn gefragt, ob es ihm recht ist, wenn ich die Idee aufgreife.“ Der doppelgleisige Maestro war es zufrieden. Kleinschuster wagte den Alleingang auf dem Weg, der mit Eingaben und Memoranden gepflastert und durch hohe Budgethürden erschwert ist. Beim Konservatorium der Stadt Wien bot man ihm nach zweijährigen Verhandlungen schließlich konkrete Bedingungen. Bescheiden wie die Unterbringung ist in diesem Anfangsstadium auch die Zahl der Planstellen: Ein Team von sechs Lehrkräften fand sich zusammen — für die Fächer Theorie, Holzblasinstrumente, Klavier, Posaune, Schlagzeug und Baß. So bald wie möglich soll die Reihe um die Instrumente Trompete und Gitarre erweitert werden. Dr. Kleinschuster selbst wird die künftigen Posaunisten betreuen, außerdem hat er einen allgemeinen Einführungskurs über die Entwicklung des Jazz ausgearbeitet. Besonders liegt ihm auch das

Ensemblespiel am Herzen, dieses wird er mit seinen Schülern intensiv pflegen.

Das Interesse von außen? Recht beachtlich, doch bestanden aus der großen Zahl von Bewerbern als erstes Kontingent nur 33 die Tests. „Wir müssen gewisse Kenntnisse bereits voraussetzen. Reine Anfänger können wir nicht aufnehmen. Wir wollen das Niveau a priori sehr hoch halten.“ Ein starker Prozentsatz der Kandidaten entschied sich für das Klavier, ebenso für die Theorie, also die Technik der Instrumentation, oder, wie man beim Jazz sagt, des Arrangements. Prinzipiell ist ein Lehrgang von acht Semestern vorgesehen, mit dem Ziel, voll befähigte Berufsmusikar heranzubilden. Dies bedeutet eine enge Verbindung und einen ständigen Austausch mit den anderen, den „seriösen“ Instrumentalklassen des Konservatoriums und im weiteren wohl auch der Musikakademie. Auf die Frage nach bedeutenden Jazzinstituten in Europa lächelt mein bedächtiger Gesprächspartner. „Gibt'a überhaupt keine“, lautet seine lapidare Antwort. Deshalb erhofft man regen Zuzug von Studenten aus dem Ausland.

Dr. Kleinschuisiteir glaubt unbedingt an den Professional, gerade heute, in einer Epoche, da die Schallplattenfirmen die rudelweise sich produzierenden Möchtegerns des Beat-Unwesens „entdecken“ und unter Vertrag nehmen. „Was ich mit dem Institut bezwecke: Wir wollen eine Lücke schließen zwischen der Ausbildung zum Orchestermusiker und der Schulung zum Jazzmusiker. Auf dem Gebiet der Orchestermusiker zeigt sich ein deutlicher Nachwuchsmangel, der Beruf hat, im Verhältnis zu früher, an Attraktion eingebüßt, wie es scheinen will. Anderseits ist der reine Jazzmusiker auch ein Problem für sich. Nämlich derjenige Solist, der hin und wieder eine Platte macht und im übrigen einmal da, einmal dort ein Engagement ergattert. Das ist auch nicht das Wahre. — Was aber heute, infolge der technischen Entwicklung bei Funk und Fernsehen interessant geworden ist, das sind die Studiomusiker, also ein neuer Typ von Instrumentalisten, die auf Grund ihres Könnens und ihrer Vielseitigkeit den Bogen zu spannen vermögen, vom Symphonischen bis zum Jazz.“ Eine Lücke schließen — und nach außen hin ein hartnäckiges Mißverständnis abbauen: nämlich, daß eine Kluft den Jazz von der sogenannten „ernsten“ Musik trenne. Wie sagte eine Wiener Autorität zu diesem Thema? „Es gibt nur gute und schlechte Musik. Darin liegt der ganze Unterschied.“

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