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Sommerspiele

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Die Hitze der Vorsommermonate mag im Verein mit der vielbesprochenen Theaterkrise die Wiener Bühnen dazu bestimmt haben, weithin ihre Zuflucht beim leichten und leichtesten Lustspiel zu suchen. Das Ergebnis bestätigt eine alte Erfahrung: nichts ist oft so schwer zu finden und zu spielen als ein „leichtes” Lustspiel! Wie schwer, wie einfältig- plump schleppen sich da doch so viele gute alte Komödien über die staubigen Bretter — ihr verschminktes Kalkgesicht wird zudem tödlich bedroht und in Frage gestellt durch die beschwingte Leichtigkeit, durch die ganz andere Agilität und Beweglichkeit, die so manchem guten Film eignet … So ist gerade das Lustspiel viel mehr noch als das ernste Drama wohl geeignet, die Tragik unserer Theater zu beleuchten: es fehlt an Autoren, es fehlt am Publikum. Es fehlt am guten Glauben beider Teile an das Gutsein einer argen Welt…

Beginnen wir mit dem schwächsten Versuch: „Frauen lügen nie” von G e z a von Vaszary in der Renaissancebühne ist eine gut gespielte Nichtigkeit. Die tragikomische Situation düpierter Ehemänner wird als Schwank aus der ersten Grammohpon- und Konservenwelt der 1920er Jahre verhandelt. Bei den Kapriolen dieser Männchen und Weibchen überkommt den Zuschauer bisweilen jenes Gefühl, das alte Witzblattzeichnungen, auch frühe Spielfilme in uns wachrufen. War dieses Spielchen einmal wirklich als echtes Spiel empfunden?

Tief in die Mottenkiste der „leichtlebigen” Vergangenheit greift das Studio der Josefstadt mit drei Kurzoperetten von Jacques Offenbach. Unter dem Dedc- und Dachtitel „Souper d’a m o u r” bergen sich: „Souper bei Sacher”, „Salon Pitzelberger” und „Unter einem Dach in Paris”. — Groteske; leichte Persiflage, gelöst in musikalischer Spielerei, in Wortwitzelei — auch ein Porträt einer vergangenen Welt. Ein Buntdruck, dessen Kitsch nur als sehr gut gespielter Sketch erträglich ist: wie fern stehen sie uns doch heute — diese Komödie aus-der Pariser Boheme, diese Ballettmädelaffäre um den Kellner des Hotel Sacher, diese Burleske um den neureichen Schneider Pitzelberger, der seine Tochter nur adelig verheiraten will… Das flotte lebendige Spiel rettet viel. Man bleibt ruhig und Lacht: es ist eben „Theater”, die bunten Masken werden schon wissen, wie sie mit ihren Kunden fertig werden!

Sucht „Der arme Sünder” von Martin Costa (Musik: H. Lang) im Bürgertheater den Schein höherer Ansprüche zu erwecken? Als Leibstück für Paul Hörbiger (in der Titelrolle) geschrieben, will dieses „Volksstück” Altwiener Humor mit viel modernem Wasser und einem Tropfen „Lebensweisheit” zu einem Trank mischen, der auch in der heißesten Jahreszeit noch Erfrischung zu spenden vermag. Nun — es ist wohl ein Kassenerfolg: dank Hörbiger, dank des sehr einsatzfreudigen Ensembles. Die erbauliche Geschichte vom zuerst wenig tugendsamen Leben des Besitzers eines eleganten Wiener Herrenmodesalons (die Schneider — noch immer sind sie die beliebtesten Kammerknechte des Lustspiels!), der zu guter Letzt seine drei Töchter und sich selbst in den Hafen eines neuen Lebens führt, wird mit viel Musik und Betriebsamkeit garniert, so daß der innere Leerlauf, das Fehlen jeglichen Gehalts, kaum bemerkt wird.

Wie schwer es ist, selbst ein klassisches Lustspiel zu echtem neuem Leben zu erwecken, zeigt die letzte Novität des Theaters in der Josefstadt: „Das Kaffeehaus” von G o 1- d o n L — Vielleicht sind wir noch zu überblendet, zu verwöhnt durch Jouvets Moliire-Gast- spiel in der Burg — wir spüren es aber doch auch sonst hier auf jedem Schritt und Tritt deutlich, überdeutlich genug: einige gute, einige sehr gute Schauspieler und die kultivierte Atmosphäre einer angesehenen Bühne reichen nicht aus, gerade eine altberühmte Komödie der Weltliteratur entstaubt, entrümpelt dem Publikum quellfrisch vorzusetzen, so, daß es mitgeht, mitgehen kann, weil sie „Leben”, den ewigen Atem und Duft des ewigen Welttheaters, versprüht aus der Streubüchse des großen Komödianten, zu erspüren vermag! Was der reife, späte Reinhardt so überdeutlich erkannte: daß nämlich gerade die klassische Komödie ganz neue Arbeit vom Regisseur der Gegenwart fordert — eine Gesamtkonzeption, die vom ersten bis zum letzten Wort, vom ersten bis zum letzten Ton, von der ersten bis zur letzten Farbe durchgehalten werden will — diese Erkenntnis wird uns schmerzlich in der Brüchigkeit dieser Aufführung bewußt! Sie packt nicht, sie reißt nicht mit, sie bleibt trotz allen Mühen (nicht zuletzt der mitwirkenden Tanzgruppe Grete Wiesenthals) ohne Schwung, ohne Atmosphäre! Es fehlt die Pointe: der genialische Griff eines Regisseurs, der dem alten Maskenstoff das Sprühlidit und das Glitzern ewiger Jugend, ewiger Gegenwart zu entlocken vermag!

Die Gegenwart: kaum ein Hauch ist von ihr zu spüren in all diesen Sommerspielen, die so tun, als ob nichts vorgefallen wäre und als ob auch nichts vorfallen würde … Das schwierige Unterfangen, diese Gegenwart mit Humor auch mit Humor zu bewältigen, hat sich das Kabarett „Die Grimasse” gestellt, das mit seiner Bildfolge „Wir stellen fest” (vom Michael Kehlmann und Erich Bert- 1 e f f) aus dem Studio der Hochschulen in die Kammerspiele übersiedelt ist. — Zwei Typen beherrschen den Betrieb unserer österreichischen Kleinkunstbühnen: der erstere, ungefähr 95 Prozent der „Produktion” umfassend, beschränkt sich nahezu ganz auf leichtesten, billigsten Unterhaltungsbetrieb. Entgleisungen ins Künstlerische und Literarische sind hier ohne Bedeutung; sie können vom Publikum ertrugen werden, da es für wenige Minuten Einforderung zu Ernst, Sammlung und persönlicher Stellungnahme reichlich entschädigt wird durch zwei Stunden Flachsinn und billige Augenweide. Verzweifelt versucht (immer noch!) ein anderer Typ gegen diese Einheitsfront des Billig-Wohlfeilen anzurennen. Kraus mit seinem viel diskutierten „Jedermann” in Salzburg, das Studio der Grazer Hochschulen, Stella Kadmcms „Lieber Augustin” in Wien (mit der Szenenfolge: Furcht und Elend des Dritten Reiches); Bemühungen, die höchste Anerkennung verdienen — versuchen sie doch das nahezu Unmögliche: einer Gesellschaft, die Unterhaltung in billigsten Formen, Reizstoffe in billigsten Mustern sucht, ein Wort zu sagen, das Aufhorchen und Besinnung erzwingen will. Mit Mitteln der Satire, des Scherzes, der Ironie und ihrer tieferen Bedeutung. Durchaus alleinstehend, in verzweifelter Situation, nur mit Widerwillen gehört, von der Masse der Besucher nahezu einmütig abgelehnt — dürfen wir es da diesen meist recht jungen Menschen verargen, wenn ihr Wort schnell bitter, ihre Zeitstudie manchmal verzerrt, ihr Ton schrill wird, bei diesem schwierigen Unterfangen ein Gegen vartsktbarett zu schaffen?

Es soll und es muß nun gerade der „Grimasse”, diesem modernen Zeitkabarett des Studios der Hochschulen, hoch angerechnet werden, daß sie sich nicht mit der erschreckenden Feststellung begnügt, die heute jeder wache, junge Mensch machen muß, wenn er diese Welt, diese seine Umwelt so sieht, wie sie wirklich ist: ein Jahrmarkt böser Eitelkeiten, schlimmer Spiele, in denen die Ewig-Gestrigen sicher die Oberhand behalten: die großen und kleinen Übeltäter und Verbrecher. Ein Engraum, ein Gefangenenhaus, in dem kein Platz zu sein scheint für ein gesundes, heiles, neues Sein. Eine Melodie in Grau, in Skepsis und Hoffnungslosigkeit, in Zynismus… Die neue Kabarettfolge des Studios verwehrt sich nicht der Erkenntnis und Darstellung der Bitterkeit, des Sentiments und auch Ressentiments einer jungen Generation, die zwischen Täuschungen und Enttäuschungen ihren schwierigen eigenen Weg suchen muß; sie will aber doch bereits auch Lichtblicke zeigen. Fast rührend zu sehen, wie hier um einen neuen Humanismus gerungen wird, um ein neues Bekenntnis: dieser Mensch von hier und heute, so wie er vor uns steht, wie er von uns selbst gelebt und erlitten wird, ist nicht nur schlecht, er ist auch gut; kann gut sein; er hat zumindest eine große Möglichkeit: in sich, um sich, in seinen Mitmenschen; immer noch leuchten dieselben Sterne über den Dächern und Gärten, in denen Menschenkinder in Lachen und Weinen ihren Weg zu einem eigenen Leben in Friede, Freiheit und Freude suchen. — Dies der Anfang und das Ende, die Quintessenz dieses neuen Kabaretts!

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