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Sorgen eines Standes

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Es ist ärgerlich für einen Menschen, der in langen entbehrungsreichen Jahren mit viel Mühe und Schweiß sich seine Bildung erworben hat und nun auf verantwortungsvollem Posten oder auf wissenschaftlichem, künstlerischem oder erzieherischem Gebiet tätig ist, sich mit materiellen Dingen herumzuschlagen und sich mit den Sorgen des Alltags zu beladen, weil ihm seine Berufsarbeit nicht so viel einträgt, daß er die Bedürfnisse seiner Familie, so bescheiden sie auch sein mögen, befriedigen kann.

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Es ist ärgerlich für einen Menschen, der in langen entbehrungsreichen Jahren mit viel Mühe und Schweiß sich seine Bildung erworben hat und nun auf verantwortungsvollem Posten oder auf wissenschaftlichem, künstlerischem oder erzieherischem Gebiet tätig ist, sich mit materiellen Dingen herumzuschlagen und sich mit den Sorgen des Alltags zu beladen, weil ihm seine Berufsarbeit nicht so viel einträgt, daß er die Bedürfnisse seiner Familie, so bescheiden sie auch sein mögen, befriedigen kann.

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Der Gedanke, daß für die ergebensten Diener des Staates, deren Arbeitseifer meist das normal Pflichtmäßige übersteigt, so schlecht gesorgt wird, ist für ihn deprimierend. Das Ergebnis des Nachdenkens ist ein peinlicher Gewissenskonflikt. Der Ausweg aus ihm ist entweder Selbstaufopferung, die heutzutage verlacht wird, oder der Wegweiser zu einer gefährlichen Berufsmoral, die wohl keiner der verantwortlichen und mitentscheidenden Männer heraufzubeschwören wünscht.

Hat man aber als Christ, angesichts der Tatsache, daß es anderen noch schlechter geht, überhaupt das Recht, hier in Gewissenskonflikt zu kommen? Es ist dem’ Christen erlaubt, ja geboten, für Gerechtigkeit einzutreten und warnend seine Stimme zu erheben, wenn er, nicht aus egoistischen Gründen, sondern aus Sorge um das Allgemeinwohl Gefahren für den Staat erwachsen sieht. Er hat das Recht, Gerechtigkeit zu verlangen, wenn er sieht, daß man eine Schichte des Volkes immer benachteiligt, während man vor der staatsschädigenden List anderer Gruppen die Augen verschließt oder der Macht der organisierten Masse allzu willig nachgibt.

Man nährt in dem Slaatsdiener, der sich seiner Not schämt und Gewaltanwendung ablehnt, daher ruhig und besonnen bleibt, eine gefährliche Verbitterung, Er wird, seiner Bildung und seiner moralischen Verankerung gemäß, seine Ergebenheit dem Dienstgeber gegenüber nicht über Bord werfen. Er wird aber freudlos an seinen Arbeitsplatz gehen und nidit mehr die Kraft aufbringen, anderen, denen er Vorbild ist, sein Berufsethos zu übertragen, und er wird vor allem, was das Betrüblichste ist, seinen Kindern nicht mehr den moralischen Halt geben, der ihn selbst noch befähigt, trotz aller Hemmnisse und Enttäuschungen sein Amt gewissenhaft auszuüben. Er wird in seinen Kindern keinen Idealismus fördern, sondern sie notgedrungen zu Materialisten erziehen, die zuerst an sich und ihr Fortkommen und dann erst an den Staat denken. Je aufgeweckter die Kinder sind, desto schneller werden sie erkennen, daß die noch vor 10 oder 20 Jahren als ideal geltenden Berufe wenig einträglich und daher nicht verlockend sind. Es ist nicht verwunderlich, wenn gerade die begabtesten jungen Menschen weder den gehobenen Staatsdienst anstreben noch die wissenschaftliche, künstlerische oder erzieherische Laufbahn einschlagen, sondern auf Berufe verfallen, die heute höher bewertet werden und einträglicher sind. Damit aber geht ihre Fähigkeit der Allgemeinheit verloren.

Was den denkenden Staatsdiener Weiter beunruhigen muß, ist folgendes: Wir leben ohne Zweifel in einer Kulturkrise, die keine vorübergehende ist, sondern sich bereits bedrohlich stabilisiert hat. Was noch an Kulturleben vorhanden ist, vegetiert nur mehr von Staates Gnaden. Einmal aber wird dieses fruchtlose Hineinpumpen in Kunstinstitute, das Subventionieren und Vergeben von Staatspreisen zur ‘Förderung des künstlerischen Nachwuchses auch einmal gut rechnenden Staatsmännern zu unrentabel erscheinen. Was dann? .Theaterkrisen mag es zu allen Zeiten gegeben haben, sie konnten alle, so verschiedenartig die Ursachen auch gewesen sein mögen, geheilt werden: Die heutige Krise kann aber mit den bisherigen nicht mehr verglichen werden, daher auch nicht mit den bewährten alten Mitteln beseitigt werden. Das Krankheitsübel sind nicht mehr die zu hohen Preise oder die dargebotenen schlechten Werke, gegen die das Publikum einst durch Fernbleiben demonstrierte, sondern es ist eine Krise des Publikums. Nennen wir es beim rechten Namen: Es gibt kein Publikum mehr. Die Bevölkerungsschichte, die bisher die Theatersäle füllte, Bücher kaufte, die Kunsthallen bevölkerte und sich die Heime mit echter Kunst schmückte, also Kulturträger war, läßt aus, weil sie verarmt ist. Der Mittelstand fällt als Kulturträger ebenso aus wie der Bauernstand als Menschenreservoir für den geistlichen Stand. Wenn aber hier bereits andere Schichten in die Bresche springen, wird man weder aus den heute begüterten Kreisen ein Publikum zustande bringen noch durch Massenauftrieb eines zusammengewürfelten Kraft-durch-Freude- oder Gewerkschaftspublikums Zuschauer schaffen können, die der Künstler oder Dichter als Maßstab für den Wert oder Unwert seines Werkes braucht. Kunstförderung von Staats wegen ist schön, aber sie wird entweder einseitig fördern und hemmen oder, in einem freien demokratischen Staat, für . hemmungsloseste Auswüchse mißbraucht Werden,. da der Staat weder Künstrichter sein kann noch jemand von der Förderung ausschließen darf. Das Publikum, soferne es noch das Interesse aufbringt und die Ausstellungen besucht, wird verärgert oder zumindest kalt dem Dargebotenen gegenüberstehen und froh sein, daß es nicht in Verlegenheit kommt, weil es ja doch nichts kaufen kann. Die Künstler wieder werden nicht wissen, ob sie nun auf dem rechten Wege sind oder in die Irre gehen, weil es keinen Auftraggeber gibt. Die bedeutendsten Werke der Kunstgeschichte sind aber gerade den Künstlern von Auftraggebern abgerungen worden.

In den Mittelschulen sind heute Kunstbetrachtung und Musik obligate Gegenstände. Die Schüler werden in Meisterwerke eingeführt und im Erkennen und Verstehen literarischer Kunstwerke geübt, ohne daß sie den öden Literaturgeschichtsunterricht von einst über sich ergehen lassen müssen. Sie bringen vielleicht . wirklich einem Kunstwerk Interesse entgegen und gleichen aus, was sie vom Elternhaus nicht mehr mitbekommen. Dies ist eine lobenswerte Tat; sie wird aber nicht die erwünschten Früchte tragen, denn einige Jahre nach der Schulentlassung wird die ganze Kunstbegeisterung mangels der nötigen Pflege abgeflaut und vergessen sein. Der junge Mensch wird m eine politische, sportliche oder berufliche Gemeinschaft hineinwachsen oder Einzelgänger bleiben, weil er, von den Eltern gewarnt, jede Bindung meidet. Wenige werden noch Zeit für andere, nicht zu den genannten Interessen gehörende Dinge aufbringen.

Der junge Mensch wird auch keinerlei Anregung mehr bekommen, weil er kein Gesellschaftsleben kera- nenlemt, das einstmals so ein wichtiger Faktor im Kulturgeschehen war. Die schlichten Bürgerhäuser waren manchmal wahre Kunsttempel, die Talente an den Tag brachten und förderten, zumindest aber die Menschen aus gesellschaftlichen Rücksichten zwangen, sich künstlerisch, musikalisch und literarisch weiterzubilden, das heißt Ausstellungen, Konzerte und Theater zu besuchen und Bücher zu lesen. Heute gibt es kein Gesellschaftsleben mehr. Jeder hat Angst, emgeladen 3 i werden, weil ec dadurch aus seiner Bequemlichkeit gerissen wird und verpflichtet ist, selbst wieder einzuladen, was ihn in arge Verlegenheit bringt, denn er wohnt nicht standesgemäß, kann nichts bieten, da sein Budget eine derartige Belastung nicht mehr verträgt. Der Mangel des Gesellschaftslebens ist auch eine der Ursachen, wenn nicht die wesentlichste, der Verwilderung unserer Sprache. Ohne gegen die Pflege der Mundart oder das feine Wienerisch ein Wort zu sagen, ist es notwendig, einmal darauf hinzuweisen, daß sogar in den höchsten Berufskreisen ein Großstadtjargon angeschlagen wird, der mit einem gelinden Ausdruck als Übermundart bezeichnet werden kann. Daß unsere Mittelschüler und sogar noch Hochchüler mit der Schriftsprache wie mit einer Fremdsprache zu ringen haben, ist ein alarmierendes Zeichen für unser Kulturniveau. Der Mensch, der nur in seiner Familie und unter Berufskollegen im Amte verkehrt, gibt sich hemmungsloser und ungezwungener in den Umgangsformen und in der Sprache als der, der sich viel in Gesellschaft bewegt und gezwungenermaßen auch seine Sprache pflegen muß. Die Ursache aber für das Ausfallen des Gesellschaftslebens ist eben wieder die finanzielle Notlage, in der sich der Mittelstand befindet.

Hier schließt sich die Kette: Was dem einzelnen, dem geistigen Arbeiter fehlt, fehlt dem Stande, dem Mittelstand. Durch seine Notlage liegt das Gesellschafts- leben, mit ihm das Kulturinteresse und die Kulturtradition des Staates darnieder, und der Staat kann von seinen Staatsbürgern weder Interesse noch Opferbereitschaft verlangen. Die verantwortlichen Männer in Österreich mögen endlich ihre Augen öffnen und es nicht bloß bei Worten bewenden lassen, sondern die Tat setzen, den Mittelstand auS seiner verzweifelten Lage befreien und damit den Kulturstaat Österreich vor seinem Ruin retten.

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