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SOS aus dem Dorf!

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Das Dezemberheft der „Statistischen Nachrichten“ gibt die Zahl der Arbeitslosen in Oesterreich mit 215.900 an. Ihnen gegenüber steht im Mittel des Jahres 1950 eine Anzahl von 124.000, im Jahre 1951 von 120.000, in den ersten drei Vierteljahren des Jahres 1952 von 202.000, 142.800 und 111.600 — und dies, obwohl die Zahl der Beschäftigten im Jahre 1950 von 1,825.000 auf 1,845.000 im Dezember 1952 angestiegen ist!,

Diese alarmierenden Zahlen, noch deutlicher die Angaben über den Stand der Unterstützten - 163.000 im Dezember 1952 gegen 83.400 im gleichen Monat des Jahres 1951 — rufen dringendnach Maßnahmen zur Eindämmung der vielfältigen Schäden, die die Arbeitslosigkeit in menschlicher, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht verursacht,

Eine viel zuwenig beachtete Ursache der Arbeitslosigkeit liegt im Zug so vieler Menschen, da S' heimatliche Dorf zu verlassen und das Glück in der Stadt zu suchen. Nach dem Statistischen Jahrbuch der Stadt Wien sind trotz der würgenden städtischen Wohnungsnot allein in den Jahren 1946 bis 1948 um 141.S 1 0 Menschen In ehr z u- a 1 s a b-gewandert. Noch stärker war der Zuzug in die Landeshauptstädte und Industrieorte, dem gleichzeitig die beängstigende Verringe-' rung der in der Landwirtschaft Tätigen von 285.400 im Mittel des Jahres 1937 über 240.600 im Jahre 1949 auf 206.000 im November 1952, gegen noch 212.400 im November 1951, entsprach.

Man kann daraus schließen, daß sich die Zahl“ der Arbeitslosen rasch und ausgiebig verringern würde, wenn es gelänge, den. Zuzug vom Dorf in die Stadt zu drosseln. Zwangsmaßnahmen kommen dabei natürlich nicht in Frage. Sie würden kaum den wünschenswerten Erfolg zeitigen, sondern lediglich das Ansehen der landwirtschaftlichen Arbeit, das ohnedies noch von der Zeit der Untertänigkeit her leidet, weiter verminr dem. Auch der Vorschlag, Jugendliche nach einigen Jahren landwirtschaftlicher Tätigkeit mit Beamtenstellen zu belohnen, konnte vielleicht gerade noch den „Schreibtisch“ zum Lebensziel machen, nicht aber das Interesse an der Landarbeit steigern.

Erfolg werden nur Maßnahmen haben, die das Leben auf dem Lande mindestens ebenso erstrebenswert wie in der Stadt machen, besonders dann, wenn sie außer der rein materiellen auch die ethische Seite berücksichtigen. Deshalb muß das Leben im Dorf schöner und freier, im Bauernhaus freundlicher werden. Auch die Gegensätze zwischen Bauer und Landarbeiter, zwischen Traktorbesitzer und Kuhbauer, die sich in letzter Zeit — ganz ungerechtfertigt — verschärft haben, müssen abgebaut werden.

Der Mensch im Dorf hat das Bestreben, selbständig zu werden und in der sozialen Stufenleiter, auch unter den größten Opfern, aufzusteigen. Diesem gesunden Verlangen müßte viel mehr als bisher Rechnung getragen werden, etwa durch frühere Ueber-gabe des Hofes an den Erben ; diese Uebergabe wird - heute aus Angst vor einer neuerlichen Geldentwertung häufig so lange hinausgeschoben, bis der Sohn, des langen Wartens auf das Selbständigwerden überdrüssig, „glücklich“ den Beruf wechselt.

Die Hilfe, die der Bund den Landarbeitern für den Bau von Eigenheimen gewährt, ermöglicht vielen jungen Menschen die Gründung einer Familie. Und damit ist die erste Stufe ihrer Selbständigkeit erreicht. Diese Hilfe wäre durch Kreditgewährung und Beratung noch auszubauen. Wie sehr die Familiengründung zur festeren Bindung an das Dorf beiträgt, beweist die deutsche Statistik, nach der in den Jahren 1933 bis 1938 19 Prozent der ledigen, aber nur 1,3 Prozent der verheirateten Landarbeiter in die Stadt abwanderten.

Die fortschreitende Mechanisierung der Landwirtschaft eröffnet neue und günstige Verdienstmöglichkeiten für fachkundige Be-dienüngsleute. Freilich bedürfen diese Arbeiter einer gründlichen Ausbildung, allenfalls auch der Unterstützung durch Darlehen, um selbst Maschinen ankaufen und Arbeiten in Lohn übernehmen zu können.

Es gibt auch sonst noch bisher nicht oder nur wenig erschlossene Verdienstmöglichkeiten auf dem Lande. Jene Volksdeutschen, die in der neuen Heimat gewohnte Arbeiten aus der alten mit Erfolg eingeführt haben, haben uns das bewiesen.

Jedenfalls muß noch viel getan werden, um dem kleinen Mann — und er ist ja in den meisten Fällen der Abwanderer — ein höheres Einkommen zu verschaffen. Seine Wirtschaft ist heute wegen seiner ungenügenden fachlichen Ausbildung und wegen des Mangels an Boden und Kapital vielfach rückständig, sie muß ausgebaut, erweitert und rationalisiert werden. Wir können da vom Beispiel Schwedens lernen, das ausbaufähige Kleinbauernbetriebe in jeder Hinsicht unterstützt, beispielsweise durch Gewährung eines Zuschusses von 15 Oere je Liter Milch bis zur Höchstanlieferung von 4000 Liter im Jahr.

Aber nicht genug damit. Es muß auch dem Taglöh ner ein möglichst ständiges Einkommen gesichert werden: Leider findet er derzeit nur in den Sommermonaten bei den größeren Bauern Arbeit, daher ist auch die Absicht, die Arbeitslosenversicherung auf die Landarbeiter auszudehnen, durchaus berechtigt.-

Noch einmal aber sei mit Nachdruck festgehalten: Die Quelle der Arbeitslosigkeit liegt im Dorf. Und im Dorf ist auch der Ansatzpunkt für ihre Ueberwindung zu suchen.

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