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Später Sommer am Waldschlag

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Der ' Falkenschrei hängt lange in der *rüben Luft des Spätsommertages. Metallisch klar und schwirrend stieg er über dem dichten Jungwald hoch und einen Augenblick lang schien es, als ob die ganze weite Waldeinsamkeit seiner lauschte. Selbst das sägende Geigen der Heupferde und das Summen der dicken Fliegen verstummte, doch gleich darauf war es wieder da und mit ihm all die Töne der klingenden Waldsymphonie. Hoch oben, im bleigrauen Himmel dieser schwülen Tage, stand zitternd und dunkel der Umriß des Raubvogels, dann war er verschwunden und nur der Häher zeterte noch aus den Buchen herüber, wie immer, wenn etwas Außergewöhnliches im Walde geschieht.

Der Waldboden ist trocken geworden in den langen Wochen des glühenden Sommers, und ein erster, dünner Teppich aus braunen Blättern beginnt die zerrissene und zerfurchte Erde zu bededecn. Auf den Wiesen draußen ist das zweite Heu geschnitten und am Wegrand blühen die stahlblauen Skabiosen und der goldgelbe Alant. Es riedit scharf nach Moder und zerfallenden Pilzen, wenn man in den Wald hereinkommt, nach sonnenwarmem Holz und guten Kräutern. Es sind die Wochen, da der Wald sich rot um-schleiert: auf allen Blößen und Sdilägen, an allen Rändern und Schneisen steht der hohe Dost mit seinen purpurnen Sträußen duftender Blüten und daneben, kleiner zwar und doch geschätzt wie kaum ein zweites Kraut weitum, blüht des Enzians nächster Verwandter, an heilsamem Bitterstoff ebenso reich wie dieser selbst: das Tausendguldenkraut.

Die lockende Frucht der Einbeere ist reif geworden und preist, schwarz und glänzend und doch so voll des Giftes, den späten Sommer, wie es die Tollkirsche auch tut, deren dichte, großbeblätterte Stauden die sonnige Lichtung füllen. Hier äsen am kühlen Abend die Rehe das weiche Waldgras vom Schatten rand und führen die Fasanenhennen ihre Jungen ins weiche, hoch-staudige Gekraut, das reich ist an Nahrung und Leckerbissen. Blaue Glockenblumen blühen noch und purpurner Ziest, daneben stehen die goldgelben Greiskräuter und kriecht der Immergrün mit langen Ruten über den Boden dahin. Mit dunkelgrünen, glänzenden Blättern mischt sich die Schwalbenwurz in diese sonnenhungrige Gesellschaft der Waldkräuter. Im Herbst schimmert es seidenweich und glänzend aus ihren schmalen Samenschoten und niemand ahnt, wie arg giftig diese Pflanze ist.

Herber Duft des Baldrians liegt über dem KaMschlag i*nd da wir ihn überblicken, der sidi weit den Hang hinaufzieht, sehen wir das sattrote Prangen, das diese Tage zwischen Sommer und Herbst so präditig und so einmalig schmückt: in üppiger Fülle ist hier das schmalblättrige Gekraut des Weiden-rösdiens hochgesdiossen und ins Blühen gekommen. Wo immer wir durdi Wälder gehen oder über sie hinblicken, um diese Zeit des Jahres, sei es im schmalen Bergtal der Alpen oder in den weiten, moorigen Ebenen des Ostens, in den harzduftenden Kiefernforsten des Nordens oder im buchenbestandenen Gehügel der Vorberge, überall leuchtet unS dieses samtene, dunkle Rot entgegen, mit dem der Sommer verglüht und in den Herbst einmündet. „Unholdenkraut“ nennen die Leute es, die hier in den Wäldern wohnen und sie wissen viel Seltsames und Zaubervolles von dieser Pflanze zu erzählen. Wer mit ihr umzugehen weiß und all die alten Gebräuche kennt, der ist gegen Tod und Teufel gefeit, gegen Hexen und Waldgeister, die sonst immer darauf aus sind, die Mensdien in die Irre zu leiten. Man muß es selbst vom Waldschlag holen, das Unholdenkraut, und man muß den Zauberspruch kennen, der dazu gesagt werden muß, dann hilft es wohl auch, den Sdiatz zu heben, der irgendwo vergraben ist. Man muß es zur Weihe in die Kirche mitnehmen und dann unter der Türschwelle' vergraben, dann bridit sich die Kraft aller bösen Geister und auch die Unholden können denen nichts anhaben, die in cinfr so geschützten Stube wohnen!

Wo das Unholdenkraut blüht und der Dosten duftet, da ist das Hexenkraut auch zu finden. Winzige, rosenrote Blütchen stehen am steifen Stengel und die kleinen Früchtdien, die jetzt, im späten Sommer, daraus geworden sind, haben nur auf uns gewartet: -schon hängen sie an Strumpf und Rock und lassen sich vertragen: blinde Passagiere, wie so viele andere Samen und Früchte, die in die Welt hinaus wollen und ein Stückdien Erde finden, darin sie keimen können! Beim Hexenkraut sagt es der Name sdion, daß auch ihm zauberhafte Kräfte innewohnen. Beim Räucherfeuer, das man gegen alles Dunkle und Böse anbrennt, wenn ein neues Haus, ein Hof oder ein Stall zu weihen ist, darf es nicht fehlen und die Hexen selbst, wider die es sonst schützt, vollführen mit seiner Hilfe wohl noch ganz, besondere Künste!

So blüht es rot und .purpurn am Saum unserer Wälder, da es Herbst zu werden beginnt. Und wenn man an den Winter denken muß, an die dunkle Trübn:s und bange Kälte, die dann wieder über die Berge herüberkommen wird, dann darf man nicht kleinmütig werden und verzagt: noch ist ja Sommer, noch blüht das Tausendguldenkraut und leuchtet der Dosten: er selbst, den die Bauern „Wohlgemut“ normen,

In deinen Mauern war Österreich. Von Raoul

Marti nee. Sexl-Verlag, Wien.

Bei der Beurteilung dieses Budies erheben lieh zwei Fragen, die beide einer klaren Bantwortung bedürfen. Zum ersten werden Ereignisse und Gestalten dargestellt, die neben uns und um uns sich bewegen, und dann die Erinnerung an jene ahnenden Stunden des kommenden Schicksals, die bitteren Tage selbst und deren F.nde, als dies alles wie ein böser Traum zerstob, was Gewalttätigkeit und Bosheit hieß. An dem F.nlen einer Lebensgcsdiidite rollen die traurigen Ereignisse ab. Sympathische und widerliche Gestalten versuchen das Bild zu beleben. Es mutet aber wie ein mittelmäßiger Buntdruck an, der über ein gewisses technisches Können nicht hinausreicht. Der Dichter und emptindsame Gestalter fehlt, der lebenskräftige Farben aufzutragen weiß. Das Buch ist von einem Sdirift-steller gesdirieben, der viel guten Willen zeigt, aber dem die letzte Kraft fehlt. — Die andere Frage ist die nach dem Sinn des Budies. Wer und was war dieses Österreich? Der von seinem Ideal, allen Mensdien zu helfen, gläubige jüdische Arzt; der willenlose und an sidi verzweifelnde Polizist, der nur ein einziges Mal Energie aufbringt, als er Selbstmord begeht; die jungen Menschen, die ihr persönliches Leben sudien und es symbolhaft im Mai 1945 finden (I lappy End)? Am eindrucksvollsten ist das Arbeiterehepaar gelungen, das ruhig und gefaßt den Weg zum Schafott geht. Unwillkürlich vergleicht man das Buch mit dem kürzlidi der Presse gezeigten Dokumentarfilm „Der Leidensweg Österreichs“. Hier wie dort fehlt die in reditem Sinn notwendige Tendenz. Niemand wird die vergangenen grauenvollen Jahre riduig einschätzen können, ohne einen klaren Standpunkt zu haben, was ihm österreidi bedeutet, was es ihm in seinem Herzen ist und wohin er es gesteuert wissen will. Jede künstlerische Gestaltung setzt ein persönliches Bekenntnis voraus. Und dies gilt gerade hier, wo es. um die letzte entscheidende Antwort geht, r-, r i i t

6 Dr. Leopold L e n t n e r

Mit offenen Karten. . Die Außenpoliiik der englisdien Ai beiterregicrung. Verlag der Wiener Volksbudihandlung.

In einer Broschüre von 52 Seiten ist die deut-sdic Übersetzung des Beridites über die Außenpolitik der englisdien Arbeiterregierung, der vom Sekretär der Labour Party, Mr. Healey, verfaßt und unter der Devise .,Karlen auf den Tisch“ verbreitet, den jüngsten Pfingstberatun-

Iiefert uns mit seinem Tee das Heilmittel, um gesunkenen Lebensmut wieder aufzufrischen und vergnügt in den Tag zu schauen. Wer wollte davon nicht trinken? gen der Partei zugrunde gelegen hatte, herausgebracht und diesem eine teilweise Obersetzung der unter dem Titel „Links halten!“ gleichzeitig in England erschienenen Kritik der „Re-bellengruppe“ der Labour Party an der Außenpolitik Mr. Bevins angefügt. Das Büchlein stellt einen interessanten Beitrag zu den heutigen weltpolitisdien Problemen dar. Der offizielle Parteiberidit ist seinerzeit auszugsweise auch der österreidiisdien üffentlidikeit durch die Presse bekannt geworden. Er enthält eine rechtfertigende, zum Teil polemische Darstellung der von der Regierung Mr. Attlces in den letzten zwei Jahren eingenommenen Haltung zu den außenpolitischen Fragen. An dieser Darstellung haben bekanntlidi nicht nur die oppositionellen englischen Kreise seinerzeit sdiarfe Kritik geübt und Bedenken, insbesondere wegen mancher den USA wenig freundlidier Auslassungen, geäußert. Das darauffolgende außenpolitisdic Kapitel der Kritik einer fünfzehnköpfigen „Rebellcn“-Gruppc ineer-halb der Arbeiterpartei, das bisher den breiten Kreisen in Österreich wenig bekannt war, wirkt durch seine lebhafte und offene Kritik an der Regierungspolitik und an den beiden großen Verbünderen um so fesselnder. Auch Molotow kommt dabei unter anderen sdilecht weg: der Friedensakt mit Naz.i-Deutsdiland im Jhre 1939 und die „jeder Zusammenarbeit abholde Haltung bei den Friedensverhandlungen seit 1945“ werden ihm schonungslos und temperamentvoll als „verhängnisvoller diplomatischer Unsinn“ angekreidet. Die zahlreidien konkreten, bisweilen etwas naiv und utopisch anmutenden Anregungen zu den sdiwierigen Problemen, denen sidi England unter sozialistischer Führung inmitten seiner eigenen Nadikriegsnöte gegenübersieht, eröffnen interessante Ausblicke auf die weitere Entwicklung der englischen Außenpolitik, der die opfervolle Rolle der Vermittlerin im Dilemma zwisdien den beiden ideologischen Polen der heutigen Weltpolitik, Washington und Moskau, zugewiesen wird.

Gesandter a. D. Theodor Hornbostel

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