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Spanische Pläne und Sorgen

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,La €öruna, Anfang April

Der Atlantikpakt hat eine Welle interessierter Kommentare in spanischen Zeitungen hervorgerufen. Man erwägt die Möglichkeit eines späteren Anschlusses. Politiker, Militärs und sonstige Sachverständige behandeln breit das dankbare und einleuchtende Thema der strategischen und taktischen Wichtigkeit, die Spanien im westeuropäischen Verteidigungssystem hätte. Angelegentlich unterstreicht man die dem Bolschewismus grundsätzlich abgeneigte Haltung de9 spanischen Volkes (eine freie Wahl wird aber vielleicht in dieser Hinsicht einmal gewisse Überraschungen bringen). Sicherlich drängt auch die Lage der spanischen Wirtschaft zu solchen Erwägungen. Seit Jahren lastet auf ihr der Alpdruck gelähmter Geschäfte, blockierter Unternehmungen. Alle großen Projekte, die man nach dem europäischen Krieg in die Wirklichkeit umsetzen Wollte, scheitern an den fehlenden Maschinen, an der Unmöglichkeit, bestehende Installationen den Erfordernissen der modernen Technik und des erhöhten Bedarfs anzupassen. Ein baskischer Ingenieur, Alexander Goicoechea, der einen neuartigen Typ eines „Raupenzuges“ (durchgehender Eisenbahnzug, dessen Waggons in- einander„gescbachte!t“ sind) erfunden hat, müßte nach den Vereinigten Staaten gehen, weil es der spanischen Industrie unmöglich war, die Voraussetzungen für die Konstruktion zu schaffen. Dort ist sein System auch patentiert worden, und dieses Jahr ist er nach Spanien zurückgekehrt, mit seinem kompletten Eisenbahnzug, zerlegt im Laderaum des Schiffes. In wenigen Wochen werden sich die Bauern Kastiliens erschrocken bekreuzigen, wenn sie die seltsame „Riesenraupe“ auf dem Schienenstrang erblicken werden.

Die biblische Trockenheit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres, die erst im Februar und März wenige Unterbrechungen erfahren hat, verursachte eine katastrophale Stromknappheit, die jede industrielle Tätigkeit zeitweise bis auf einen Tag in der Woche lahmlegte. Wenn die soziale Gesetzgebung der Regierung nicht die Entlassung von Arbeitern unterbände, eine verheerende Arbeitslosigkeit hätte das arbeitende Volk getroffen. Viele Betriebe sahen sich gezwungen, ihre Arbeiter auf bezahlten Urlaub zu schicken; der Staat ersetzt zum Teil den Betrieben die Löhne, die sie für unverschuldet ausgefallene Arbeitstage ihren Angestellten bezahlen müssen.

Für die Landwirtschaft, die seit dem Bür gerkrieg noch keine Gelegenheit bekommen hat, ihre Geräte und Maschinen zu erneuern, geschweige denn moderne einzuführen, und die vor allem wegen des anscheinend unüberwindlichen Mangels an Stickstoffdüngern aus ihrem Tiefstand an Rentabilität überhaupt nicht mehr herauskommt, war da trockene Jahr ein Schwerer Schlag. Bei einer Ernte von 25 Millionen Doppelzentner Brotgetreide war das Defizit zehn Millionen Doppelzentner, die Hälfte des Defizits des letzten Bürgerkriegsjahres. 815 Millionen Peseten wird die Regierung in die Einfuhr von Weizen stecken müssen, um die Brücke zur neuen Ernte schlagen zu können. Fürwahr, diesem Lande täte eine kräftige Unterstützung aus dem Europa- hilfsprogrämm Marshalls not. Österreicher, die kürzlich in der Heimt waren, äußerten, daß es dort in vieler Hinsicht, besonders aber in der Volksernährung, besser stehe.

Trotzdem will Spanien 2 0.0 0 0 aus Österreich kommenden Kindern, von denen die ersten tausend schon eingetroffen sind, für sechs Monate Gastfreundschaft und Erholung gewähren. Das Interesse an der Aktion und die Anteilnahme an dem Geschick jener Kinder ist beispiellos. In allen Gemeinden ist Vor sorge getrageh, daß da, wo nicht eine sehr 1 wohlhabende Familie ein österreichisches Kind aufnimmt, durch gemeinsame Spenden die „Patenfamilie“ in die Lage versetzt wird, während jener sechs Monate nicht etwa nur von den Rationen leben zu müssen, die Weit niedriger sind als in Österreich. Das Phänomen dieser großmütigen Gastfreundschaft ist dadurch zu erklären, daß sich das spänisdie Volk nicht so unglücklich und arm fühlt wie etwa das deutsche. In diesem genügsamen Volk lebt immer noch der noble Geist, der Armut mit Würde ertragen und selbst in eigenen bescheidenen Verhältnissen christliche Liebestätigkeit üben lehrt.

Die spanische Wirtschaft macht alle Anstrengungen, die kritische Lage zu meistern. Ein 25-Millionen-Kredit aus Nordamerika kam ihr kürzlich zu Hilfe. Die spanischen Staatsbahnen, unter ihrem vor einem Jahr berufenen neuen Generaldirektor, dem Grafen Guadalhorcė, strengen sich an, dessen Modernisierungsprogramm tatsächlich bis 1951 Wirklichkeit werden zü lassen. Zunächst kamen neue Eisenbahnschienen aus Argentinien, freilich in zu geringer Menge, denn praktisch müßte das gesamte Eisenbahnnetz des Landes neu verlegt werden. Von den 740 in Nordamerika gekauften hypermodernen Eisenbahnwagen sind bisher, außer dem „Raupenzug“, 170 eingetroffen. Der Rest soll bis Mai einsatzbereit im Lande sein. Die endliche Anpassung der spanischen Staatsbahnen an die Erfordernisse des modernen Betriebes ist eines der dringlichsten Probleme, und man darf gespannt sein, ob es diesmal konsei- quent und erfolgreich zu Ende geführt werden kann.

Gleichsam als Eintrittskarte in das westeuropäische Pakt- und „Relief“system — Marshall-Hilfe, Atlantikpakt, Westeuropaunion — bleibt die Rückkehr zur Monarchie. Es scheint, daß England und die USA mit einem Bourbonen als Haupt des spanischen Staates ernsthaft zu verhandeln und wirksam einzugreifen gedenken. Nicht zu übersehen ist für diesen Plan die bestehende Traditionslücke. Die junge Generation ist der Idee der Monarchie, wie sie auch immer sei, entfremdeti Auf die Nachricht, daß der Lusitaniaexpreß i den Unterstaatssekretär für Auswärtiges, Don Carlos Miranda, zu einem ersten offiziellen Besuch nach Lissabon brachte, wo ihn der Gesandte, Don Nicolas Franco, ein Bruder des Diktators, mit dem gesamten Personal der spanischen Gesandtschaft am Bahnhof erwartete, und auf den kürzlichen Rundfunkaufruf des Dichters Jose Maria Pemän an die Jugend, „sich zu bemühen, die Monarchie zu verstehen“, lautet die Antwort der akademischen Wochenzeitschrift „La Hora“: „Wir sind keine Monarchisten. Mehr noch: wir können kein Monarchisten ein!“ Wenn so die weitgehend phalangistisch orientierte akademische Jugend, die sich fast ausschließlich aus Söhnen reichster Familien zusammensetzt, auf die Idee einer Rückkehr zur Monarchie antwortete —, was soll man dann von den insgeheim sozialistischen und nur offiziell phalangistischen Syndikalisten erwarten, was von der großen Masse eines Proletariats, zu dem man heute, nach zehn Jahren Franco-Regierung, außer den Arbeitern, Angestellten, Lehrern und landwirtschaftlichen Kleinpächtern, selbst Mittelschullehrer und freie Berufe zählen kann? Das Problem ist durchaus nicht einfach.

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