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István Eörsi reflektiert den ungarischen Kommunismus in ironischen Brechungen und schaut sich dabei selbst ins Auge.

Glühender Theatermann, Romancier, Essayist und Übersetzer - all das war der im Vorjahr verstorbene István Eörsi. Ursprünglich ein überzeugter Kommunist, wurde er zum konsequenten Gegner des Stalinismus. 1956 wurde Eörsi wegen Beteiligung am Ungarn-Aufstand zu acht Jahren Haft verurteilt, die Hälfte davon hat er abgesessen. Um die Zeit zwischen der Entlassung aus dem Gefängnis und der Wende von 1989 geht es in dem Roman - reflektiert aus der Distanz des Jahres 2001, wo der Erzähler am 8. Juni in einem Budapester Kaffeehaus sitzt und auf seine Romanfiguren trifft.

Dissident und Emigrantin

Zwei von ihnen halten das Erzählen in Gang: der Schriftsteller Borsi und die Journalistin Erzébet Pallagi. Borsi ist eigentlich Eörsi, der einen Roman über sich selbst schreiben und dabei eine Tarnkappe zur Verfügung haben wollte, die er nach Belieben überziehen oder lüften kann. Erzébet Pallagi ist eine Emigrantin, die gekommen ist, um Borsi für das Times Litterary Supplement zu interviewen. Der alternde Schriftsteller und die junge Frau, die Helden-Perspektive des Ex-Dissidenten und der distanzierte Blick aus demokratischer "Normalität" - diese Kontraste geben dem Roman Tempo und Spannung.

Das Erzählen kreist um das Stück "Im geschlossenen Raum", das Borsi 1965 geschrieben hat und das in Ungarn verboten war - wie eben Eörsis Stück "Das Verhör". Erzébet will über das Stück sprechen, aber Borsi, dem Charmeur, kommen immer wieder seine Frauengeschichten dazwischen. "Worüber ich auch aus meinem Leben fabuliere", meint Borsi, "es steht ganz direkt oder höchst indirekt mit dem geschlossenen Raum in Verbindung". Der geschlossene Raum - das ist die Großmetapher für das Ungarn des Kádár-Regimes. Aber auch das Erzählen findet in einem geschlossenen Raum statt: im einsamen Haus auf einer Donauinsel nahe Budapest.

Für die junge Frau ist Borsi ein eitler Egomane, der mit seinem Scheitern prahlt und alles nur in Bezug auf sich selbst sehen kann. Erzébet hingegen bringt Borsi zum Lachen. Worüber? "Darüber, daß Sie dieses Land verzweifelt verlassen und trotzdem immer wiederkommen. Weil sie sich immer von neuem überzeugen müssen, daß Sie recht hatten zu emigrieren." Borsi und Erzébet liegen nebeneinander auf einem Bett, aber zwischen ihnen liegt ein Ruder; und dort bleibt es bis zum Schluss. Nicht nur die Verführung misslingt dem alten Routinier, auch die Dissidenten-und die Emigrantenperspektive lassen sich nicht harmonisieren.

Manches von dem, was der Roman nachzeichnet, hat man so oder ähnlich schon einmal gehört, nicht zuletzt auch in Essays und Interviews von István Eörsi: seine Begegnung mit Ernst Jandl oder mit Allen Ginsberg - beide hat er ins Ungarische übersetzt -, seine zu Szenen verdichteten Ost-West-Missverständnisse oder sein Porträt des Genossen Verebes. Dahinter verbirgt sich György Aczél, ein wichtiger Kulturfunktionär der Kádár-Ära. Von Verebes heißt es im Roman: "Er habe der Diktatur ein schnurrbärtiges, menschliches Antlitz geliehen und die Abhängigkeit der Kunstschaffenden durch Gegenleistungen erträglich gemacht.

Jude im Kommunismus

Aber Verebes wird erschreckend verständlich und leuchtet den noch immer existierenden ungarischen Antisemitismus aus. Er ist Jude, und nur die Kommunisten waren seine Garantie, nicht wieder fürchten zu müssen, in die Donau geschossen zu werden. Wie für Borsis eigenen Bruder, der dann freilich den subkutanen Antisemitismus auch der Kommunisten kennen lernen musste.

Gelegentlich knirscht die Konstruktion des Romans, es ist nicht immer klar, wann Eörsi seinem Alter Ego Borsi ins Wort fällt. Aber diese kleinen Mängel fallen hier unter den Tisch - genauso wie die Nebenfiguren, die überzeugende Details einbringen, die im Dialog nicht zur Sprache kommen können.

Lesen sollte man diesen Roman nicht nur, um Ungarn zu verstehen: den im Westen oft verniedlichten Gulasch-Kommunismus, aber vor allem die heutige Situation, wo die Aufarbeitung der Vergangenheit schwieriger ist als in "harten" Diktaturen, in denen die Rolle von Tätern und Opfern klarer war. In Eörsis Roman klagen ja immer wieder die Büttel des Systems, wie schwer es war, ein Büttel zu sein und wie sie darunter gelitten haben.

Aber es braucht keine außerliterarischen Gründe, um diesen Roman zu lesen. Der satirische Witz noch im ernstesten Argument, das rhapsodische Schwadronieren in Verbindung mit einer weiten Perspektive und so viel Welt im geschlossenen Erzählraum - das macht die Faszination dieses Buches aus.

IM GESCHLOSENEN RAUM

Roman von István Eörsi

Aus dem Ungarischen von Heinrich Eisterer und mit einem Nachwort von György Konrád

Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006, 323 S., geb., e 23,50

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