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Spiel im Burghof

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Zu einem Festspiil' gehoren drelf eine natirliche Ktlisse eine' ldee uhif aain i2iiübbter;’' det tleii Quell aus dem Felsen schlägt. Das Kärntner Burgenstädtchen Friesach präsentiert in den Ruinen des Petersberg-Schlosses eine Naturbühne von einfacher Großartigkeit, in seiner reichbewegten Geschichte (zurück bis zum deutschen Ludwig) die Idee mittelalterlicher Machtkämpfe-Tragik, die uns Heutigen mehr denn je auf der Haut brennt, und im Universaltalent des Schöpfers, Regisseurs und Hauptdarstellers seiner Festspiele, Hannes Sandler, einen Besessenen, dem zudem sein Architektenberuf die für Festspiele unerläßliche Idealsynthese von Inspiration ' und Organisation, von Kunst und Kommerz aufzwingt. Zehn Jahre schon hat er aus dem spröden Laienspielermaterial Funken geschlagen. Grund genug, sich einmal auch an Schwierigstes, Unlösbares zu wagen: nach Wallenstein, Ottokar, Götz u. a. jetzt an Gerhart Hauptmanns „Florian Geyer“.

Unlösbar: denn es gibt — nur ein scheinbares Paradoxon! — gerade auf der Naturbühne im Grunde kein naturalistisches historisches Drama (die romantische Versuchung ist zu groß!). Dieses Haupt- mannsche noch dazu, die Kampfansage der neunziger Jahre gegen romantisierende Klassik — selbst den Revoluzzern von 1896 nicht schmackhaft — sollte nun, zu nächtlichem Volksfest adaptiert, 60 Jahre später „gefallen“? Es gefällt, ja noch mehr: es macht Eindruck, ja, es kommt richtig an. Zwar muß sein moderner Bearbeiter die Zentralidee Hauptmanns fallenlassen: den müden, weisen Skeptizismus, das Verlorensein der Masse und des einzelnen in der dämonischen Monotonie der Geschichte. Dafür aber bietet derselbe Hauptmann, ohne ihn biegen und beugen zu müssen, neben diesem Herzstück auch noch Muskeln und Fleisch in Hülle und Fülle: das Drama der deutschen Zwietracht, eine pralle Fülle polternder, raufender, rülpsender, schwärmender, betender Figuren und einen Helden, dem, ganz gegen naturalistische Dogmatik, nahezu der ganze fünfte Akt gehört. Diesem Florian Geyer gibt Hannes Sandler ganz und restlos, „was des Geyers ist“: den Impetus des Revolutionärs und darüber hinaus noch eine Ahnung jener zeitlosen menschlichen ausweglosen Tragik, die Gerhart Hauptmann, durch besondere Umstände dieser seiner Lebens- und Schaffensperiode förmlich .hineingestoßen, wirklich gemeint hat.

Um ihn herum halten sich Schauspieler und Deklamieret angenehm die Waage. Zu ersteren zählen der Löffelholz Heinz Köppls, der Tellermann Valentin Pagitz’, Gudrun Veliseks Marei, Karl Beneschs Rektor, Gert Berndts Grumbach und nicht zuletzt die großartigen Episoden des Schäfer-Hans (Johannes Smits) und — ein Kabinettstückeri — der lud Jöslein

Heinz Neunteüfels. Von Hauptmanns 80 'dramatis personae“ tnüsieri einige, darufiVe'r W įėTštliche Frankenherzog höchstpersönlich, fallen, doch gehen die Striche, Straffungen und Raffungen nirgends ins Fleisch, der veränderte Schluß des dritten Aktes ist sogar unverkennbar ein Gewinn. Bühnenbild und Einrichtung, Kostüme und Beleuchtung ergeben einen probaten Zusammenklang (selbst die unnaturalistischen Chöre, Vor- und Nachsprüche finden Platz darin) und zaubern in den Nachthimmel Bilder von berückender Farbenpracht; das ist zwar nicht ganz das zerlumpte Grauschwarz, das Hauptmann seinerzeit dem genialen Otto Brahm suggeriert hat, aber doch, auch wieder nirgends die gefürchtete Postkartenpalette in usum Delphini. Wie um das holde Kompromiß zu unterstreichen, hängen Glühwürmchen in natura ihre weißen Lämpchen in den blauen Samt der Mitternacht — so spät ist es nämlich geworden, da sich die Tausend im spukhaften Labyrinth des Ruinenberges zu zerstreuen beginnen.

Man spielt in Friesach den ganzen Juli und August viermal in der Woche, an einem Abend das Drama, am folgenden (seit 1956) das Satyrspiel; diesmal ist (nach Moliėres „Tartuffe“ und „Schule der Frauen“: und Shakespeares’ „Was ihr wollt") „Der Widerspenstigen Zähmung“ dran. Es wirft kein sonderliches Stilproblem auf, es braucht nur vollsaftiges Komödiantentum; vielleicht gar nicht so sehr Bühnenroutine, sondern, wenn wir seine Herkunft bedenken, Instinktschauspielerei. Es braucht eines „ganzen“ Petrucchio und eines ganzen Kät- chens, um die ein Haufen Freier und Diener nach Herzenslust toben können. Und hier bleibt Friesach wahrhaftig nichts, gar nichts schuldig. Hannes Sandlers Petrucchio versprüht ein geradezu romanisches Temperament, sein Petrucchio würde keiner Wiener Bühne Schande machen. Vom borstigen zum sanften Kätchen spielt Gudrun Velisek eine reiche Skala zwiespältiger Weiblichkeit, ihrem einfacheren Schwesterchen gibt Eleonore Mietschnig holde Züge. Ringsum ein Reigen lustiger Karnevalsfiguren: Karl Benesch, Johannes Smits, Arnold Putz, Heinz Neunteufel, Heinz Köppl, Stefan Hutter, Josef Schuh- meyer, Raimund Herrnstein, Josef Egger, Valentin Pagitz, Helene Pirzl u. a. Der Abend hat Schwung, Farbe find südliche Verve (reizende Gitarrenmusik: Konrad Ragoßnig).

Gerade an dieser erstaunlich souverän gebändigten Spannung zwischen Tragödie und Komödie erwiesen sich das Spieltalent der Friesacher und die Vollblutpersönlichkeit ihres Spielführers. Ihre Burghofspiele wachsen und reifen von Jahr zu Jahr. Ihr Aktionsradius ist nicht mehr rein lokal. Sie sind eine kulturelle Tat.

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