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Spital und Technik

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„Garantie“ durch fremde Machte be- deutungslos sei, ist weder im recht- lichen noch im tatsachlichen Bereich begrundet. Die Sicherung der Neutralitat, also ein eminentes nationales Interesse, verlangt groBe materielle Opfer — aber dies muB leicht wiegen, wenn dadurch im Ernstfall unver- gleichlich schwerere Verluste an Men- schen und Kulturgutern vermieden werden konnen.

Merkwurdige Thesen

Ein letztes Wort schliefilich — und damit wird wieder der eingangs er- wahnte merkwurdige Zwiespalt be- riihrt — noch zur These, dafi der Ge- danke der Neutralitat fur Osterreich „neu“ gewesen sei, wie es auch im Parlament bei der BeschluBfassung

Die Technik hat auch im Kranken- haus gesiegt.

Wenn auch in Osterreich infolge des Krieges noch nicht alles so ist wie in einigen anderen Landern des Westens — vieles hat sich schon ge- andert, und der Rest ist eine Frage der Zeit.

Die Vorteile dieser Entwicklung konnen nicht bezweifelt werden. Sie liegen darin, daB dem Arzt technische Hilfsmittel fur Behandlungserfolge zur Verfiigung stehen, die vordem un- moglich waren. Ohne technische Hilfe konnten weder Operationen grofieren Stils durchgefuhrt werden noch gabe es eine interne Behandlung von wesentlicher Bedeutung. Das groBe Arsenal komplizierter technischer Apparate und Gerate, das sich in den Laboratorien, Operationssalen und Be- handlungsraumen angesammelt hat, ist der Ausdruck des Gestaltwandels der Medizin und — damit untrennbar ver- bunden — des Krankenhauses im tech- nischen Zeitalter.

Selbstverstandlich erstreckt sich der EinfluB der Technik nicht auf rnedi- zinische Belange allein. Die Gesamt- atmosphare des Krankenhauses ist eine andere geworden. Die groBen Krariken'sSle weichen kleinen, freund- ] Ijchen Ratimen, diejmit derrforder-’ lichen sanitaren Einrichtung, mit be- sOnders konstruierten Betten, mit Radio, Telephon, Signalanlagen und so weiter ausgestattet sind. Die verschie- denartigen Geruchsbelastigungen sind verschwunden, klimatische Anlagen schutzen gegen Hitze und Kalte und Aufzuge erleichtern den Personen- und Giitertransport. Samtliche Ver- sorgungsanlagen sind weitgehend tech- nisiert und verbessert.

Der teure Fortschritt

Das moderne Krankenhaus bietet also im Vergleich zu seinem Vor- ganger den Kranken in weitgehendem MaBe Geborgenheit und Hoffnung. Der Gedanke, daB der technische Fortschritt, dem dieser Leistungsaufstieg zu danken ist, Ursache dessen sein soil, was man als Krise des heutigen Krankenhauses bezeichnen konnte, er- scheint fast absurd. Und doch ist es so.

Eine der grofien Sorgen jedes An- staltstragers ist die Aufbringung der fur die Erhaltung und den Betrieb not- wendigen Geldmittel. Die technische Ausriistung spielt dabei eine groBe Rolle. Die Anschaffung der vielfalti- gen medizinischen Apparate und Gerate verschlingt enorme Summen. Viele Apparate gelten schon nach kurzer Verwendungsdauer als uberholt und mussen durch neue Typen ersetzt werden. Die wachsende Zahl von Untersuchungs- und Behandlungs- methoden steigert den Raumbedarf betrachtlich. Es ergibt sich daher laufend die Notwendigkeit, Kranken- zimmer in Laboratorien, Behandlungs- raume usw. umzuwandeln oder Er- weiterungsbauten durchzufiihren. So ist aus dem friiheren Operationssaal ein ganzer Operationstrakt geworden; zu den Handlaboratorien ist ein Zen- trallabor vom Umfang einer kleinen chemischen Fabrik hinzugekommen. In ahnlicher Weise haben sich die Institute fur Strahlenuntersuchung und -behandlung, fur Physikalische Thera- pie usw. ausgeweitet.

Man kann dem Laien die Ausgaben- last eines Krankenhauses nur schwer begreiflich machen. Er beurteilt, selbst als Anstaltspatient, den Betriebsauf- wand meist nur nach dem, was er er- halt: nach der Verpflegung und nach den Medikamenten. Alles andere iiber- sieht er. In Wirklichkeit machen die uber das Neutralitatsgesetz zu horen war. Ja, teilweise wurde sogar erklart, daB die Neutralitat zwar „das Ziel einer kleinen Gruppe osterreichischer Politiker" gewesen sei, dafi aber „die iiberwiegende Mehrheit des Volkes" nie an so etwas gedacht hatte, wenn sie damit nicht hatte ihre Freiheit er- kaufen konnen. Gelegentlich solcher AuBerungen zeigt sich wieder die Differenz zwischen osterreichischer Toleranz und Einsicht einerseits und der Einstellung zur Neutralitat ander- seits. Das ausgesprochene oder im stillen wirkende Bedauern daruber, dafi Osterreich nicht an der Weltpoli- tik, das heiBt an der Einschaltung in ein bestimmtes Machtsystem, teilneh- men kann, ist unverstandlich, wo die mit der Teilnahme an dieser Art von genannten Posten im Durchschnitt nur einen Bruchteil der Regien aus. Der weitaus groBte Teil, namlich mehr als 80 Prozent, werden vom sonstigen Materialaufwand und den Personal- kosten in Anspruch genommen.

Die Kleinen werden erdriickt

Den Ausschlag gibt jedoch die Tat- sache, daB die hohen Ausgaben in den offentlichen Spitalern durch die Ein- nahmen bei weitem nicht aufgewogen werden. Der Verpflegstag in einem Wiener Krankenhaus kostet durch- schnittlich 170 S, wofiir der Patient der III. Gebiihrenklasse pro Tag nur 100 S vergiitet. Es entsteht also durch die Diskrepanz der Kosten des riesi- gen technischen Aufwandes und des Personals einerseits und der zumut- baren finanziellen Belastung des Pa- tienten auf der anderen Seite ein Defi- zit, das sowohl dem privaten wie dem offentlichen Anstaltstrager schwerste Opfer auferlegt.

Der durch die steigenden Betriebs- kosten bedingte Rationalisierungstrieb hat die Entstehung von GroBkranken- hausern, die von kapitalsstarken Kor- perschaften gefiihrt werden, begun- stigt. Die ehemaligen, auf Stadt und Land' verteilten Kleihspitaler, die ge- vohnlich auf privater Basis oder von Gemeinden oder Orden gefiihrt wur- len, sind zum Teil eingegangen. So- veit sie bestehen blieben, kampfen sie nit Existenzschwierigkeiten. Dieser Zug kann nicht vorbehaltlos bejaht sverden. Kleine und mittlere Anstalten ’estatten eine individuellere Behand- ung als das GroBspital. Sie erfullen iaher auch heute eine wichtige Auf- jabe im Gesamtrahmen des Gesund- leitswesens, weshalb ihr Riickgang zu jedauern ist. Doch konnen nun auch lie groBen Anstaltstrager nur noch nit Miihe die Mittel aufbringen, die ler medizinische und zivilisatorische :ortschritt erforderlich macht. Die

Folge ist ein Verlust an Niveau und Leistung, der im Hinblick auf die Volksgesundheit und das Ansehen der Medizin im Lande gleich beklagens- wert ist.

Der Schwesternnachwuchs versiegt

Es wird somit deutlich, daB der technische Fortschritt auch im Kran- kenhaus durchaus kein Licht ohne Schatten ist. Man kann sich immerhin vorstellen, dafi die Finanzierungsfrage durch weitere Betriebsrationalisierung und eine entsprechende Anderung im System der Finanzierung der Krankenanstalten gelost werden kann. Nicht so leicht laBt sich, wenigstens fiir die Zeit der Hochkonjunktur, eine Losung fur den Personalmangel voraussehen. Die Anwartschaft auf den Beruf der Krankenpflege, wenngleich er viel Er- hebendes und Packendes in sich birgt und weit bessere Existenzgrundlagen aufweist als friiher, wird immer ge- ringer. Auch bei voller Anpassung an moderne Lebensformen und weiterer Steigerung der Entlohnung bleibt das Motiv der Hilfs- und Opferbereit- schaft auch in Zukunft fur die Kran-

Weltpolitik verbundenen schreck- lichen Verluste und Ndchteile aller Art noch lebhaft in Erinnerung sind!

Es wird vornehme Aufgabe der staatsbiirgerlichen Erziehung sein, das Neutralitatsdenken jedem Osterreicher naherzubringen und es in alien seinen Auswirkungen zu festigen. Auch die- jenigen, die wirtschaftliche Prosperitat und deren tatsachliche oder vermeint- liche Sicherung uber staatliches und nationales Schicksal stellen wollen, sollten nicht vergessen, dafi die wirtschaftliche Stabilitat Osterreichs in Freiheit und Eigenstandigkeit im Schutz einer standpunktbewubten, aber toleranten und um Objektivitat bemuhten Neutralitat am besten ge- sichert ist.

kenpflege bestimmend. Wenn sie, wenigstens in den zivilisierten Lan- dern, auch keineswegs mehr heroischen Charakter tragt, verlangt sie doch Nacht- und Feiertagsdienst, zeitweilige Trennung von Heim und Familie, das Risiko der Gefahrdung der eigenen Gesundheit usw. Alle sozialen Vor- teile, an denen der Pflegeberuf natur- licherweise Anteil genommen hat, ver- mochten die Erkaltung der Herzen nicht aufzuhalten. Daher versiegt der Schwesternnachwuchs nach und nach.

Es ist die besondere Aufgabe der Gesellschaft, unter den jeweils ge- gebenen Bedingungen jene Krafte zu wecken und zu finden, die sie zu ihrem Bestand braucht. Zweifellos ist jedes Gemeinwesen auf die Mithilfe eines fachlich geschulten Korps von sozialberuflich tatigen Menschen, insbesondere diplomierten Krankenpflege- rinnen und Krankenpflegern, direkt angewiesen. Die derzeit bereits be- stehenden fiihlbaren Schwierigkeiten sind eine ernste Mahnung, baldigst ausreichende Vorkehrungen gegen die Bedrohung des akuten Schwestern- mangels zu treffen.

Es wird heute haufig betont, dafi die heutige Jugend nicht schlechter sei als die Jugend in fruheren Zeiten. Wenn das zutrifft, dann besitzt sie auch Ideale. Die Einsatzfreudigkeit der Jugend hat sich in der Vergangenheit allzuoft auf den Schlachtfeldern in er- schiitternder Weise kundgetan. Ware es nicht sinnvojler und dem traurigen Vermachtnis ungezahlter junger Menschen, die in den Schlachten und Krie- gen der Menschheitsgeschichte Leben und Gesundheit liefien, durchaus an- gepaBt, wenn die westliche Demokratie ihre Jugend einen anderen Weg fuhren wurde: den Weg der aktiven Hilfeleistung an ihren alten und kran- ken Mitburgern. Wie hoffnungsfroh stimmen hier gegenuber der Kriminal- chronik, in der allzuoft die Rede von fiihrungslosen, am Sinne des Daseins verzweifelten jungen Leuten die Rede ist, die Berichte von Padagogen und Leitern von Jugendklubs: mit welcher Begeisterung ubernimmt die Jugend die Betreuung hilfsbediirftiger Menschen, opfert ihre Ersparnisse und freie Zeit, nur um ihnen eine Freude zu machen. In Deutschland haben sich denn auch bereits groBe Jugendverbande erfolg- reich auf breiter Basis in den Kampf gegen den Personalmangel in den Krankenanstalten eingeschaltet.

Noch liegen Krafte brach

Doch gibt es sicher auch unter den Erwachsenen noch genugend brach- liegende idealistische Krafte. Manche Auswiichse des heutigen Gesellschafts- lebens lieBen sich verringern, wenn die ihnen zugrunde liegenden Motive seelischer Unlust in positive Bahnen gelenkt wiirden. Gibt es nicht auch hierfiir Beispiele? Es sei an das un- gewohnt starke Echo erinnert, das der Aufruf der amerikanischen Regierung zur Bildung eines Friedenskorps fand. Wie bei alien grofien allgemein- menschlichen Anliegen durfte auch hier die „amtliche“ Initiative allein nicht ausreichen und sollten sich vor allern jene Krafte um eine Losung be- miihen, welche gewissermaBen die Elemente sozialer und ethischer Wil- lensbildung in der Demokratie bilden: humanitare und karitative Vereini- gungen und vor allem auch die groBen Jugendorganisationen. Wenn nichts geschieht, werden in wenigen Jahren auch technisch glanzvoll ausgestattete Spitaler fiir die Volksgesundheit wert- los dastehen, well sie wegen Personalmangels den Betrieb nicht aufrecht- erhalten konnen.

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