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Sprache des Herzens

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Der Rang des Geistes. Goethes Weltverständnis. Von Fritz-Joachim R i n t e 1 e n. Max-Niemeyer- Verlag, Tübingen. 436 Seiten.

Rintelens Absicht, wie man sie bereits aus seinen früheren Büchern her erkennt, geht auf eine Ueber- windung der Lebensphilosophie und der Existenzphilosophie. Goethes Weltanschauung soll für diesen heutigen Zweck nutzbar gemacht werden. Leben und Geist werden bei Goethe nicht als Gegensätze, die nur als Widerspruch existieren, erkannt, sondern ihre Vereinigung zum „lebendigen Geist" ist hier die Formel für Goethes Synthese. Man braucht nur auf Johannes 6, 63 zu verweisen: „Die Worte, die Ich rede, die sind Geist und sind Leben.“ Genau so setzt ja auch Kant „Von der Macht des Gemüts“ Geist und Leben als eine Einheit an. Haman und Herder sprechen vom „Heiligen Geist des Lebens“. Schon Kierkegaard hat erkannt, daß der „Geist“ vor allem dann Hegels, im Grunde die „Natur“ sei. Tatsächlich hat ja die Identitätsphilosophie Natur und Geist als identisch erkannt. Goethes Geistbegriff, denn um seine sachliche Bestimmung geht es ja dem Verfasser, ist weiter als die ratio, wie sie etwa Klages im Auge hat, wenn er den Geist den „Widersacher der Seele“ nennt. Geist ist hier das ens per- fectissimum, das höchste und vollkommenste Sein als ens realissimum. Beides aber ist nicht gleich dem logisch-begrifflich Allgemeinsten. Von besonderer Bedeutung ist die Feststellung Rintelens, daß man bei Goethe von einem „Primat des Eros im Logos“ sprechen müßte (S. 393), von „göttlicher Geistliebe“. Das ist eine grundlegende Einsicht für Goethe. Mit Recht bekennt der Verfasser: „Hier hat Goethes Geistverständnis den höchsten Rang gewonnen.“ Rintelen sieht in Goethe den Blick auf die Einheit von Leben und Geist gerichtet und fordert ihn zum Zeugen einer Wendung der Gegenwartsphilosophie.

„Leben aus seiner jeweiligen Existenz und Geist in seinem untrüglichen Bestand müssen heute wieder als Einheit zusammengeführt werden.“ Das Auseinanderhalten von Logos und Eros ist bei Goethe nicht leicht. Beide fallen ihm zusammen. Sein Eros ist die alles schaffende demiurgische Kraft wie der Logos. Die göttliche Liebeskraft und das für Goethe so wichtige Logosevangelium bilden die ersten Voraussetzungen von Goethes Begriff von Geist und Liebe. Rintelens vorzügliche Arbeit (die allerdings viel Ballast mitschleppt, der für die Goethe- Forschung unwichtig, weil bereits andernorts gesagt) darf das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, Goethes Geist- und Weltverständnis übersichtlich herausgearbeitet zu haben. Eine straffere Fassung der Grundgedanken hätte dem Buch nur nützen können.

Univ.-Prof. Dr. Robert M ū h 1 h e r

Ludwig Tieck. Der romantische Weltmann aus Berlin. Von Marianne T h a 1 m a n n. Franke-Verlag, Bern. 140 Seiten.

Nur entstellt und verschwommen ist das Bild Ludwig Tiecks, des Königs der Romantik, wie ihn Friedrich Hebbel in seinem Nachruf (1853) genannt hat, in unsere Gegenwart gelangt. Jetzt aber liegt ein Büchlein vor, in welchem Profil und Enface dieses Monarchen in zarter, eindrucksvoller Linienführung gezeichnet wurde. Schärfe, Weichheit, Verrücktheit, Esprit, Schwung, Pedanterie — alle Gegenpole dieses paradoxen Daseins sind hier liebevoll zueinander in Beziehung gebracht; gewohnte Abfertigungen wurden revidiert und koirigiert, der gemeinsame Nenner des Jugend- und des Alterswcrkes errechnet, vieles auf die einfachste Formel gebracht (was bekanntlich am schwierigsten ist). Das Gesicht der Märchenerzähler, der Märchenwald selbst, auch der ganze große Kreis der Zeitgenossen Napoleons, alles lebt: Frauen, Männer. Dichter. Professoren, Hofprediger, jene Gesellschaft, die „ganze Erdteile ausländischer Geistigkeit um uns entdeckt hat", die ein Organ für „das Wachsen der Welt und für die Atemzüge des Geschichtlichen“ besaß: Grundzüge sind herausgearbeitet, Deutschtum. Bürgertum, Liebe.

Freundschaft — und dies alles in innig menschlicher Berührung, in einer Television von erschütternder Klarheit, es sei nun Tiecks Schwester, der „Mittelstandsvampir“, oder A. W. Schlegel, der über jeden Faden auf dem Fußboden gestolpert ist, sehr zum Aerger der tüchtigen Karoline. Tiecks Wort aus dem Poetischen Journal vom Jahre 1800, das Motto des Büchleins „lieber Dichter ist es dir nur erlaubt zu dichten, das heißt, sie im Ganzen zu verstehen “, hat sich hier aufs schönste erfüllt. Die Ausstattung dieser Buchreihe (DALP-TASCHENBÜCHER, Erkenntnis, Wissen, Bildung) ist uns freilich allzu bescheiden-dürftig. Dr. Isolde E m i c h

Liebe. Von Henry Benrath. Deutsche Verlags- Anstalt, Stuttgart. 70 Seiten. Preis 7.80 DM.

Mit diesem Werk aus dem Nachlaß Benraths wird die Veröffentlichung seiner lyrischen Schöpfungen abgeschlossen. Es bildet gleichsam eine Ergänzung zu dem früher erschienenen Band „Erinnerung an die Erde", denn auch hier werden in der Rückschau Erlebnisse beschworen, die im Dasein des Dichters wesentliche Bedeutung hatten. Die von Liebe geschenkten Steigerungen und Beglückungen des Lebens werden in einer Art dichterisch gestaltet, die ganz persönlich geprägt ist und sich von den üblichen Formen weit entfernt. „Was Liebe sei, wird Liebe nie ergründen“, lautet eine Zeile der „Widmung“, und hier wird auch nichts zerredet und zergliedert. Das Geheimnis, das Unsagbare, Unergründliche über allen Worten lassen diese Verse immer mitschwingen. Im Zentrum steht die Gedichtreihe „Eden“. Zwei Gedichte sind in französischer Sprache. Ein hoher Grad von seelischer Kultur und Verinnerlichung, wie er in unserer mechanisierten Welt schon sehr selten geworden ist, wurde hier erreicht. In oft nur wenigen Zeilen, einem kleinen Bild, einer flüchtigen Impression, in der besonderen Stimmung eines Augenblicks wird das Wunder offenbar. Nichts von abgenützten Metaphern oder Pathos. Es ist bezeichnend für Benrath, daß aus seinen Versen eine tiefe Erkenntnis des Wesentlichen jedes Liebeserlebnis spricht, die mit vielen veräußerlichten Auffassungen von heute nichts zu tun hat. Die Intensität des Gefühls wird aber nie durch das Gedankliche verringert. Namen von Landschaften und Städten stehen häufig als Titel über den Versen, und in das Erlebnis der Liebe ist auch die Landschaft einbezogen und vom Eros umschlossen. Ihre Farben und ihren Zauber vermag die erlesene, an feinen Nuancen reiche Sprache des Dichters bezwingend zum Ausdruck zu bringen.

Dr. Theo Trümmer

In der Sprache der Heimat. Mundartgedichte aus Vorarlberg, in der Reihe „Vorarlberger Schrifttum“ als 4. Band herausgegeben von Prof. Dr. Artur Schwarz. Eugen-Russ-Verlag, Bregenz. 285 Seiten. Preis 49.90 S.

Mundartgedichte sind kostbare Pflanzen im Garten der Literatur. Echte Dialektpoesie hat heute bereits Seltenheitswert, da sich viel Strandgut aus der Welt des Schlagers in die Mundartdichtung einzuschlängeln sucht. Auf der anderen Seite hat die wirkliche Rede des Volkes der Hochsprache gegenüber den Vorzug stärkerer Ursprünglichkeit. Im Sonderfalle Vorarlberg kommt dazu, daß das Ländle vor dem Arlberg das einzige alemannische Volkstum auf dem Gebiete Oesterreichs in seine Grenzen einschließt, wobei der Vorarlberger selber wieder aus drei Komponenten, dem im Montavon besonders deutlich erkennbaren rätoromanischen Grundstock, der frühmittelalterlichen alemannischen und der spätmittelalterlichen Einwandererschichte, zusammengesetzt ist. Dabei ist der Vorarlberger nicht der einzige sprachlich sondergestellte Bruder in der österreichischen Familie, da über den bajuwarischen Block hinweg das Burgenland zum Teil von Franken besiedelt ist. Prof. Schwarz' Sammlung faßt 166 Gedichte von 29 Verfassern zusammen, die nach Sachgebieten des Volkslebens gegliedert sind. Aeltere und neue Autoren kommen zu Worte, in ihrer Gestaltungskraft, in ihrem Erfassen des menschlichen Lebens und in dem eigenartig trockenen alemannischen Humor. Vieles dringt zutage, das der großen Oeffentlichkeit kaum noch bekannt war. Die Schreibung ist so durchgeführt, daß philologische Finessen vermieden werden und die Lesbarkeit gesichert ist. Im übrigen erklären Fußnoten und ein Wörterverzeichnis zum Schluß dem Nichtalemannen die Bedeutung der weniger verständlichen Ausdrücke. Dem Verlag sei für den schönen Druck und die ausgezeichnete Ausstattung besondere Anerkennung ausgedrückt.

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