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Jonathan Franzens Romanerstling "Die 27ste Stadt" erreicht nun auch die deutschsprachigen Leser.

Sein Roman "Korrekturen" (soeben als Taschenbuch erschienen) wurde mit Spannung erwartet, bis er 2002 auf den deutschsprachigen Buchmarkt kam - und dann tatsächlich gelobt und gepriesen. Der 1959 in Illinois geborene amerikanische Autor Jonathan Franzen, der in New York lebt, hat aber nicht erst mit den "Korrekturen", für die ihm 2001 der National Book Award verliehen wurde, zu schreiben begonnen. Aber so ist der Gang der Dinge: Steht man erst einmal als Ausgezeichneter im Scheinwerferlicht der Aufmerksamkeit, darf folgen, was zuvor geschrieben wurde und oft auch nicht schlechter, manchmal sogar besser war, nur eben unbemerkt. Also her mit jenem Roman, der in den USA bereits 1988 veröffentlicht und auch gut besprochen wurde, von dem deutschsprachige Leser aber erst in diesem Bücherherbst erfahren. Dank des Rowohlt-Verlages, der mit vielen Lesern rechnet.

Bereits nach den ersten Seiten Lektüre merkt man: schon 1988 konnte der Autor ein literarisches Universum erschaffen. Mit St. Louis am Mississippi, jener Stadt, in der Franzen selbst aufgewachsen ist, steht es in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts nicht recht gut. Einst, nämlich 1870, noch viertgrößte Stadt Amerikas, ein "bedeutender Eisenbahnknotenpunkt, der größte Binnenhafen des Landes, ein Umschlagplatz für den halben Kontinent", ist die Stadt 1980 auf Platz 27 abgerutscht, wirkt sie verkommen, ihre Zukunft hoffnungslos.

Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme der USA drängen sich in ihr Zentrum sowie jene Kreaturen, die wohlsituierte Bürger nicht gerne zu Gesicht zu bekommen, weshalb sie aus der Innenstadt in die Vorstädte ziehen - man kennt diese Phänomene, nicht nur aus den USA. (Wo sind sie eigentlich hin, all die Menschen, die früher das Stadtbild störten - stellt sich plötzlich die Frage angesichts einer im Laufe der Handlung erfolgreich "gesäuberten" Stadt. Sind sie verschwunden? Am Ende des Romans tauchen sie wieder auf, wird eine unheimliche Parallelstadt sichtbar).

Allmächtiger Autor

Faszinierend ist schon in seinem Romandebüt die Erzählweise des damals 29-Jährigen. Von Skepsis über die Möglichkeit des Erzählens keine Rede. Keine Spur von postmodernen Verfahrensweisen. Keine Reflexionen auf Sprache. Nichts bremst die Handlung ein, die wie ein Film abgespult wird. Der Erzähler kann als allwissender und alles sehender Regisseur ins Licht rücken, was er will. Unzählige Personen aus St. Louis werden in den unterschiedlichsten Konstellationen eingeblendet, nicht nur skizziert, sondern ausgemalt. Sie werden ganz nahe herangezoomt, aus dem Auge verloren, wandern plötzlich wieder durch das Bild. Als würde eine Kamera St. Louis beleuchten, bei Tag und Nacht, von außen und innen. Und dabei viel Schein enthüllen.

Im Grunde ist die "27ste Stadt" ein Thriller. In dem Gewirr von Menschen und Machenschaften merkt der Leser bald, hier soll ein vermeintlich ganz und gar unbescholtener und tugendhafter Mann - jawohl, den einen gibt es noch! - von einer nichts und niemanden scheuenden indischen Polizeichefin umgestimmt werden. Mit allen Mitteln. Auch Mord ist recht.

Wer glaubt, Jonathan Franzen huldigt damit einer Ausländerphobie, hat nicht genau genug gelesen. Für aufmerksame Leser brechen die Fassaden auf: Nur scheinbar sind die unheimliche Inderin und die von ihr eingeschleusten Landsleute der Grund allen Übels. St. Louis zerbricht von innen her, das ist der wahre Thriller. Zerbricht in der Keimzelle einer Gesellschaft, konkret der vermeintlichen Bilderbuchfamilie des Unternehmers Martin Probst.

Man kann hinter allem schon die amerikanische Angst vor dem Terrorismus sehen, die Fremdenfeindlichkeit. Die Brüchigkeit der eigenen Tugenden. Von innen her zerrüttet sich Amerika selbst - in diesem 670 Seiten starken Buch.

Die 27ste Stadt

Roman von Jonathan Franzen

Deutsch von Heinz Müller

Rowohlt Verlag, Reinbek b. H. 2003

670 Seiten, geb., e 25,60

Als Taschenbuch erhältlich:

Die Korrekturen

Roman von Jonathan Franzen

Aus d. Amerikan. v. Bettina Abarbanell

Rowohlt Taschenbuch Verlag

Reinbek b. H. 2003

780 Seiten, kart., e 13,30

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