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Staatsidee und Materialismus

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Neben dem Ringen det Menschen um Macht, Geltung und Recht, das in seiner extremsten Auswirkung in blutige Kriege ausartet und erst dadurch der großen Allgemeinheit störend und zerstörend bewußt wird, nehmen die Massen den nicht minder erbitterten Kampf der Ideen kaum zur Kenntnis. Dies darf aber nicht dazu verleiten, den Kampf der Ideen und Weltanschauungen als belanglos hinzustellen. Im Gegenteil: aus dem geistigen Ringen entspringen die großen Schlachten der Menschheitsgeschichte.

Jetzt zum Beispiel, nach dem zweiten Weltkrieg, ist dessen auslösende Ursache bereits erschreckend klar zu erkennen: es ging nicht etwa um Kolonien, nicht um die Eroberung fremder Landstriche, es ging um Ideen, nicht zuletzt um die Idee vom Staate. Zu gegensätzlich ist die Struktur der geistigen Grundlagen der kriegführenden Großstaaten und ihre Auffassung vom Staate gewesen.

Daß die Philosophie sich mit den Staatsproblemen befaßt, ist natürlich. Ebenso natürlich ist es, daß die Folgerungen, die das philosophische Denken aus diesen Problemen zieht, Aufstieg und Niedergang der Menschheit wesentlich mitbestimmen. Zur Katastrophe droht jene Philosophie zu führen, die die Materie als das Wesen der Welt und des Menschen hinstellt, der Materialismus.

Der sogenannte religiöse Materialismus, den Ludwig Feuerbach, der Schöpfer des naturalistischen Pantheismus, vertrat, ja verfechten mußte, wollte er sein Lehrgebäude nicht einstürzen lassen, gipfelt in dem dogmatischen Lehrsatze: homo homini deus est, der Mensch ist dem Menschen Gott. Feuerbach, der die ganze Kraft seines Denkens in den Dienst des Kampfes gegen die Religion stellte, mindert den Menschen zur Materie herab. Mit leidenschaftlicher Energie bekämpft Feuerbach, das kreisende Zentrum materialistischer Ideologien, die Theologie, weil er die Religion um ihrer selbst willen ablehnt. Im Vorwort zur zweiten Auflage seines Buches „Das Wesen des Christenturhs“ legt er sein Bekenntnis nieder: „Die Religion ist der Traum des menschlichen Geistes. Aber auch im Traume befinden wir uns nicht im Nichts oder im Himmel, sondern auf der Erde — im Reiche der Wirklichkeit, nur daß wir die wirklichen Dinge nicht im Lichte der Wirklichkeit und Notwendigkeit, sondern im entzückenden Scheine der Imagination und Willkür erblicken. Ich tue daher der Religion — auch der spekulativen Philosophie oder Theologie — nichts weiter an, als daß ich ihr die Augen öffne, oder vielmehr nur ihre ein wärts gekehrten Augen aus wärts richte, das heißt, ich verwandle nur den Gegenstand in der Vorstellung oder Einbildung in den Gegenstand in der Wirklichkeit.“ Ziel und Zweck der Philosophie ist ihm die restlose Uberwindung der Religion, die er als „überwundenen Standpunkt“ ansieht. „Sie erschien ihm als ein widerrechtliches Hinaustragen menschlicher Vorstellungen und Zwecke t in das dem Menschen verschlossene All, ja als verderblicher Wahn, der die menschliche Kraft schwäche und sie ihren echten Zielen entfremde.“ So

Rudolf Eucken in „Der Sozialismus und seine Lebensgestaltung“. Diese Feststellung Feuerbachs begeisterte den Feuerbach-Anhänger Engels zu dem Aufschrei: „Mit Gott sind wir einfach fertig!“ Der Ring beginnt sich zu schließen. Engels' Ideen wurzeln im Nährboden Feuerbachschen Geistes und ranken hinüber in das üppige Gezweig des Marxschen Materialismus.

Die Bedeutung Feuerbachs für die heutige Philosophie darf nicht überschätzt werden, gefährlich wäre' es jedoch, seinen maßgeblichen Einfluß auf die ' Begründer der materialistischen Weltanschauung zu unterschätzen, zumal er noch einen gewagten Schritt weitergeht. Er kennt Hegels dialektische Methode, die das Sein aus dem Denken entwickelt und — dreht sie einfach um, indem er das Denken aus dem Sein ableitet — wie könnte ein Materialist auch anders? —, diesen Satz als Rammbock im Sturmangriff auf Religion und Theologie benützt und seinen vermeintlichen Sieg

jubelnd verkündet: „Religion ist Anthropologie, ist die Reflexion, die Spiegelung des menschlichen Wesens in sich selbst!“ Die weitere Folgerung in der Fortentwicklung dieser Gedankengänge ergibt sich von selbst: „Der Mensch ist der Gott des Christentums, die Anthropologie das Geheimnis der christlichen Theologie,“

Diese Sentenzen und Lehrsätze könnten als antireligiöse Theoreme abgetan werden, ohne daß man sich einer unwissenschaftlichen Oberflächlichkeit schuldig machte, wäre ihre Saat nicht, wie z. B. bei den Junghegelianern, auf fruchtbaren Boden gefallen und bei Karl Marx, dem stets und zeitlebens in der Hegeischen Philosophie Befangenen, nicht zu voller Frucht gereift. Marx baute den Feuerbachschen religiösen Materialismus zum historischen Materialismus aus und übertrug ihn auf Staat und Gesellschaft. Das Verhängnis nahm seinen Lauf.

Diese Erkenntnis ist nicht neu und stammt durchaus nicht aus unseren Tagen. Lassen wir absichtlich zu dieseni Problem einen Nichtkatholiken Stellung nehmen, um keine Insinuation einer einseitigen Subjektivität zu ermöglichen. Der Philosoph Rudolf Eucken befaßt sich eingehend mit diesen schwerwiegenden Problemen und stellt fest, daß der Materialismus als Basis des von Marx begründeten sogenannten w i s-s e n s c h a f 11 i c h e n Sozialismus zur Lösung des Lebensproblems nicht ausreicht. „Seine Behandlung ist viel zu eng, zu summarisch, zu parteimäßig, er verkennt die Tiefen und auch die Verwicklungen des menschlichen Wesens. Der Sozialismus möchte eine volle Gleichheit durchführen, er kann das aber nicht, ohne alle Gliederung der Gesellschaft aufzugeben und bei klarer Konsequenz in einen geist- und kulturlosen Stand zu versinken; die erstrebte Gleichheit verwandelt sich ihm leicht in eine Ungerechtigkeit...“

Dieses Urteil Euckens trifft rückwirkend den Feuerbachschen religiösen Materialismus, das Fundament des Marxschen historischen Materialismus. Untrennbar verbunden mit diesem ist die schroffe Ablehnung, ja feindliche Verneinung der Religion durch die radikale deutsche Philosophie, besondert

im Junghegelianismus, dessen Ideenkreis Karl Marx so nahestand.

Die weitere Problemstellung ergibt sich von selbst. Die geistige Zielsetzung wurde vom pantheistischen Materialisten Feuerbach enunziert, von Engels aufgenommen und vom Schöpfer des historischen Materialismus Marx erreicht. Das rein Spirituelle schien entthront, die Materie Siegerin über die Gottesidee und die Religion als deren Ausdruck, besonders über die katholische, zu sein. Aber es schien und scheint nur so. Wenn der Materialismus und die auf ihm aufgebaute Gesellschafts-, Wirtscriafts- und Staatstheorie die Materie, den Stoff, als das sinnlich wahrnehmbar Körperliche, das alle äußeren Erscheinungen des menschlichen Lebens hervorruft oder zumindest in ihnen maßgeblich mitwirkt, als Urquell des Lebens, der Kultur, der Geschichte, der Gesellschaft, der Wirtschaft und des Staates ansieht, so verneint er Gott, weil er den göttlichen Logos nicht neben, geschweige denn über sich dulden kann. Die Materie, ab ovo existent, dominiert-über das rein Spirituelle, ja, jene hat dieses verursacht.

Was Wunder, wenn die materialistische Weltanschauung eine StaatsJ d e e eigentlich nicht kennt, sie auch niclit kennen kann, weil ihr essentielles SubstrÄ, die Materie, über der Idee steht und der Staat nichts anderes ist als eine Summe von Menschen, deren Wesen nur aus Materie besteht. Eine trostlose und leere Welt!

Der Staat der materialistischen Weltanschauung ist ein Zweckverband, geworden im Laufe einer langsamen Entwicklung der Materie zur Gesellschaft, bestimmt zu vergehen wie die vergängliche Materie selbst. Die Materie hat keinen überirdischen, göttlichen Inhalt. Eine göttliche Weltordnung existiert nicht, denn mit Gott ist man ja einfach fertig, daher hat der Staat auch kein gottgegebenes Mandat. Es ergibt sich eine einzige, in ihrer drohenden Kahlheit erschütternde Konsequenz: wie die Materie, entsprechend ihrer rein stofflichen Beschaffenheit rascher oder langsamer vergeht, so vergeht auch als eine Summe von Materien der Staat. Letzten Endes hat es nur die Materie zu verantworten, wenn der ihr innewohnende physikalische Beharrungstrieb extreme Formen annimmt und ihre Urkraft sich auf sie selbst stürzt. Krieg ist also nichts anderes als Selbtvernichtung rasend gewordener Materie. Dafür ist niemand verantwortlich, auch der Mensch nicht, ist er doch selbst nichts anderes als ein Teil dieser explodierenden Materie, ein Teil dieser Atombombe. Auch der Staat trägt kein Verantwortung, weder für sich, noch für die ihn bildende Materie. Die Materie steht supra legem.

Wir suchen vergeblich im Lehrsystem des .,Materialismus nach einer tragenden Staatsidee. Eine Theorie, die die wirtschaftlichmateriellen Interessen als Hauptursache aller weltgeschichtlichen Bewegungen unter strikter Leugnung einer göttlichen Weltordnung, eines göttlichen Waltens überhaupt ansieht, die feststellt, daß nicht die Idee als selbständige Macht, sondern lediglich die materiellen Interessen im menschlichen Leben vorherrschen und es leiten, kann nur einen Staatsmaterialismus, nie aber eine Staatsidee entwickeln.

Das Ringen der Weltanschauungen ist noch nicht beendet. Der Ausgang dieses meist unsichtbaren Kampfes ist nicht zweifelhaft, zumindest nicht für den Christen. Es steht bei Gott, wann sein Wort sichtbar für alle Menschen über die Materie triumphieren wird. *

In der letzten Zeit sind auf sozialistischer Seite Stimmen laut geworden, die es als nicht unmöglich erscheinen lassen, daß eine allmähliche Auflockerung des starren dogmatisch-materialistischen Denkens auch in weiteren Kreisen der bewußt-sozialistischen Intelligenz vor sich geht. Die Traditionen unserer Sozialdemokratie, die mit tausend Fäden mit der abendländischen Entwicklung verbunden sind, sowie der weltanschauliche Kritizismus, den die besten Köpfe der österreichischen Sozialisten in all den Jahrzehnten schwerer innenpolitischer und kulturpolitischer Auseinandersetzungen sich erworben haben, lassen der Hoffnung Raum, daß auch auf der Linken die Staatsidee nicht durch einen materialistischen Dogmatismus an ihrer organischen Entfaltung gehemmt wird. Die Möglichkeiten eines religiösen Sozialismus scheinen zwar — aus vielen geschichtlichen Gründen — in Österreich wesentlich geringer zu sein als etwa in der Schweiz, in Deutschland oder Holland, aber auch der konsequente Materialismus dürfte in unserem Volke wenige wirkliche Anhänger besitzen.

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