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Digital In Arbeit

Stabil ohne Gerechtigkeit

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In Marokko können Europäer unangefochten leben, tummeln sich europäische und amerikanische Aussteiger mit großen, kleinen und ganz ohne Brieftaschen, herrscht innerer Frieden, in Marokko lebt noch das ursprüngliche Handwerk, und so weiter, aber das alles mit dem Zusatz: noch! Denn in Marokko erreichen auch Jahr für Jahr 190.000 Jugendliche das arbeitsfähige Alter, aber mindestens 60.000 von ihnen bleiben ohne Arbeit, die soziale Ungerechtigkeit schreit zum Himmel, selbst die „Neue Zürcher Zeitung” fand „die Selbstherrlichkeit, mit der die wenigen Beichen und Mächtigen den vielen Armen und Wehrlosen auf der Nase herumtanzen” besorgniserregend, und alle paar Jahre kommt es zu Massendemonstrationen, welche die Staatsmacht rücksichtslos niederschlägt.

Daß diese Spannungen in einem stabilen Land ohne soziale Gerechtigkeit nicht verschwiegen werden, läßt den Bildband „Marokko - Magische Welt zwischen Atlas und Atlantik” von Walter M. Weiss (Text) und Kurt-Michael Westermann (Fotos) unter all den vielen Länder-Bildbänden, die dem Touristischen und Folkloristischen zuliebe das Politische und Aktuelle ausblenden, hervorstechen und qualifiziert ihn als ernstzunehmende Informationsquelle. Der 36jährige Weiss ist ein gestandener Journalist und leitete verschiedene Magazine, bevor er sich als freier Autor auf die islamischen Länder spezialisierte. Man merkt es an der Art, die Themen knapp, aber fundiert zu behandeln, und an seiner klaren, niemals wolkigen Schreibe.

Zwar hat Marokko kein Einparteiensystem, aber die Bestellung eines Drittels der Abgeordneten durch die Berufsverbände, Kammern und Landtage hat den Effekt des Fingers im Basar, der die Waagschale niederdrückt, auf der die Gewichte liegen, in diesem Fall die Gewichtigen. So wird der Volkswille zugunsten der strikt königstreuen Kräfte korrigiert.

Charakteristisch für viele Drittweltländer: Nicht nur der Tourist findet sich in der Vielfalt eines unübersichtlichen Angebots schwer zurecht. Marokko ist ein Land mit vielen Märkten, aber ohne Markt. Seine Wirtschaft ist zwar marktwirtschaftlich organisiert, aber es gibt keine Preistransparenz, keine Qualitätsnormen, keinen Konsumentenschutz.

Trotz der Fülle von politischer, sozialer und ökonomischer Information kommt all das, was der Marokko-Tourist in spe für die Vorbereitung seiner Reise braucht, nicht zu kurz. Sehenswürdigkeiten, Historisches und so weiter kommen voll zu ihrem Recht, nicht nur in der reichen farbigen Bebilderung. Weiss kann nicht nur recherchieren und Verhältnisse analysieren, sondern beherrscht auch die heute in vielen Zeitungen etwas verschlampte Kunst der Beportage. Er beschreibt anschaulich, was der Leser besichtigen soll. Und er gibt auch manch guten Rat. Etwa, wie man einen Führer anheuert, der einem die Horde zudringlicher Pseu-dohändler und Bettler vom Leib hält.

Das brandneu bei Brandstätter in der „Bibliothek des Orients” erschienene Buch verdient volles Lob.

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