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Stadt ohne Namen in Österreich

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Sie liegt wie die Stadt des Volksliedes in Österreich, freilich ist sie nicht wie jene aus Gold und Edelsteinen erbaut, sondern aus den Gesteinen der Gebirge, die sie' rings umgeben. Wie alle Städte im Herzraum Europas hat sie eine fast zweitausendjährige Geschichte. Römische Kohorten, Kreuzfahrer und deutsche Kaiser, Feinde aus Norden und Süden haben sie durchzogen, geistliche und weltliche Fürsten und ihre eigenen Bürger sie mit den Renaissancepalästen, den Barockkirchen, den Säulen und Brunnen geschmückt, die im Rahmen einer erhabenen Landschaft heute noch ihre unvergängliche Zierde bilden.

Der zweite Weltkrieg hat in das reizende und ehrwürdige Antlitz dieser Stadt die Runen seiner Bombenbahnen gezeichnet, seine Folgewirkungen drohen — was noch schlimmer ist — die wesenhaften Züge dieses Antlitzes auszulöschen.

Die Entselbstung begann, als die Stadt

nicht mehr in Österreich und in ihrem eigensten Land, sondern in einer fiktiven Ostmark und in einem Gau lag. Sie setzte sich fort, als die Stadt, zerschlagen und ausgeleert, aus dem Mahlstrom der Weltkatastrophe wieder emportauchte. Wohl haben sich wackere Pioniere aus ihrem Schöße mit Erfolg bemüht, die Wunden zu heilen, die äußere Form wieder herzustellen. Aber die Seele, die einst diese Form belebte, scheint verwunschen und verwandelt und das ist wahrlich nicht die Schuld jener tapferen Männer. Die ungeheure Last einer zusammengebrochenen Welt — moles nannten es die alten Römer —, erdrückt überlieferte Gestalten mit Schuttmassen, die noch lange nicht zu fruchtbarer Erde werden, und die ebenso ungeheuren Spannungen einer neu heraufziehenden Epoche lassen die Bildungen der Zukunft oft nur wie Zerrbilder auf einer dunklen Nebelwand erscheinen. Diesem Schicksal kann sich auch unsere namenlose Stadt in Österreich nicht entziehen.

Ihre Verwandlung offenbart sich am deutlichsten an den hellen Mittagen, wenn in den alten Gassen mit den ge-schiditlichen Namen die vielen Autos mit den Allerweltsmarken parken. Unter den Barockfassaden, zwischen den Laubengängen, prunken die Auslagen mit Luxuswaren zu reduzierten Weltmarktspreisen und mit Kitsch aus Holz und Pappendeckel, der seine Klischees von den Natur- und Kunstschätzen der Stadt borgt. Zwischen den Laubengängen und Barockfassaden promenieren die Insassen der Autos, und sie führen in ihren Fahrzeugen häufig nicht nur die entbehrlichen Luxuswaren und den schlechten Kitsch, sondern auch das gute Brot und die unentbehrlichen Charaktereigenschaften eines an Leib und Seele verarmten Volkes mit sich fort. Noben ihnen drängt sich ein Teil des heimischen Nachwuchses, junge Männer und Mädchen, verlangend nach den unerlang-baren Schätzen in den Auslagen und bereit, für den neuen Lebensstil, wie ihn die fremden Autos und ihre Insassen repräsentieren, jeden — ach, schon ieden Preis zu zahlen, das reine Bauernblut ihrer Vorfahren, den guten Leumund ihres Landes und die alte Überlieferung Österreichs, die für die meisten von ihnen nur mehr ein Filmmotiv ist.

In diesen Stunden und in dieser Umwelt verliert die Stadt ihr Gesicht, das behäbige Bauernlächeln, die stolze, selbstsichere Patriziermiene, ihre Landschaft wird zu den gestellten Kulissen eines kleinen Welttheaters mit Sperrsitzen für ein devisenkräftiges Publikum, die Renaissancehäuser und Barockkirchen werden zu den wohlkalkulierten Posten der grande Hotellerie, sie wird .international“ im Sinne eines Fremdenverkehrsbüros, eine Allerwelts- und Jedermannstadt zwischen Zonen und Nationen voll rechnerischer Geschäftigkeit.

Am Rande der Stadt liegen die Baracken. Wie graue Wundmale fressen sich die preisgegebenen Unterkünfte der weiland stolzesten Wehrmacht der Welt in die grünen Berghänge. Unter ihren zerborstenen Dächern, zwischen tropfenden Wänden haust das Elend, das aller gute Wille der Maßgeblichen, von Geldmangel und Kompetenzstreitigkeiten gehemmt, nur wenig zu lindern vermag. Hier wohnen mit Weib und Kind Heimatlose, die Delogierten des zersplitterten Europa, die Delogierten des zerstückelten Altösterreich, aber auch die Delogierten der neuösterreichischen politischen Verstrickung und Verwirrung. Sie machen Gesuche an die im Streit liegenden Kompetenzen, sie suchen, oft ohne Erfolg, Arbeit, oder sie suchen etwas von den Goldströmen aus den internationalen Pandorabüchsen — manchmal durch trübe Rinnsale — in das Elend unter den zerborstenen Wehr-machtsdächern zu leiten. Ihre immer spürbare Gegenwart hat manches dazu beigetragen, das einst so geschlossene und selbstsichere Antlitz der Stadt zu verändern, ihm einen unruhigen und gehetzten Zug zu geben.

Am Rande der Stadt wird dabei auch gebaut. Der kostbare Baugrund wurde zum Teil aus den Notopfern jener Bewohner bestritten, die nLe mit Luxusautos fahren. Zwischen den Arbeitsleuten, die oft nur um Gotteslohn ihre Uberstunden machen, werkt die Jugend, der größere und wesentlichere Teil des Nachwuchses der Stadt. Junge Angestellte und Studierende, aber auch Frauen und ältere Leute tragen Steine und rühren den Mörtel. Es heißt sogar, daß ein Bischof und hohe Magistrate sich unter den namenlosen Werkleuten befunden haben. Sie greifen mit oft gar nicht so kräftigen Armen in das schwerste Problem der Stadt, des Landes, des ganzen Erdteils — sie helfen Wohnungen bauen für Familien, wie die meisten dieser Jugendlichen sie selbst einmal gründen wollen. Sie bauen keine Barockdächer und Renaissancefassaden, sondern einfache, schlichte Häuschen, nicht unähnlich den Bauernhäusern, aus denen einst ihre Vorfahren ihr reines Blut, in die Stadt trugen. Ihren nüchternen Sinn: verwirren keine Weltmarkenautos, sie reizen keine Schätze hinter Spiegelscheiben. Sie wissen, daß man nicht in der Historie leben kann, spräche sie auch noch so schön und ehrwürdig aus alten Palästen, Brunnen und Statuen. Aber sie wissen auch, daß man ohne Ehrfurcht für diese Vergangenheit und ihre Verpflichtung keine Gegenwart und keine Zukunft bauen kann, und wäre sie noch so enge und bedrängt. Weil man sonst — einzelner oder Gemeinschaft — sein Gesicht verliert, Gesicht im magischen Sinn der alten Völkerz, zum Jedermann und Niemand wird, Spiel, Spott und Beutestück für eine gnadenlose Welt. Und so tragen sie die Steine und mischen den Mörtel und formen der namenlosen Stadt, die mit anderen ihresgleichen irgendwo in Österreich liegt, ihr neues Gesicht.

Neue Heimat durch das Buch

Eine Bücherei der Heimatvertriebenen Von Bibliothekar Rudolf Grohmann

Wenn in Linz eine Bücherei der Heimatvertriebenen im Rahmen der österreichischen Kulturwoche eröffnet wurde, so deutet dieser Akt symbolisch die Eingliederang der schwer Getroffenen in das Kulturleben unseres Gastlandes an. Darüber hinaus wird durch die Tat bewiesen, daß die Kräfte der Vernichtung durch Kulturkräfte überwunden werden, die durch Jahrhunderte sorgsam gepflegt wurden und die durch einen Akt beispielloser Ranküne nicht einfach weggefegt werden können. Die Welt des Buches war ein sicherer Bestandteil des sudetendeutschen Geisteslebens und wird es auch weiterhin bleiben.

Wohl gingen in allen europäischen Kriegsgebieten unschätzbare Bücherwerte verloren, aber nirgends in solchem Ausmaß wie in der alten Heimat der Vertriebenen. Wer konnte, als er von dem Spuk dieser wahrhaftig wilden Jagd aus seinem bisherigen Leben gerissen wurde, an die Rettung der Bücher denken?

Die Schwere solcher Verluste wird an einigen Beispielen verständlich: Karl Franz Leppa, dem verhaltenen, von hoher Selbstbescheidung ausgezeichneten Dichter des Böhmerwaldes, ging ein in der Zurückgezogenheit der letzten Kriegsjahre geschaffenes Romanmanuskript verloren. Einen ähnlichen Verlust erlitt der bedeutendste Kirchenmusiker unter den Sudetendeutschen, der Komponist Isidor Stögbauer. Was es für einen Journalisten vom Schlage eines Wilhelm Formann bedeutet, wenn er von seiner erlesenen Fachbücherei nicht das sdimalste Heftchen und von seiner Lebensarbeit nicht

eine Zeile hinüberretten konnte, bedarf keiner Erklärung.

Aus diesen Verlusten des einzelnen erwächst durch die Schicksalsverbundenheit der Gesamtheit in allen eine unaufhörlich drängende Sehnsucht nach dem verlorenen Gut. Diese Not greift zurück nach längst überholten Hilfsmitteln, wie sie vor und im Anfang des Buchdrucks gebräuchlich waren. Gedichte wurden lebendig und wurden von Mund zu Mund weitergegeben, in Briefen verbreitet. Erhaltenes Buchgut wanderte von Hand zu Hand, und die Kunde von solchen geretteten Schätzen verbreitete sich rasch im Kreise der Beraubten. Dann kamen die Aufrufe zur Sammlung, Aufzeichnung und Verwertung der Bücher, die in Sicherheit gebracht worden waren. Aus einer Vielfalt im Einzelbesitz sollte ein großes Ganzes werden. Dazu kam die Erinnerung an das heimische Büchereiwesen, das schon vor dem ersten Weltkrieg in großen Büchereistiftungen, wie Ottendorf oder Weimann, zu vorbildlichen Stadtbüchereien geführt hatte. Dann hatte ein Büchereigesetz zu einem kulturellen Wetteifer im böhmischen Raum getührt, und ein dichtes Netz von Gemeindebüchereien umspannte die Heimat. Aus eigener Kraft wurden Fachbüchereien geschaffen, wie die des Vereines für Geschichte der Deutschen in Böhmen oder die Sudetendeutsche Bücherei in Reichenberg, die sich allmählich zu einer kleinen Universitätsbücherei entwickelt hatte. Und dann kam der Sturz...

Seit geraumer Zeit kommen nun wieder Sendungen solcher enteigneter Bücher auf dem heute üblichen Kompensationsweg von Prag nach Wien. Hier hat die Clemensgemeinde eine Aufgabe gefunden, als sie daranging, aus solchen Büchersendungen die Werke unserer Heimatliteratur, sei sie schöngeistiger oder wissenschaftlicher Art, herauszusuchen und aneinanderzureihen. Als der Anfang gemacht war, kamen auch aus den Reihen jener Glücklichen, die ihre Bücher durch Verlagerung oder andere günstige Umstände hatten herüberretten können, Leihgaben in großer Zahl. So wuchs die Sammlung allmählich an und kann jetzt der Öffentlichkeit als „Sudetendeutsche Bücherei“ zugänglich gemacht werden. Weitgesteckt sind die Ziele einer solchen Bücherei: sie wird diese Bücher- verschiedenster Herkunft, aber schicksalverbundener Vergangenheit wieder zur Herzenssache des einzelnen und der Gesamtheit machen — eine Musterbücherei, getragen vom guten Willen zum Aufbau einer besseren Zukunft im mitteleuropäischen Raum.

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