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Ständig mit dem Tod konfrontiert

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Am 1. Dezember wird weltweit den Aids-Toten gedacht. Von allen Diözesen Österreichs gibt es nur in Wien einen hauptamtlichen Aids- Seelsorger.

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Am 1. Dezember wird weltweit den Aids-Toten gedacht. Von allen Diözesen Österreichs gibt es nur in Wien einen hauptamtlichen Aids- Seelsorger.

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DIEFURCHE: Pater Clemens, wie kamen Sie zu dieser Tätigkeit

Pater Clemens Kriz: So traurig es klingt, meine ersten konkreten Begegnungen mit Aids waren auf dem Friedhof. Ich hatte vor dreieinhalb Jahren innerhalb einer Woche zwei Begräbnisse von Aids-Toten. Nach der Feier wurde ich von jemanden angesprochen, ob ich auch einmal auf die Krankenstation kommen könnte. Ich bejahte, denn ich wollte die Menschen nicht nur aus Beschreibungen und im Rückblick kennen lernen. So fuhr ich wenig später zum ersten Mal ins Pulmologische Zentrum, Pavillon „Annenheim”, wo Aids-Kranke betreut werden.

Ein Patient wollte damals wieder in die Kirche zurückkehren. Wie sprachen lange, er empfing die Sakramente und hatte seinen inneren Frieden gefunden. Ich besuchte ihn bis zu seinem Tod immer wieder. Automatisch ergaben sich Gespräche mit anderen Patienten. Der Großteil von ihnen ist zwischen 25 und 35 Jahre alt. Ich wurde konfrontiert mit Lebensund Krankengeschichten, mit Erfahrungen von Liebe und Freundschaft, aber auch von Ablehnung, Ausgrenzung, Intoleranz und Einsamkeit. In diese Zeit fällt auch eine persönliche Begegnung mit Michael, den ich in seinen letzten Wochen vor dem Tod sehr lieb gewonnen habe. Seine kritische Einstellung, aber auch seine Offenheit und Ehrlichkeit haben mich stark beeindruckt. Diese Begegnung hat mir sehr geholfen, den Weg weiterzugehen und mich für Aids-Kranke einzusetzen. Seit 1. August 1993 bin ich in diesem Bereich hauptamtlich tätig. -

DIEFURCHE: Wie ist Seelsorge in dieser schwierigen Situation möglich? Kriz: Verzweiflung und Schweigen helfen nicht. Aids-Kranke wollen kein Mitleid, sondern Unterstützung und Hilfe. Solidarität ist gefragt. Die Tatsache, krank zu sein, isoliert. Der Kranke ist herausgerissen aus seinem Lebensrhythmus. Bei Aids kommen noch viele andere Aspekte dazu: die Einsamkeit, die Angst seiner Umwelt vor Ansteckung, die Angst nicht offen darüber sprechen zu können, die Angst vor der Ausweglosigkeit. Seelsorge bedeutet zunächst nicht, all diese Ängste wegzureden, sondern Begleitung anzubieten. Es bedeutet, sich mit all seinen eigenen Ängsten einzubringen und ein Stück des Weges mitzugehen - wenn dies gewünscht ist.

Im gemeinsamen Gehen können sich neue Perspektiven auftun. Ich erinnere an das Bibelwort: „Durch das Gespräch, den gemeinsam gegangenen Weg und das Teilen erkannten die Jünger von Emmaus den Auferstandenen” (Lk. 24,31).

Seelsorge für Aids-Kranke ist so gesehen intensiver und persönlicher. In der Begegnung mit den Kranken erfahre ich dann auch meine eigene Angst, Unsicherheit und Ratlosigkeit. Ich erkenne, daß das Zugehen der eigenen Unsicherheit manchmal mehr Hilfe sein kann als fertige Antworten. Ich lernte, hinzuhören, wahrzunehmen und mich hineinnehmen zu lassen. Ich wurde ein Lernender.

DIEFURCHE: Sprechen Sie mit den Patienten über Gott?

Kriz: Gewiß. Ich erlebe Menschen, die an dem tödlichen Virus erkrankt sind, oft außerordentlich religiös. Ihnen fällt es manchmal leichter, unbefangen über Gott zu reden, als mir. Teilweise ist ihr Gottesbild getragen vom Wissen einer transzendentalen Liebe; oft ist auch viel Angst spürbar vor einem strafenden Gott. Manche Patienten - wie etwa Homosexuelle -sind aus der Kirche ausgetreten. Persönlich negative Erfahrungen haben sie dazu bewogen. Trotzdem, ist der Wunsch da, daß einer hilft, das Leben und Gott noch einmal zusammenzubringen - in dieser Situation bin ich als Seelsorger willkommen.

DIEFURCHE: Begleiten Sie die Menschen auch beim Sterben3 kriz: Über das sogenannte „Endstadium” wurde schon viel geschrieben. Dabei handelt es sich um einen so bedeutenden Abschnitt, daß der Kranke nie alleingelassen werden sollte. Wenn ich mithelfen kann, einem Menschen diese letzte Stunde zu erleichtern, bin ich dafür dankbar. Es ist notwendig, dem Sterbenden durch einfaches, oft schweigendes Dasein das Gefühl des Aufgehobenseins und des Friedens zu vermitteln. Manchmal werde ich auch gebeten, das Begräbnis zu halten. Meistens darf ich Aids dann auf Wunsch der Angehörigen nicht erwähnen. Eigentlich tut mir das leid, denn der Weg vom positiven Testergebnis bis hin zum Akzeptieren der Krankheit war schmerzlich und hart, aber er hat genauso zum Leben des Verstorbenen gehört, wie das Leben vorher.

DIEFURCHE: Wie reagiert die Kirche auf Ihr Engagement' kriz: Zwar leistet die Caritas als Institution großartiges für Aids-Patienten. Doch die Seelsorge mit diesen Menschen ist ein völlig neuer pastoraler Bereich. Das Enagement ging von mir und nicht von der Kirche aus. Am Anfang gab es daher einige Berührungsängste meiner Vorgesetzten, da ich viel mit Drogenabhängigen und homosexuellen Menschen zu tun habe.

Doch ein aus der Tiefe des Glaubens kommender würdevoller Umgang mit diesen sogenannten Band-gruppen steht mit der Botschaft Jesu im Einklang. Heute gibt es vorwiegend positive Reaktionen Ich halte viele Vorträge an Schulen und werde zu Dekanatskonferenzen eingeladen, um über Aids zu sprechen. Es ist mir dabei wichtig, Vorurteile und Hemmschwellen abzubauen.

Aids-Kranke dürfen nicht ausgestoßen werden. In Österreich sind bereits 1.000 Menschen an Aids gestorben-. 20.000 tragen den tödlichen Virus in sich. Kirche soll gerade für sie und ihre Angehörige, die an ihrem Schicksal schwer zu tragen haben, als freundlicher Ort, als gesellschaftlicher und spiritueller Schutzraum, an dem etwas von der Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes durchschauen kann, erfahrbar sein. Aids sollte ein Anstoß sein, menschlicher, toleranter und „christlicher” zu werden. Je offener und ehrlicher wir damit umgehen, desto mehr wird den Betroffenen geholfen.

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