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Starke Prosa unserer Staatspreisträger

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MORGEN WERDEN WIR ES WISSEN. Erzählungen von Hannelore V a I e n c a k. 148 Seiten. S 59. DIE MEUTE. Erzählungen von Ernst Kein. 188 Selten. S 59.—. Otto-Müller-Verlav. Salzbure.

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MORGEN WERDEN WIR ES WISSEN. Erzählungen von Hannelore V a I e n c a k. 148 Seiten. S 59. DIE MEUTE. Erzählungen von Ernst Kein. 188 Selten. S 59.—. Otto-Müller-Verlav. Salzbure.

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Einmal mehr hat die Jury, die für die Verleihung des Österreichischen Staatspreises verantwortlich zeichnet, unbezahlte Lektorenarbeit geleistet, die Verlagen und Autoren zugute kommt. Unbelastet von Prominenz oder Nichtprominenz zweier Namen und deshalb mit um so sichererem Griff wurden Hannelore Valencak 1957 und Ernst Kein im darauffolgenden Jahr Förderungspreise zuerkannt. Und siehe da, als hätte die literarische Existenz der beiden erst mit dem letzten Glockenschlag der Preisverteilung im Unterrichtsministerium begonnen: Plötzlich liegen zwei sorgfältig edierte, für ihr Schaffen kennzeichnende Erzählungsbände vor, deren Manuskripte ansonsten wer weiß wie lange noch ungedruckt geblieben wären. Man sieht also, der Staat kann, wenn er will, das heißt, wenn er den richtigen Leuten Handlungsfreiheit einräumt, sogar die vielgerühmte Privatinitiative überrunden und als erster die Lust und die Lorbeeren von Neuentdeckungen genießen.

Nachdem wir, angeregt durch den lockenden Klang der Blech- und Propagandatrommeln deutscher Verlage und auf sie hingeordneter literarischer Gruppen die jüngere deutsche Literatur kennen- gelemt haben, nehmen wir die beiden jüngsten in Österreich geschriebenen, entdeckten und gedruckten Bände gespannt in die Hand. Und finden sie auf Anhieb und bis zur letzten Seite deutlich von dem unterschieden, was „draußen“ reklame- (doch zumeist keineswegs tantiemen-) mäßig Furore macht, typisch österreichisch eben. Keine Spur von jener nervösen, synthetischen, höhnischartistischen Welt, die den Orakelsprüchen deutscher Kritikerbosse zufolge Qualitätsmerkmale der tagesaktuellen Moderne sein sollen und, draußen, zweifellos auch sind. Keine Spur jener Flucht in Stil, Stilmittel, stilistische Experimente und Spielereien, die zumeist eine Flucht vor dem Inhalt sind, notwendig für die ganz Jungen, bevor sie in breiter Front ihr Lebenswerk beginnen, doch verdächtig bei den Älteren, anrüchig wie Taschenspielertricks, und auf tiefliegende Verwundun wahrhaftigen Weltgefühls durch Raffinesse hindeutend. Keine Spur von all dem bei der Valencak und beim Kein, die dafür — böses Mißverstehen! — von der Prominenz jenseits der Grenzen altmodischer Verschlafenheit geziehen werden müssen.

Was Kein und Valencak gemeinsam ist, ist der ruhige, unverwirrte Blick, der wissend ist, auch wo er sucht, ist eine Grandezza der Toleranz, ihrer selbst gewiß wie in alten Familien der Nobllität, einet Toleranz, die selbst dort noch liebt, wo sie haßt. Ist die Schlichtheit ohne Pathos und Antipathos, ist jene stille Aktualität, die darauf verzichten kann, modern zu tun, ist die erfühlbar heiß erkämpfte und erlittene Schicksalsbejahung in einem Raum, in dem schon Stifter und Grillparzer, Mozart und Schubert gekämpft und gelitten haben, vom Süden her beheizt, vom Norden her gekühlt, gleich wie ihr persönliches Leben verlief, im Schaffen Balance erringend in weiser Mitte. In weiser Mitte, die kein Mittelweg ist und kein Kompromiß, sondern ein in jedem Augenblick von höchster Spannung erfülltes Werden, offen nach allen Seiten, nicht durch das Abrutschen in Extreme fixiert, verkapselt, erstarrt. Ist, schließlich, das Maß als Dimension des Lebens, gespeist aus Bewußtheit und Unbewußtem in einer letzten und tiefsten Zuversicht als der Kehrseite eines sanften Pessimismus, ohne den das Dasein nicht mehr wäre als ein Scherz.

Von dieser Gemeinsamkeit aus unverwechselbar österreichischem Nährboden heben sich die beiden Gestalten eigenständig und konturiert ab. Ernst Kein versteht es, Alltagsgespräche und Alltagsmenschen bevorzugend, denkbar unprätentiös zu erzählen, mit ein paar Strichen, die eine Atmosphäre, eine ganze Welt einfangen, in der ein paar Gestalten umherstehen, träge und nichts bedeutend wie Schauspieler zwischen zwei Szenen. Doch plötzlich, unvermerkt (wie er das macht, ist kaum zu analysieren und sein persönliches Geheimnis) — plötzlich erkennt man, daß die Stille nur Schein,

daß die Pause ein Schweigen von höchster Intensität ist, erkennt atemlos, daß der gläserne Augenblick sofort zerbrechen,, daß der Sturm, die Katastrophe kommen muß. Schon rollt sie heran, schon bebt unterirdisch die Szene — gebannt starrend oder, je nach Art und Nervenkraft, rasch die Augen schließend, folgen wir dem Gang der Dinge. Doch nun geschieht, was man je nach Geschmack einen doppelten Salto, doppelten Schock oder eine eigentümliche Meisterschaft nennen darf: Die Katastrophe wird nicht, was so verlockend wäre, ausgespielt, sie findet gar nicht statt. Sind wir darum geprellt? Nein, im Gegenteil, wir waren blind, und jetzt fällt es uns wie Schuppen von den Augen — die Katastrophe hat sich längst ereignet, irgendwann früher, gestern, vorgestern oder im ersten Sündenfall, wir sahen es bloß nicht. Und was wir erlebten (und nicht so bald vergessen werden), war halt das Leben wie es ist. Das ist Ernst Kein, unnachahmlich, ein Magier der, ohne sich und uns zu echauffieren, mit einem hintergründigen Lächeln Weltreiche des Herzens erzittern läßt. Wer’ nicht glaubt, lese seine Meistererzählung „Drei alte Löwen“ als erste, und er wird nicht ablassen können, bevor er nicht auch die fünfzehnte Geschichte erlebt hat.

Ganz anders die Valencak. Auch sie schreibt einen Stil, der zunächst aussieht wie eine Art Naturalismus, und es doch nicht ist. Kleine Schicksale, oft in lebhafter Bewegung, nicht kristallinische wie Kein, sondern mehr ausgespannt zwischen Anfang und Ende, mit einem nahen Blick für alle, die da leiden und Schmerzen tragen. Der Mann, der sterben muß und sich um sein Leben geprellt sieht, das Weib, das den Gatten und ungeliebten Krüppel in Hochwassernot festhält, bis es mit ihm untergeht, der Mann, der einen Mord auf dem Gewissen hat und ein Gottesurteil sucht — das sind einige ihrer Themen, jedes eines eigenen Romans wert. Doch wie sie das in wenige Seiten flicht, nie gewaltsam, stets, locker, fast zärtlich, und doch bedeutungsträchtig wie im geheimnisvollen Gewaltenlabyrinth echter Märchen — das ist nun ihre besondere Eigenart. Ihre Sprache ist noch im Fluß, in der Bewegung, ebenso die Gestaltungsmittel, doch beides strebt zielsicher einer frühen Reife zu.. Insgesamt aber, das steht heute schon fest, entfaltet sie auch im Kleinsten einen Kosmos rechter Menschlichkeit, dessen ewige Werte zwar geprüft und in Frage gestellt werden, doch niemals fragwürdig,sind, . .Das

?njadfi s lpStinict iTTfCgenaes Lebens uncrAnnvörfen des Todes eingebüßt hat, hoch zu schätzen. Wir dürfen auf ihren ersten großen Roman, „Die Höhlen Noahs“, für den ;sie durch den Staatspreis gefördert wurde und der demnächst im bereits heute um die Betreuung österreichischer Autoren verdienten Wollzeilan-Verlag in Wien erscheint, mit gespannter Erwartung entgegensehen. Wann und wo Ernst Kein sein erstes Romanwerk, auf das hin seine ganze bisherige Arbeit ersichtlich orientiert zu sein scheint, herausbringen wird, war trotz emsiger Bemühung bis zur Stunde nicht zu erfahren.

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