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Starker als der Tod

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Der Karren mit dem Leichnam des ermordeten Friedländers verschwand hinter der nächsten Ecke der schmalen Gasse. Niemand kümmerte sich mehr um Georg, den verwundeten Reitknecht Wallen-steins. Er stand vor dem Tor des gräflichen Quartiers in Eger. Schwarze Menschen eilten dem Triumph nach, der sich in die Burg begab. Die Spähluken der Fenster taten sich auf, aber schon wurden Musketenschüsse laut. Auch am Tor des gräflichen Quartiers standen Musketiere, brennende Lunten in den Händen haltend, die Musketen unter dem Arm, und nagten Kugeln in den Zähnen. Als die Gasse sich geleert hatte, führte man die gebundenen Gardisten ab. Die Wache ging um, vertrieb die Herumlungerer auf dem Platz, aber manche verbargen sich im nächsten dunklen Winkel und kamen zurück. Mit denen geriet Georg ins Tor. Schon kam eine Dragonerpatrouille angeritten, als das Tor sich zutat. Die eilenden Räuber stießen ihn weg. Er stürzte hin. Ein großes Geschrei begann, denn gegen die Räuber kamen Soldaten gelaufen und schlugen sie mit Musketen. Eine Tür war offen geblieben, und aus ihr kam Weibergeschrei und Kinderschluch-zen. Sein Herz konnte nicht schlagen, der Schrei versagte ihm, er hielt sich am Türgriff fest, um nicht wieder hinzufallen. Er hörte nicht, was da jemand sagte. Kaum fühlte er, daß jemand ihn berührt hatte.

Seine Augen waren getrübt, aber er erkannte sie. Es war Angelika, die Kammerzofe der Gräfin Kinsky. Seine Braut.

Er spürte, daß sein Herz wohl schon dreimal so groß war und von Blei. Er konnte nicht atmen vor erstickendem Druck. Man stützte ihn und führte ihn in eine Kammer und legte ihn auf ein Lager, reichte ihm einen Becher an die Lippen.

Da tat sich die Tür auf und ein Soldat sah auf die Jungfrau; die den Rebellen verbarg. Georg zuckte zusammen, und aus dem Mund ergoß sich Blut. Der Soldat erschrak, als hätte er plötzlich den Teufel gesehen.

Angelika wandte sich um und sah auf den Eindringling. Dieser, sie Aug in Aug gewahrend, erschrak noch mehr, tat einen Schritt zurück und wollte vielleicht davonlaufen. Auch Angelika erschrak vor ihm, aber ihre Angst entsetzte den Eindringling vielleicht noch mehr. Sie streckte die Hand nach ihm aus, er möchte nicht fliehen, möchte warten. Er sah mit wilder Furcht auf sie, und als ihr auf die gefalteten Hände. Sie schien unendlich weit zu sein.

Nein, noch war es nicht die ewige sie ihm eine goldene Münze hinhielt, Noch hörte man Lärm und streckte er beide Hände gegen sie aus zum Zeichen, daß er nicht annehme. Er bekreuzigte sich und hob zwei Finger zum Himmel empor.

Sie hielt ihm aber die goldene Münze hin und bat: im Hause, noch stach ihn die Angst, ob Seine Hoheit nicht aus der tödlichen Ohnmacht erwacht waf und der Hilfe bedürfe. Was mochte mit dem roten Sack vorgehen, der auf dem Karren in dem Zug von Dragonern mit Fackeln und „Den Vater Dominikaner! Den Vater Laternen geführt worden und aus dem Dominikaner!“ bloße Beine gegen den frostigen Wind-

Sie wies auf Georg, auf daß der Mann stürm ragten? begreife, und zog ihren Beutel mit allem Noch war er nicht tot. Noch verblieb Geld zum Zeichen, daß dies sein ehr- eine Weile, ehe der Tod ihn vollends licher Lohn werden sollte für die Tat zertreten würde. Er hatte schon die höchster Barmherzigkeit. Aber er ent- höhnische Pracht von des Todes Krö-setzte sich noch mehr. Wieder hob er nungstriumph in den Gassen von Eger zwei Finger zum Schwur hoch. Sie nahm gesehen, aber noch oder vielmehr wieder ihn bei der Hand und drückte das Gold- war er bei Angelika. Er sah sie, wie er stück hinein. Er floh, die heilige Jung- einmal durch die astronomischen Gläser frau anrufend. einen Stern gesehen hatte. Sie war da,

Und es trat Ruhe ein. Angelika stellte verlassen, wehrlos, hatte sich weder dem einen Tisch unter das Bild, das an der Schutz der kaiserlichen Offiziere noch Wand hing, brachte zwei Kerzen. Dies dem der Priester anvertraut, wird wohl das Begräbnis sein, hier wird Aber, um Gott, was wird aus ihr, wenn sein Grab sein. Nur die Schwere in der er stirbt? Daß er stirbt, bezweifelte er Brust drückte ihn. Angelika setzte sich nicht und achtete es für gerecht. Sein zu ihm, knöpfte ihm den Kragen auf und ganzes Leben erschien ihm wie ein vordeckte ihn zu. Sie schwieg; sie schien bleich, kalt und traurig. Angelika!“ flüsterte er. Sie legte den Finger an den Mund. Nach einem schweren Warten wiederholte er den Ruf. Sie sah ihn jedoch nicht an, stürzte in die Knie und bedeckte die Augen. Er hörte ein einziges gedämpftes, aber fürchterliches Aufschluchzen. Dann wandte sie sich von ihm ab, sank am Tisch hin, der Kopf fiel

überhuschendes Aufflimmern von Irrlichtern.

„Angelika!“ stöhnte er wie aus den Krallen des Teufels.

Sie sah zurück. Ihre Augen strahlten.

„Jetzt sprich nicht! Bete!“

Sie wandte sich ab. Er fühlte Grauen. Beten! Wie und Wofür? Er erinnerte sich an die friedländische Losung der heutigen Nacht:

„Sankt Jakob!“

Er wiederholte sie verzweifelt. Es war wie eine militärische Anrufung von Hilfe in der Schlacht. In der Angst schrie er das Wort laut.

Angelika sah zurück.

„ Georg, es bleibt nicht viel Zeit. Erinnre dich an den Guten Schacher zur Rechten!“

„Was soll ich beten?“

„Erinnre dich an mich, Herr, wenn du in dein Himmelreich kommst!“

Er hielt sich an den Worten fest. Aus den Augen sprangen ihm Tränen.

Der Sturm draußen legte sich allmählich, und man hörte Mitternacht schlagen. Der erstickende Schmerz wich einem brennenden. Ein Pochen wurde laut. Angelika erhob sich schnell, die Tür tat sich auf und es erklang der Gruß:

„Friede diesem Hause und allen, die darin wohnen!“

Dann hörte Georg vom Priester Fragen, auf die er zuerst mit Entsetzen antwortete, dann wischte er sich das Blut vom Mund, dann erblickte er auf dem Tisch die bereitgestellte'Speise der Reisenden und antwortete mit Tränen. Dann ließ der Priester das Ausfragen und begann ihn zu trösten. Schon brauchte er nichts zu fürchten, schon lag er in Gottes Netz. Er hörte über sich die erstaunlichen Worte der Sündenvergebung und erbebte, das Kreuz der Stola küssend. Der Priester forderte ihn auf, Angelika zu danken, und öffnete die Tür. Angelika kam. Sie hatte Tränen in den Augen. Er lächelte sie an, nicht wissend, was er tat.

Der Priester schickte sich zur Zeremonie des Sterbesakraments an. Da erinnerte sich Georg an den Tod der erschlagenen Dirne im Kloster der Benedeiten Agnes. Er starb nun auch einen solchen Tod. Er schien ihm selig und schön. Angelika war es, die ihm zu diesem Glück verholten. Vielleicht kommt er mit der Dirne einmal im Paradies zusammen, und sie werden dann in einer Himmelsecke Angelikas gedenken. Er staunte, daß Gott so gnädig sein konnte.

Es schmerzte zwar etwas in seinem Menschenleib, aber was war jetzt dieser Schmerz gegen dieses Staunen! Er möchte diesen Schmerz in alle Ewigkeit tragen. Finsternisse, Gewitter und Stürme waren hinter ihm geblieben. Als er dieses Haus betraf, hatte er nicht gewußt, daß er die Umarmung Gottes finden würde. In welch seltsamer Falle hatte Gott ihn gefangen!

Aber die Gebete gingen zu Ende, der Priester stand auf, Angelika trat an das Lager. Sie vermied es, den Sterbenden aus der Todeserwartung zu reißen, mit Blick, Wort oder Berührung Erinnerungen an zeitliche Dinge in ihm zu wecken. Er hob die Hände zu ihr auf.

„Angelika, ich danke dir“, sagte er, aber es war nicht alles, was er sagen wollte. Er fing ihre Hand, sah sie an und wartete auf ihren Blick so flehentlich und unabweisbar, daß er es erlebte, wie ihre Wimpern sich kaum merklich hoben und die dunklen Augen ihren bestürzenden Glanz wiesen.

Der Blick war ewig.

Er erbebte. Er hätte den Blick nicht ertragen. Aber da feuchteten sich seine Augen von Tränen, in denen die Gewalt dieses Blickes sich zu Regenbogen und Sternen ergoß. Er sah sie in Rosen und Strahlen, herrlich schön, reich an Gnaden. Er preßte ihre Hand und wandte sich zum Priester.

„Vater!“'

Der Priester trat heran. Georg hob nur Angelikas Hand hoch. Seine Augen strahlten.

Da rief der Priester in den Gang hinein, und es kamen der Räuber und noch ein Soldat, und es wäran noch Leute vom Gesinde gekommen, aber der Priester schloß die Tür.

Georgs Antwort war freudig. Angelika jedoch senkte bejahend das Haupt und wandte es ab. Der Priester verband ihre Hände mit der Stola, gab ihnen den Segen und ging. Angelika kniete nieder und küßte ihm die Hand. Der Priester fühlte auf der Hand ihre Tränen. Er versprach, für den Schutz der beiden zu sorgen, und führte die Zeugen mit sich fort. Georg und Angelika blieben allein.

Jetzt sah sie ihn an, und ihre Augensterne glänzten von menschlichem Glanz. Sie sah ihn schon an wie ihren scheidenden, sterbenden Gemahl. Kraft des Sakraments gehörte sie ihm und er gehörte ihr, gehörte nicht mehr bloß Gott und dem Tod. Gott hatte ihn ihr gegeben, ganz und gar. Nun brauchte sie nicht mehr um seinen Todeskampf zu fürchten, nun ziemte nicht mehr, daß sie in Zweifeln und Befürchtungen um die Gnade Gottes zögerte, ihm in der Stunde seines Todes ihre ganze Liebe zu zeigen.

Er zog ihre Hand an sich. Sie neigte sich zu ihm und erwartete seinen Kuß, die Augen schließend. Er umfing sie mit beiden Armen. Sie küßte ihn. Sie fürchtete nur, ihm einen Schaden zu tun. Sie fühlte, daß seine Hände nicht kalt waren. Sie erhob sich. Ihr Atem war still. Er sah ihr in die Augen.

Da erblickte er in ihren Augen und um ihre Lippen ein seltsames Aufbeben, das er nur darum begreifen konnte, weil ex eine tödlich blutende Wunde in der Brust hatte in der Stunde seiner Hochzeit. Es kehrte ihre Miene von der ersten Begegnung zurück, stolz und keusch, herrlich schön und tapfer. Ihr Leib straffte sich in gestrenger Anmut. Auf ihrem Antlitz war ein kaum merkliches Lächeln. Es war Mitleid darin und eine königliche und geheiligte Vorsicht, als schützte sie mit der Handfläche eine Kerzenflamme vor dem Wind; es war eine schmerzliche und heldenhafte Liebe darin, die nichts fürchtete, weil sie in Gottes Schoß ruhte; und es war darin auch weißleuchtendes, bitteres Mitleid, heiliger Spott, etwas, das grausam und süß gerecht war in dieser entscheidenden Weile.

Es war ein barmherziger Vorwurf dafür, daß er nach soviel Jahren des Wartens, der Erniedrigung und der Treue erst jetzt eingewilligt hatte, ihr Gatte zu werden, auf dem Totenbett, in der letzten Nacht und vielleicht in der letzten Stunde seines Lebens, da all sein Stolz, die Eitelkeit und der Ehrgeiz zuschanden geworden, da sie allein sich seiner angenommen hatte in der höchsten Not. Sie wird allein zurückbleiben, und nur mit der Erinnerung, daß sie einen Sterbenden durch Verzicht auf die Freiheit erfreut hatte. Es war menschliches Leid, was ihr das Herz zusammenpreßte, das am Unterliegen war, weil es nur ein menschliches Herz war.

Er preßte ihre Hand, daß sie erbebte.

„Angelika“, sagte er mit halber Stimme, „nicht wahr, Gott wird dich nicht beschämen? Nein, gewiß nicht! Und sollte er ein Wunder tunl“

Sie neigte sich zu seinen Lippen.

„Jetzt bist du mein. Jetzt denk an nichts anderes!“

In die Augen drangen ihr Tränen, die sie nicht mehr abwischte.

„Bist mein“, flüsterte er wieder, „bist mir nicht zur Beschämung gegeben worden. Hast mir Liebe versprochen bis an den Tod!“

Sie sah ihn mit Erstaunen an. Seine Augen strahlten von dem Lächeln, das sie schon oft gesehn und stets gefürchtet hatte; aber nun war der Glanz so mächtig, daß sie nicht zweifeln konnte, Georg schicke sich zu dem höchsten Wort an. Sie erschrak vor seiner Schönheit.

.Angelika — weißt du, was Liebe ist?“

Er sagte es leise. Sie sank an seine Schulter, das Schluchzen dämpfend und über dieses Glück staunend.

„Bleib schon, bleib!“ flüsterte er. „Es ist Gottes Wille!“

Er richtete sich auf und wartete. Das Blut begann wieder zu strömen, aber dies gerade linderte den Schmerz. Sie erblickte das Blut, sah in seinen Augen das höchste Gebot, und die Stunde des Todes kündigte sich schon an. Gottes Wille war unwiderruflich, barmherzig und dreimal heilig. Es blieb nichts übrig, als zu gehorchen.

Sie unterwarf sich wie ein Kind in Gottes Armen mit der gesamten Erhabenheit der Scham und mit dankbarer Freude vor dem Angesicht des Himmels. Und als sie auf ihrer Brust die Last des blutenden Herzens fühlte und das Antlitz des Bräutigams an ihrem Antlitz ruhte, da schrie alle göttliche Hoffnung in ihrem Herzen in einem unendlichen Jubel auf, als ergösse sich das Blut des Bräutigams in ihr Herz, und sie diente dem Gebote der Liebe, die stärker ist als der Tod.

Niedergebrannt war das Feuer im Kamin, niedergebrannt das Blut; gestockt war das Blut, das aus der Wunde des Erschlagenen gestürzt, und jenes, das mit dem Todesröcheln dem Mund entströmt war. Verhallt war das kurze Aufstöhnen, das Röcheln hielt inne und die Augen brachen. Als sie sich bewegen wollte, um ihn zu lagern und ihm den letzten Seufzer zu erleichtern, erkannte sie, daß er nicht mehr atmete. Sein Leib war noch warm und nachgiebig; jetzt konnte sie ihn zum letzten Male ans Herz drücken. Sie küßte ihn auf den Mund und stand auf. Sie war wie gebadet in seinem Herzblut, das schneller zu verströmen er nicht gezögert hatte, um sie als sein Gemahl umarmen zu können. Es war noch Nacht, Hochzeitsnacht; sie durfte ihr durch und durch purpurnes Hochzeitsgewand nicht ablegen, die Zeugenschaft ihrer Liebe und ihres Witwentums. Sie drückte dem Toten die Augen zu, schloß ihm den Mund und bekreuzigte ihn. Sie nahm die niederbrennende Kerze und leuchtete auf die Todeswunde. Es war eine Berührung Gottes. Sie küßte sie.

Dann kniete sie mit bloßen Knien neben dem Lager, das ihr jungfräuliches

Lager, dann ihr Hochzeitslager und nun das Lager eines Toten war, und betete die Totengebete; das Blut trocknete langsam an ihrem Leib, und das Hemd raschelte bei ihren Atemzügen wie ein seltsamer Panzer. Dann brannte die Kerze nieder.

Es war noch Nacht. Aber schon fühlte sie keine Angst mehr. Dann dankte sie Gott für alles. Und erst dann rannen über ihr Antlitz die Tränen der Witwe. Aus dem im Herbst 1950 im Verlag Herold erscheinenden Roman „Friedland“

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