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Gerade wollte Bischof Rene Du-pont am Ende des Gottesdienstes die Segensworte sprechen, als von draußen Tumult und Geschrei in die Kirche drangen. Staatspolizisten in Zivil zerrten soeben zwei Priester aus dem benachbarten Bischofshaus gewaltsam in ein Auto. Immer wieder hatte einer der beiden, der junge Louis Cheong, in der Kirchenzeitung der Diözese Andong die Machenschaften der staatlichen Agrarbank aufgedeckt: Überhöhte Kreditzinsen und schadhaftes Saatgut gefährdeten die Existenz der Kleinbauern im östlichen Bergland. Jetzt schlug die Militärregierung zurück und wollte diesen öffentlichen Anschuldigungen ein Ende setzen.

Tags darauf bildeten Hunderte aufgebrachte Bauern einen lebenden Schutzwall um die übervolle Kathedrale von Andong. Drinnen betete Bischof Dupont mit dem herbeigeeilten Kardinal von Seoul und allen Priestern seiner Diözese für die Entführten. Die Empörung der Bauern und das geschlossene Auftreten der Katholiken von Andong ließen das Regime des damaligen Präsidenten Park Chung Hee einlenken. Louis Cheong und sein Kollege kamen frei und der streitbare französische Missionsbischof Dupont wurde auch nicht ausgewiesen. Diese Episode aus den siebziger Jahren zeigt deutlich, wie die kleine katholische Kirche Südkoreas bereits zu Zeiten der Militärdiktatur öffentlich gegen Unrecht und Willkür auftrat. Das Land auf der Südhälfte der koreanischen Halbinsel, die sich vom chinesischen Festland Richtung Japan ins Meer erstreckt, ist mittlerweile unter seinem vor drei Jahren gewählten Präsidenten Kim Young Sam dabei, sich unter Volldampf zu einem modernen Industriestaat zu entwickeln.

Vom Produzieren arbeitsintensiver Rilligprodukte geht das rohstoffarme Südkorea vermehrt zum Anbieten eigener Technologie und Markenartikel über. Welchen Preis jedoch zahlen die Südkoreaner dafür, daß ihr Land zu den „Tigern" Asiens zählt? Rene Dupont, seit 43 Jahren Missionar in Korea und heute Altbischof von Andong, zieht in der deutschen Missionszeitschrift KM kritisch Bilanz über den spektakulären wirtschaftlichen Aufschwung des Landes: „Der Preis dafür ist hoch, wenn nicht fatal: Die Person wird entwürdigt, die Familie zerstört, die Umwelt verschmutzt und die Schwachen werden an den Rand der Gesellschaft gedrückt. Der Götze Geld kennt kein Erbarmen." Schon in den siebziger Jahren - zu Zeiten der Militärdiktatur von General Park Chung Hee - begann der Zustrom armer Reisbauern in die Hauptstadt Seoul, wo die Industrialisierung und der Bauboom Arbeitsplätze boten. Seitdem konzentriert sich die Bevölkerung immer stärker in den Städten.

Allein elf Millionen Menschen, ein Viertel aller Koreaner, leben heute bereits in Seoul, der brodelnden Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft. Sanft geschwungene Dächer kleiner hölzerner Tempel leuchten wie verstreute Kostbarkeiten zwischen den Wolkenkratzern der Stadt. Inmitten der Autokolonnen schleppen Lastenträger mit Holzgestellen auf dem Rücken ihren Kunden die Einkäufe von den Märkten nach Hause. Straßenhändler preisen lautstark in Alkohol eingelegte Ginsengwurzeln als Wundermittel an. Das Angebot an Luxuswaren im exklusiven Kaufhaus Lotte läßt keine Wünsche offen. In den gläsernen Fassaden der Bürohochhäuser der Innenstadt spiegeln sich die ausgebreiteten Arme der Christusstatue vor der Myong-dongkathedrale. Und täglich wachsen mehr Hütten am Stadtrand aus dem Boden.

Mit durchschnittlich 444 Einwohnern pro Quadratkilometer zählt Südkorea nach Taiwan und Bangladesch zu den am dichtesten besiedelten Ländern der Welt. Die Einwohnerzahl der Hauptstadt hat sich innerhalb von zwanzig Jahren verdoppelt, ein tägliches Verkehrschaos und eine spürbare Luftverschmutzung sind die Folge. Durch den ungebremsten Zustrom der Landbevölkerung in die Ballungsräume sind Wohnungen Mangelware. Auf dem Arbeitsmarkt täuscht die niedrige offizielle Arbeitslosenrate von 2,4 Prozent, denn nur Personen mit weniger als einer Stunde Arbeit pro Woche wurden als arbeitslos gerechnet. Und zunehmend verlagern Unternehmen ihre arbeitsintensiven Produktionen ins billigere China. Somit könnten Südkorea steigende soziale Spannungen um Arbeit und Wohnraum ins Haus stehen.

Im Prozeß der Demokratisierung der Gesellschaft war die katholische Kirche von Anfang an treibende Kraft. Die konfuzianische Mentalität mit ihrer ausgeprägten Achtung vor Macht und Autorität hatte den Generälen der früheren Militärdiktatur wenig entgegenzusetzen. Widerstand kam vielmehr aus den Reihen der Katholiken. Altbischof Dupont: „Als nie mand die Übergriffe des Staates anklagte, hat es die Kirche getan. Als die Bauern kein Versammlungsrecht hatten, hat ihnen die Katholische Bewegung ihre Türen geöffnet. Als es den Arbeitern verboten war, sich gewerkschaftlich zu organisieren, haben die Bischöfe ihre Forderungen unterstützt. Ferner erklärte sich die Kirche solidarisch mit den politischen Gefangenen und protestierte gegen ihre Folterung."

Das soziale und politische Engagement der Kirche ist Umfragen zufolge auch bei weitem das stärkste Motiv für Koreaner, katholisch zu werden. In der gesellschaftlichen Wertschätzungpunkten die Katholiken zudem mit ihren Schulen, Universitäten und Spitälern. Darüber hinaus bietet das christliche Menschenbild, das die gleiche Würde aller Menschen als Geschöpfe Gottes betont, einen nachhaltigen Impuls zum Aufbau einer demokratischen Gesellschaft.

Für den Erzbischof von Seoul, Kardinal Stephen Kim, zählt dazu auch der verstärkte Einsatz für einen Versöhnungsprozeß zwischen Nord- und Südkorea. Die tiefen Gräben, die die Teilung Koreas nach dem Zweiten Weltkrieg, der Bruderkrieg mit zwei Millionen Toten im Jahr 1950 und die Abschottung des kommunistischen Nordens aufgerissen haben, können laut Kardinal Kim nur allmählich durch eine schrittweise Annäherung und Verständigung überbrückt werden.

Von den 44 Millionen Südkoreanern sind heute etwas mehr als drei Millionen katholisch. Nach den Philippinen und Vietnam ist die Kirche Südkoreas damit die drittgrößte katholische Kirche in Asien. Als traditionelle religiöse Fundamente der koreanischen Gesellschaft gelten jedoch nach wie vor Schamanismus, Buddhismus und Konfuzianismus. Vielfach werden diese drei aber nicht als getrennte Religionen, sondern als historisch übereinander gewachsene religiöse Schichten, die sich gegenseitig beeinflußten, empfunden.

Die katholische Kirche versucht in der Regegnung mit dieser vielgestaltigen Tradition, sich in die tiefe Religiosität des Volkes einzufügen, zugleich aber deutlich für eine humane und demokratische Weiterentwicklung der Gesellschaft einzutreten.

Der Autor ist

Pressereferent von Missi Austritt.

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