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Statt der Genialität nur die Genitalität

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Was macht ein Psychoanalytiker, wenn er ein psychoanalytisches Interview mit Elfriede Jelinek führt? „Die Beziehungen zwischen der Frau und der Künstlerin Jelinek faßbarer” erscheinen lassen, so der Klappentext, oder, in Adolf-Ernst Meyers eigenen Worten „hinter ihren Texten die Frau aufspüren”.

Da Jelinek naturgemäß nicht als einzelnes Fallbeispiel vorgeführt werden will, wird nach einer weiteren Schriftstellerin gesucht. Als „idealer Paarling” für den Interviewer gesellte sich die deutsche Autorin Jutta Heinrich dazu, oder besser, wurde dem Psychoanalytiker und Interviewer hinzugesellt.

Allein die Konstellation, ein Psychoanalytiker (Mann), der sich zwei Autorinnen (Frauen) vorknöpft, um mit ihnen über ihr Geschlecht unter dem bereits zerschlissenen, weil zu oft strapazierten, Deckmantel der Literatur zu sprechen, stellt dieses Unternehmen in Frage.

„Schreiben als Geschlechterkampf” lautet der vielversprechende Untertitel des Buches, das jedoch mehr auf die Genitalität der Autorinnen abzielt, als deren Genialität einer kritischen, textgerechten Betrachtung zu unterziehen.

Was auch immer hinter diesem vielschichtigen Begriff verborgen sein mag, Meyers Interview wird es den Leser nicht lehren. Da helfen auch Jutta Heinrichs Aussagen über ihre weibliche Identitätskrise nichts. Umgearbeitete Anzüge ihres Vaters sowie Stöckelschuhe befanden sich gleichermaßen in ihrem Kleiderschrank, berichtet sie ausführlich, während von ihrem Bücherschrank nur kurz die Rede ist.

Elfriede Jelinek scheint als einzige von den dreien um eine Klärung des Regriffs „Geschlechterkampf' bemüht. Doch vermögen ihre Reispie-le für einen Kampf der Geschlechter aus der (Literatur)geschichte, wie etwa zwischen M*artin Heidegger und Hannah Arendt, aber auch jene aus ihren eigenen Werken, nur geringes Interesse bei ihrem Interviewer zu wecken.

Auf die eingangs gestellte Bemerkung, daß sie sich wieder einem Psychiater stellt (in ihrer Kindheit und Jugend wurde sie zu verschiedenen Psychiatern geschickt), gibt Jelinek zur Antwort: „Na ja, wenn man mit ihnen redet ist es ja sehr interessant, aber wenn sie einen behandeln,

dann wird es ja ernst” Von einem interessanten Dialog - auch hier hätte er einsetzen können - kann jedoch nicht die Rede sein. Selbst die Rückschau auf Jelineks Werke wird getrübt, denn für jene Leser, die Jelineks Texte nicht kennen, liefert Meyer seine eigene Kurzfassung, die, wie er selbst sagt, einzig sein Verständnis widerspiegelt, aber - so fügt er hinzu, aus diesem hätte er ja gefragt. Daß Meyer aber kaum Verständnis für seine Gesprächspartnerin aufbringt, verraten Gesprächsstellen wie diese:

Jelinek: „Welche Richtung vertreten Sie denn?”

Meyer: „Gemäßigter Freud, würde ich sagen.”

Jelinek: „Über Freud könnte man natürlich stundenlang reden, aber das wäre ein ungleiches Gespräch.”

Meyer: „Das erste Mal waren Sie beim Psychiater mit sechs, sieben Jahren, sagten Sie.”

Kein Wort mehr über Freud, und das bei Jelineks Texten. Weder „Die Klavierspielerin” noch „Lust” leiten zu Freud über. Statt dessen wird Meyer nicht müde, wiederholt nach ohnehin bereits bis zum Überdruß Diskutiertem, und daher auch hinlänglich Rekanntem - Jelineks Mutterproblem ist eines davon - zu fragen. In der Tat versteht er es, jede interessant anmutende Gesprächsentwicklung zu vereiteln, so etwa beim Thema Fremdenhaß.

Jelinek: „Man fühlt sich vom Fremden immer bedroht. Das merkt man bei Haider jetzt auch wieder. Diese tiefe Geistesfeindlichkeit, die sich im Grund gegen uns Künstler und Intellektuelle richtet. Der eigentlich bedrohliche Feind ist der Intellekt. Das wird bei Hitler in diesem diffusen Völkergemisch ebenso gewesen sein, der eigentliche Feind war die Intelligenz.”

Themenwechsel. Meyer: „Hatte ihr Vater die Alzheimer Krankheit?”

Statt Intelligenz lieber Alzheimer, und am Ende Jelineks 'Rekenntnis: „Ja. Ich bin eine Triebtäterin beim Schreiben”, zum anderen die Erkenntnis des Lesers: Es hüte sich vor derartigen psychoanalytischen Interviews, wer sich nicht -selbst der Rolle eines Voyeurs verschreiben will, oder für Autor/inn/en: Vor Psychiatern wird gewarnt.

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