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„Sterbende im Auge der Toren“

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Mörder sehen über ihre Untater gern das Gras wachsen. Man verstehl das. Aber man versteht nicht, daß eine Nachwelt, die den Vorwurf der Mitschuld weit von sich weist, solches Gras ebensowenig in ihr Bewußtsein auifnimmt wie die davon überdeckten Untaten.

In der Kirche hatte stets noch einen Ehrenplatz, wer für seine christliche Überzeugung gemordet wurde. Es darf nicht geschehen, daß in unseren Tagen zur Unperson wird und in den Abgrund der Vergessenheit fällt, wer noch vor einem Menschenalter der ehrfürchtigen Verehrung sicher gewiesen wäre. Duldeten wir dies, so wären wir nicht mehr Kirche, brüderliche Gemeinde des Herrn in der lebendigen Bedeutung des Wortes.

Vor uns liegt ein Bluturteil vom 15. Dezember 1944: „Im Namen des deutschen Volkes! In der Strafsache gegen den Benediktinerpater Josef Pontiller aus Szentegat …, gebaren am 4. November 1889 in Görlach- Stribach (Oberdonau), zur Zeit in dieser Sache in gerichtlicher Untersuchungshaft wegen Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung, hat der Volksgerichtshof, 1. Senat, auf die am 27. Oktober 1944 eingegangene Anklage des Herrn Oberreichsanwalts in der Hauptverhandlung ᾠ, an welcher teilgenommen haben als Richter: Präsident des Volksgerichtshofes Doktor Freißler (u. a.), als Vertreter des Dberreichsanwalts: Landgerichtsdirektor Dr. Gerd Lenhardt, für Recht erkannt: Josef Pontiller, ein Priester, der bei Gründung unseres Großdeutschen Reiches nach Ungarn emigrierte, der sußerdem sich Meßgelder im Wege der Devisenschiebung nach Ungarn senden ieß und der sich geschlechtlich an deutschen Jungen vergangen hat, nachte sich zum Propagandabüttel unserer Kriegsfeinde, indem er dem Erzabt der Benediktiner .in „Ungarn inen Brief mrf’ ffiwerstefr ungen ra ere Führers" JSDAP, damit des ganzen deutschen Volkes schrieb und in ihm auch ichlimmste Greuelmärchen verbreitete. Für immer ehrlos, wird er dafür mit lem Tode bestraft.“

Die Devisenschiebung im Ausmaß fon Meßgeldern erübrigt jeglichen Commentar. Für den Vorwurf der Homosexualität fand sich die Ver- lächtigung, aber über sie hinaus nicht ler Schatten eines Beweises. Aber liese beiden „Delikte“ hatten — wie ;ymptomatisch! — vor einem national- ;ozialistischen Gericht das Verdikt zu unden, das der Auslöschung eines nißliebigen und zu diesem Zweck als mwert hingestellten Menschenlebens :u dienen hatte. Und der einzige landfeste Beweis? Nach der Emigra- :ion aus dem soeben „angeschlosse- ien" Tirol schrieb Pater Edmund, wie :r mit dem Ordensnamen hieß, den ;rwähnten Brief an Ungarns Erzabt, ler Jahre später der Gestapo in die lande fiel und den abgründigen Haß ler deutschen „Richter“ entfesselte.

„ᾠ Die Weihnachtsglocken werden ᾠ auch dieses Jahr uns Künder des Herzensfrieden sein können, nicht aber des Weltfriedens. Das Schlachten und Morden wird weitergehenᾠ Hitler kennt mit seinem Volke kein Erbarmen. Er glaubt, berechtigt zu sein, ganz Europa mit sich in den Abgrund zu reißen. Aus der Kbsterwelt schreibt man mir, daß viele Äbte sterben. Der eine im Konzentrationslager, wie jüngst der ᾠ Zisterzienserabt von Withering „andere in fernen Kraukeythäusern. Alte Ordensleute werden als unproduktiv getötet und verbrannt. Ihre Asche kann man um 4 Mark erhalten. Die Abteiki’rchen und Klöster werden buchstäblich ausgeraubt ᾠ Hitler aber treibt den Kampf gegen die Kirche gerade jetzt auf die Spitze. Da gibt es noch Katholiken, sogar katholische Priester, die diesem Nero auf deutschem Thron noch immer Weihrauch streuen ᾠ

Berlin, 13. Oktober 1944. Inmitten von Trümmerfeldern tritt, zwei Jahre nachdem diese Sätze im Ausland an einen Ausländer (freilich im Zeichen eines neuen Europa!) geschrieben worden waren, der „Volksgerichtshof“ in der Sache Pontiller zusammen, einer endlosen Kette von Morden ein weiteres, durch „Urteil“ beschönigtes Glied hinzuzufügen. Die Rote Armee hat in diesen Tagen die Theiß überschritten, steht vor Belgrad, vor Riga. Athen ist von der „Wehrmacht“ geräumt. Im Westen ist Aachen in Alliierten-Hand. Weite Teile Belgiens und Hollands sind befreit. „Was soll da noch übrigbleiben? Nur ein großer Trümmerhaufen und namenloses Elend“, hatte P. Edmund den nun eingetretenen Zustand vorausgesehen. Oder, um es mit der Stellungnahme zum Urteil, mit den Worten aus dem Munde Roland Freiß- lers zu sagen: der Verurteilte hatte „Deutschlands sowie Europas sicheren Untergang durch die Schuld des Führers vorausgesagt“. Verwunderlich, daß , dkMei Herren Richter dem; PMer „iraft- erfüllteGreüelhKtze" unterstellten.? Nein. Verwunderlich nur, daß die Mordmaschine noch zu solchem Zeitpunkt auf vollen Touren weiterarbeitete. Aber freilich, es galt ja noch rechtzeitig möglichst viele Feinde des Regimes „im Namen des deutschen Volkes“ zu erledigen ᾠ

Hatte denn P. Edmund keine Aussicht auf Begnadigung? Nein. „Nicht gnadenwürdig wegen der Devisenschiebungen und der homosexuellen Betätigung. Also Vollstreckung“, heißt es im Akt ᾠ Da es aber in Berlin im Jänner 1945 zwar nicht an Todesurteilen, aber an Scharfrichtern mangelt, wird P. Edmund in Ketten nach München gebracht und dort am 9. Februar enthauptet. „Ohne Zwischenfall“, wie das vom Ersten Staatsanwalt Roemer gezeichnete Protokoll festhält ᾠ

In Innsbruck und Lambach, wo Pater Edmund wirkte, ehe er sich, angeekelt, dem Regime der Gewalttäter entzog, ist er gewiß noch unvergessen. Aber er und die zehntausenden Leidensgenossen, die seinen Weg in die Ewigkeit gehen mußten, sollten unter uns allen unvergessen sei . Und nicht nur, weil wir Kirche sind und wo es um Glieder der Kirche geht.

Warum läßt das demokratische Österreich über diese „Taten“ des Dritten Reiches das Gras wachsen? Wir haben doch kein Interesse daran, vor der Welt und vor unseren Kindern als ,, Rechts “-Nachfolger dieses Regimes zu erscheinen! Muß uns nicht daran gelegen sein, endlich — und in ernster Stunde! — unseren Stolz zu zeigen auf die Gemordeten aus unseren Reihen, unsere Dankbarkeit für ihr Sterben und unsere Distanz zu den „Richtern“?

Unbewältigte Vergangenheit? Man redet davon. Aber die Aktenlager der Mordgerichtshöfe sind ungehoben. Und ungeschoren die Vollstrecker (auch manche der hier genannten) eines dämonischen Rachewillens. Die Vergangenheit ist so weit bewältigt, als man sie sehen, ihr ins Auge sehen und sie auch stellen will, wo es nottut. Ihre Schatten aber nähren sich an der Trägheit unserer Herzen: sie wachsen an der Nichtigkeit, rtiit der wir die wahrhaft Großen der Vergangenheit bedenken. Und dabei ist es doch nur ein winziger Schritt von der Vernichtigung zur Vernichtung!

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