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Sternenglaube

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Viel, wohl schon allzuviel, ist dem Menschen der Gegenwart — zu der unmittelbaren Wucht der Eindrücke zweier Kriege mit ihrem ganzen Gefolge leiblicher und seelischer Not noch in Bild und Wort — die Ungewißheit seines Daseins ins Bewußtsein gehämmert worden. Aber trotz allem behauptet sich das menschliche Streben, wenn schon nicht nach einem sicheren Glück, so doch wenigstens nach irgendeiner Gewißheit an Stelle beständiger Angst vor einer dunkel drohenden Zukunft. Es ist erschütternd, zu sehen, wie manche Menschen in ungewollter, wahrhaft grausamer Selbstironie auf der Suche nach Halt und Gewißheit Wege be-

schreiten, von denen sich bei näherer Prüfung günstigstenfalles sagen läßt: „Es könnte etwas Richtiges daran sein.“ In der Vielfalt solcher seltsamer Wege zu vermeintlicher Gewißheit über verborgene und zukünftige Dinge nimmt die Stemdeutung oder Astrologie durch Alter und schein-wissenschaftliches Ansehen einen hervorragenden Platz ein.

Die Astrologie aller Richtungen behauptet, daß die Vorgänge am sichtbaren Sternhimmel und das Gescheiten auf der Erde, insbesondere Anlagen und Schicksale der Menschen, in irgendeiner Weise (über welche noch zu sprechen sein wird) so miteinander m Beziehung stehen, daß aus der Kenntnis der einen Seite mit weitgehender Sicherheit auf die andere geschlossen werden kann. Bezüglich des Maßes der zu erlangenden Gewißheit dürfte unter weit divergierenden Meinungen die Äußerung eines modernen Astrologen etwa eine mittlere Linie bezeichnen, daß die Astrologie keine „exakte“, sondern eine „diagnostische“ Wissenschaft, ähnlich der Heilkunde, sei. Auf Seiten der nehmenden Anhängerschaft der Astrologie ist, abgesehen von der Skepsis mancher „Laufkunden“, zweifellos die Vertrauensseligkeit im allgemeinen nahezu bedingungslos, wofür die Briefe Wallensteins an Kepler geradezu ein klassisches Beispiel bieten.

Die erste entscheidende Frage ist die, in welcher Welse die Beziehungen zwischen Ge- stirnung und irdischen Vorgängen gedacht werden sollen. Von den beiden Hauptgruppen, die unter diesem Gesichtspunkt zu unterscheiden sind, der quasi-religiösen und der naturwissenschaftlichen Astrologie, soll zunächst die erste näher betrachtet werden. In den ältesten erhaltenen Schriftdokumenten Vorderasiens tritt die Astrologie ah Teil einer Gestirnsreligion auf, oder, vielleicht richtiger gesagt, der sichtbare Himmel wird in naiver Weise in allzu enge Beziehung zum Göttlich- Erhabenen schlechthin gebracht. Von daher tragen noch heute die Planeten Namen von erdachten Gottheiten, die ihre gestaltähnlichen Vorgänger schon im griechischen Olymp und noch früher im babylonischen Götterhimmel hatten. Der astrologische Fachausdruck „Häuser“, der mit der Unterscheidung in „himmlisch“ und „irdisch“ sowohl für die Tierkreiszeichen wie für die auf den Horizont bezogenen Himmelsfelder gebräuchlich ist, und die Bezeichnung „Aspekt“ (das Hinblicken) für die Winkelbildungen zwischen zwei Planeten oder sonstigen für markant gehaltenen Punkten des Himmels mit der Erde als Scheitel und viele andere Ausdrücke, bewahren noch deutlich diese personale Vorstellung. Sonach wären die irdischen Geschehnisse ganz oder teilweise bedingt durch das Wirken dieser vorgestellten Gestirnsgötter. In dieser naiven Form wird die Astrologie bei uns wohl von niemandem mehr geglaubt, besonders wenn man sich klarmacht, daß ja die Bewegungen der Planeten am Himmel für uns nichts mehr von scheinbarer Willkür persönlicher Wesen an sich haben, sondern auf Jahrhunderte hinaus berechnet werden können.

Aber durch einen Wechsel in der Bezeichnungsweise erhält diese heidnische Auffassung der Astrologie leicht einen christlichen Anstrich, indem man statt von Göttern von Planetenengeln spricht. Dagegen muß nun mit aller Entschiedenheit herausgestellt werden, daß die Engel des christlichen Glaubens reine Geistwesen sind, die nur in wenigen außerordentlichen Fällen zur Ausführung bestimmter göttlicher Aufträge vorübergehend sichtbare Gestalten angenommen haben, wie der Erzengel Raphael gegenüber Tobias, und Gabriel bei der Verkündigung der Geburt Christi und Johannes des Täufers, die Engel bei der Geburt, am Grabe und nach der Himmelfahrt Christi, und bei der Befreiung des Petrus aus der Gefangenschaft. Die angeblichen Planetenengel aber tragen durchaus materielle Leiber, die sich' mit astrophysikalischen Meßgeräten untersuchen lassen. Sie sind nach astrologischer Auffassung in ihrem Wirken so sehr an diese Leiber gebunden, daß man an deren Stellungen am Himmel ihre jeweilige Einflußmacht und Wirkensweise ablesen könnte. Die „Planetenengel“ sind sonach Zerrbilder der reinen Engelsgeister des christlichen Glaubens, und nur Unwissenheit oder Irreführung kann versuchen, auf diese Weise die Astrologie für Christen annehmbar zu machen.

Der Gedanke liegt nahe, daß die einstmals Planetengöttern zugeschriebenen Wirkungen Naturkräfte seien, die eine naive Phantasie irrtümlich personifiziert hat . Dies würde zu einem naturwissenschaftlichen Verständnis der Astrologie führen, worüber ein zweiter Artikel ausführlich handeln soll. Unter den Astrologen der Gegenwart behauptet sich jedoch vielfach eine andere Vorstellungsweise, die auf verschiedene Variationen des pantheistischen Weltbildes aufbaut. Die Auseinandersetzung mit den geistigen Grundlagen der pantheistischen Systeme und Sekten, unter denen hier besonders Theosophie und Anthroposophie in Betracht kommen, würde über den Rahmen dieser Untersuchung hinausgehen, und wir könnten uns mit der Feststellung begnügen, daß mit diesen Formen der Weltanschauung selbst auch die daraus gezogenen Folgerungen über eine kosmische Orientierung des Menschenlebens, Ällverbun'denheit, oder wie man es nennen mag, für den gläubigen Christen unannehmbar sind.

Befremdlicherweise wird aber auf der Gegenseite alles getan, um in Broschüren und Zeitschriften aus einer Vernebelung der Begriffe buchstäblich „Kapital zu schlagen", so daß eine scharfe Grenzziehung unbedingt geboten erscheint. Die Verwirrung beginnt damit, daß gewisse Vertreter der Astrologie und anderer okkulter „Wissenschaften“ ihre Betätigungsfelder unter der Bezeichnung „Geisteswissenschaft" zusammenfassen, obwohl dieses Wort längst für einen ganz andern Bereich gebräuchlich ist. Ferner prangen als Leitworte auf der Titelseite okkultistisch-astrologischer Zeitschriften und auch geschickt in den Text eingestreut, allgemein bekannte Zitate aus den Evangelien oder andern Büchern der Heiligen Schrift und es wird viel von Offenbarung des göttlichen Geistes, Christuskraft, Wort Gottes, Kreuz und ähnlichem geredet, um sich bei allzu leichtgläubigen Christen einzuschmeicheln. Bei näherem Zusehen bemerkt man dann aber eine widerliche Mischung, die anscheinend für jeden Geschmack etwas bieten soll. Neben Moses werden bedenkenlos auch Zoroaster und Buddha, ja allen voran Hermes Trismegistos (!) als geistige Wegbereiter Christi aufgezählt, unterschiedslos echten Stellen aus der Heiligen Schrift, solche aus Apokryphen angereiht (mit einem Seitenhieb auf die Kirche, weil sie diese auch historisch schlecht beglaubigten Schriften nicht in ihren Kanon aufgenommen hat); Alchimistenweisheit wird wie göttliche Offenbarung wiederholt und durch moderne Hellseheraussprüche würdig ergänzt. Unter letzteren befinden sich, um die Blasphemie zu krönen, auch auf angeblich übernatürliche Weise erlauschte Weissagungen Christi, die (vielleicht muß man sagen: glücklicherweise) so schamlos schlecht erfunden sind, daß sie bei hinlänglicher Aufmerksamkeit durch offenbare Widersprüche mit gesicherten historischen Tatsachen entlarvt werden können.

Damit noch nicht genug, wird, berüchtigten Beispielen aus der Renaissancezeit folgend, sogar das Leben Jesu astrologisch ausgewertet unter dem Vorgeben, dadurch Wege einer vertieften Nachfolge Christi zu weisen, und mit dem scheinfrommen Beifügen, daß es natürlich keinem gewöhnlichen Menschen möglich sei, ganz ebenso diesen Weg zu gehen. Es rundet das Bild dieser unaufrichtigen, scheinchristlichen Astrologie ab, wenn man in einem ihrer Lehrbücher auf der ersten Seite von der Dreiheit „Geist, Vater und Sohn“ (in Fettdruck) liest, und beim Eindringen in den Zusammenhang bemerken muß, daß hier die drei göttlichen Personen in absichtlicher Umstellung der wesensgemäßen Reihenfolge zur Symbolisierung von unbewußtem Weltgeist, Astralwelt und materieller Welt berabgewürdigt sind.

Den eben besprochenen Gedankengängen steht noch eine andere, anscheinend christliche Auffassung der Astrologie nahe. Man setzt nur an die Stelle des unbewußten Weltgeistes den persönlichen Gott und behauptet, daß die Sterne eine geheimnisvolle Schrift seien, durch die er seinen Willen und seine Pläne der Menschheit verkünde. Als Beleg, für die Zulässigkeit dessen wird vorzugsweise die Gestirnung heran- geZogen, welche die Weisen aus dem Morgenland zum Messias geführt hat. Dazu ist kurz folgendes zu sagen. Zweifellos kann Gott als der allmächtige Herr der ganzen Schöpfung sich wie jedes Mittels, so auch der Sterne bedienen, um auch außerhalb der allgemeinverbindlichen Offenbarung seinen Willen kundzugeben. Nichts berechtigt uns aber zu der Annahme, daß ebenso wie die Geburt des Welterlösers auch die jedes kleinen Erdenbürgers, ja dessen ganzes Schicksal bis in seine Einzelheiten hinein in den Sternen geschrieben stehen müsse. Vielmehr sprechen triftige Gründe entschieden dagegen. Vor allem enthält die echte Offenbarung Gottes weder in der Bibel noch in der von der Kirche behüteten Überlieferung irgendeinen Schlüssel zur Lesung der angeblichen Sternenschrift Gottes, ja nicht einmal eine Aufforderung, sie zu beachten und sich mit natürlichem Scharfsinn um ihre Entzifferung zu bemühen. Im Gegenteil, verweisen klare Aussprüche Christi seinen Jüngern die ängstliche Sorge um die Zukunft, und selbst die als Vorboten des Weitendes angekündigten Himmelszeichen tragen nicht die Merkmale normaler, berechenbarer Gestirnsläufe, sondern gewaltiger, außerordentlicher Katastrophen an sich, von denen es deutlich genug heißt, daß „die Feste des Himmels erschüttert werden wird“. In gleicher Weise findet man bei den ältesten Zeu gen der mündlich überlieferten Glaubenslehre, den Kirchenvätern, einhellige Ablehnung der Astrologie, von der sie nur allzu gut wußten, daß ihre Deutungsregeln, obzwar schon damals schein-wissenschaftlich eingekleidet, aus heidnischen Quellen geschöpft waren.

Diese klare Stellungnahme, bei der meistens reinlich zwischen Astronomie und Astrologie (wenigstens der Sache, wenn schon nicht überall dem Ausdruck nach) unterschieden wird, ist um so bemerkenswerter, als nach dem damaligen geozentrischen Weltbild und den unvollkommenen physikalischen und biologischen Vorstellungen sowie dadurch, daß namhafte Vertreter der Astronomie, wie Ptolomaios, auch astrologische Schriften verfaßt hatten, eine gewissermaßen naturwissenschaftliche Auffassung der astrologisch behaupteten Gestirnjeinflüsse durchaus diskutabel erschien. So ist es auch zu verstehen, daß in den „Summen" der großen Scholastikers des christlichen Mittelalters mit dem noch kaum erweiterten naturwissen- schaflichen Weltbild der Antike auch die Astrologie, verstanden als Lehre von kosmischen Umwelteinflüssen, welche den Menschen jedoch nicht der Freiheit seines Willens berauben könnten, ihren Platz fand. Wie aber der gesamte naturwissenschaftliche Teil dieser großangelegten Werke von der fortschreitenden wissenschaftlichen Erkenntnis nach und nach überholt worden ist, so hat auch über die Frage, ob und inwieweit kosmische Einflüsse auf den Menschen wirken, die Naturwissenschaft das Wort.

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