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Stets das Gute schaffen

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Anstatt etwas zu demonstrieren, möchte ich ein Bild anbieten, durch das der Zuschauer selbst die Dinge erkennt”, sagte der italienische Regisseur Roberto Rossellini über sein filmisches Schaffen. Und diese Dinge werden aus einem neuen Blickwinkel gezeigt, chorisch und episodisch - neorealistisch eben: Eine Geschichte besteht aus vielen Geschichten, der einzelne ist nur Teil einer Gemeinschaft, nicht alle Szenen eines Films müssen auf eine festgelegte Fabel mit Finale ausgerichtet sein, Protagonisten werden nicht von ihren sozialen Beziehungen isoliert, Erzählstränge können sich ins Nichts verlieren.

Bossellini verachtete das Unterhaltungskino, er wollte dokumentieren, bei aller angestrebten Objektivität ist aber der didaktische Anspruch seiner Filme nicht zu übersehen. Er „demonstriert” doch, viel mehr, er doziert sogar, wenn er wie in „La machina ammazzacattivi” (1948) am Ende die Moral von der Geschichte formuliert: man solle niemanden voreilig strafen. Wer ohne Sünden ist, der werfe den ersten Stein, da wird sogar der Teufel bekehrt, alle nicht ganz so unschuldigen Toten wieder zum Leben erweckt, die Bühne geräumt, und alles war vielleicht nur der Alptraum eines Fotografen. Der vermeintliche heilige Andreas, als armer Höllenknecht entlarvt, hat seine Aufgabe auf Erden vermasselt und könnte nun mit seinem Urvater Mephisto sprechen: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.”

So simpel? Nein, ein Rossellini-Film ist nicht auf eine kurze Formel zu bringen. Da waren noch die Amerikaner, die den Dorffriedhof gekauft haben und ständig übersiedeln müssen, weil ein Gastgeber nach dem anderen das Zeitliche segnet, das Geld, dem alle nachjagen, das alle korrupt macht, und das schließlich keiner bekommt, ein Testament, das einer dem anderen klaut, nur damit es erneut bei der Verstorbenen landet, die dann aber doch nicht tot ist, ja, und nicht zu vergessen: Romeo und Guilietta, die im Geheimen dem Genuß der Liebe frönen, ihre Familien sind verfeindet ... es ist doch alles recht kompliziert.

„Das Konkrete ist die Synthese vielfältiger Bedingungen; die Einheit der Vielfalt.” Rossellini bezieht sich auf Marx, wenn er mit unzähligen verschachtelten Szenen und Details Sittenbilder zeichnet.

Kriegserfahrungen

Der italienische Regisseur erlag im Laufe seines Schaffens den verschiedensten Einflüssen. 1906 als Sohn eines prominenten Architekten in Rom geboren, war er nach dem Tod seines Vaters gezwungen, auf eigenen Füßen zu stehen. Fast zufällig - verliebt in eine Schauspielerin - kam er zum Film. Seine ersten eigenen Werke „La nave bianca”, „Un pilota ri-torna” und „L'uomo dalla croce” entstanden zwischen 1941 und 1943 im faschistischen Italien und waren Propagandafilme für das Regime. Doch noch vor Kriegsende beginnt sich die Wende in seinem Schaffen abzuzeichnen. Rossellini will einen Dokumentarfilm über Don Pietro Morsini drehen, einen Priester, der von den Deutschen erschossen wurde: Der Einmarsch der Alliierten stellt die Weichen für die Dreharbeiten an „Roma, cittä aperta”, dem „Paisä” (1946) und „Germania, anno zero”

(1947) folgen werden. Diese „Kriegs-trilogie” sollte dem italienischen Neorealismus zu den künstlerisch-ästhetischen nun auch moralisch-politische Konturen verleihen. Die Themen sollten sozialkritische sein: nach den Kriegserfahrungen auch Arbeitslosigkeit und Ausbeutung.

Rosseilinis Filme fanden in Italien wenig Anerkennung, aber in Hollywood fand „Roma, cittä aperta” eine berühmte Bewunderin: Ingrid Bergman. Sie schrieb dem Regisseur, der Star wollte mit dem vergleichsweise Unbekannten zusammenarbeiten. Das Ergebnis waren „Stromboh terra di dio” (1949) und eine leidenschaftliche Liebesgeschichte, die zunächst in einen Skandal und dann in die Ehe mündete.

Es entstanden weitere Filme mit Ingrid Bergman: „Europa '51” (1952), „Viaggiomltalia” (1953) und schließlich die Stefan Zweig-Verfilmung „Angst” (1954). Das war das Ende. Der Ehe und einer produktiven Periode.

In den nächsten drei Jahren entstand kein weiterer Film. Trotzdem schien Rossellini seine Mißerfolge in Italien mit Fassung zu tragen. Sein damaliger Assistent Francois Truffaut berichtet: „Er wußte 1958 genau, daß seine Filme nicht wie die der anderen waren, aber er war der gesunden Ansicht, daß die der anderen sich zu ändern und den seinen anzugleichen hätten.”

In Frankreich hatte Rossellini etliche Anhänger; er wurde zum Vater der „Nouvelle Vague”. Er kümmerte sich um seine Schüler, besuchte sie in Paris und ließ sich Amateurfilme zeigen. Für seine eigenen Produktionen interessierte er sich nach deren Fertigstellung nicht mehr, er wollte sie nicht einmal sehen, sonst wäre er versucht gewesen, noch einmal drehen zu wollen, was ihm gefiel, meinte er.

1975 drehte Roberto Rossellini seinen letzten großen Film, „II Messia”, eine eigenwillige Literaturverfilmung der Evangelien des I .ukas und Johannes. 1977 starb er an den Folgen einer Herzattacke. Anläßlich Rosselli nis 20. Todestages ist im Rahmen der Viennale im Österreichischen Filmmuseum eine Gesamtschau seines filmischen Schaffens zu sehen: unter anderem auch Kurzfilme, Dokumentationen und Fernsehproduktionen.

Es wird versucht, die Schaffensgeschichte des Regisseurs nachvollziehbar zu machen, indem man Filme in mehreren Fassungen zeigt: Rossellini hat manchmal verschiedene Versionen gedreht, in verschiedenen Sprachen, mit nicht unbedeutenden Änderungen. Er hat auch mehrsprachige Filme gedreht, in „Paisä” etwa wird deutsch, italienisch, amerikanisch und „very british” gesprochen, je nach Nationalität der Figuren. Auch das ist Neorealismus.

Zu sehen sind im Filmmuseum wie immer hauptsächlich Originalfassungen (bei Rossellini allerdings ein dehnbarer und problematischer Begriff), einige mit deutschen, englischen oder französischen Untertiteln.

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