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Digital In Arbeit

Steuerhinterziehung? Pfui!

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Ein kleiner Mann muß aber sehen, daß er ab und zu etwas vor dem Zugriff des Finanzamtes rettet.

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Ein kleiner Mann muß aber sehen, daß er ab und zu etwas vor dem Zugriff des Finanzamtes rettet.

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Herr H. spricht: „Nein, Steuerhinterziehung ist eine ganz gemeine Sache! Wenn so einer seine Warenhäuer für achthundert Millionen verkauft und sich dann ins Ausland absetzt, ohne Steuern bezahlt zu haben ... Pfui!

Es ist doch unser aller Geld. Dafür baut man Autobahnen, Schulen und so. Und die Beamten müssen bezahlt werden, die sich unseretwegen im Büro den Hosenboden durchsitzen und dabei schwachen Kaffee trinken müssen. Oder auch die Abgeordneten, die für uns reden. Wenn man sich so vorstellt, man hätte selbst immer wieder ins Parlament fahren, sich dort die ganzen Reden anhören, sich zu jeder Sache eine Meinung bilden und die dann dreimal pro Woche ändern müssen - inzwischen würde die Arbeit zu Hause liegenbleiben, man weiß ja, wie die Leute arbeiten, wenn der Chef weg ist —, dann zahl' ich lieber. Ehrlich, ich möchte eine Million Einkommensteuer jährlich zahlen. Klar, das Einkommen muß ja entsprechend sein.

Andererseits, wenn man sich so eine lebendige Million leibhaft vorstellt - tausend Tausender oder zehntausend Hunderter, und das soll einer eigenhändig einpacken und der Finanzkasse hintragen - das ist wohl eine übermenschliche Überwindung! Mir wird allein bei dem Gedanken bange, obwohl ich noch nie eine Million in bar gesehen habe.

Es ist aber auch eine ziemlich grausame Art, wie man uns Selbständigen das Geld abnimmt. Die Lohnsteuerzahler haben es besser. Die kriegen erst gar nicht das Geld in die Hand, dann tut es auch nicht so weh. Und wir sind wie einst die Kinder, die ihre Vergehen selbst melden und dem Vater oder dem Lehrer den Rohrstock selbst bringen mußten.

Klar. Steuern sind notwendig — aber warum muß eben ich alles bezahlen? Meine Kinder gehen nicht mehr zur Schule. Die Autobahn benutze ich nur ab und zu an einem Wochenende - wenn man einen Betrieb mit sieben Mann Personal am Hals hat, kann man nicht viel herumreisen. Sollen die doch lieber Schul- und Autobahngebühren einführen und nicht bei Menschen abkassieren, die nichts davon haben.

Sind die Steuergesetze gerecht? Warum habe ich die gleiche Steuerprogression wie die Großen, die ihr Geld ohne Kopfzerbrechen verdienen? Wenn ich ein bißchen mehr verdiene, war ich eben tüchtiger -warum soll ich dafür bestraft werden? Für Leute, die selbst arbeiten, sollte es überhaupt keine Progression geben, nur so kann man sie zu Leistungen anspornen.

Diese Steuergesetze! Ledige werden höher besteuert als Verheiratete, obwohl sie größere Lebenskosten haben und den Staat weniger in Anspruch nehmen, weil sie keine Geburtskliniken und keine Schulen brauchen. Für ein Kind kriegt man einen viel kleineren Freibetrag als für eine Ehefrau, obwohl ein Kind nur Kosten verursacht und eine Frau doch ein wenig in dem Betrieb helfen kann. Alleinstehende mit Kindern müssen mehr zahlen als Verheiratete. Man wird steuerlich bestraft, wenn man keine Kinder hat, und wenn man sie hat, wird man auch bestraft. Was will der Staat eigentlich?

Als kleiner Unternehmer muß man heute verdammt wirtschaftlich denken. Man hat ja schließlich Verantwortung für die Familie, für den Betrieb und für die Arbeitsplätze. Steuerhinterziehung lehne ich aber trotzdem ab.

Na ja, man macht schon ab und zu etwas ohne Rechnung oder läßt sich eine etwas höhere Rechnung geben. Das ist doch keine Steuerhinterziehung, es gleicht kaum ein Hunder-stel der steuerlichen Ungerechtigkeiten aus. So ein kleiner Betrieb wie der meine wirft gar nicht so viel ab, daß man richtig hinterziehen könnte.

Na gut, ich habe meine Schwiegertochter auf die Lohnliste gesetzt. Sie führt schließlich den Haushalt meines Sohnes und ermöglicht ihm so die Arbeit im Betrieb. Man spricht im Fernsehen dauernd darüber, daß die Hausfrauen einen Lohn haben sollen. Das ist fortschrittlich. Wenn aber ein kleiner Unternehmer aus eigenem Willen mit gutem Beispiel vorangeht, ist es plötzlich kein Fortschritt mehr, sondern Steuerhinterziehung!

Ein scheußliches Wort! Nicht wir - die Steuern sind es, die dauernd nach oben klettern, und wir ziehen uns hinter ihnen her.

Im Prinzip bin ich gegen Steuerhinterziehung. Ein kleiner Mann muß aber sehen, daß er ab und zu etwas vor dem Zugriff des Finanzamtes rettet. Man braucht ja das Geld dringend - um die vielen Steuern zu bezahlen.”

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