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Stifter und die Ordnung

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Man hört oft von einer „Stifter-Renaissance“ sprechen, da sich mitten im chaotischen Zusammenbruch des ersten Weltkrieges das freundliche Licht der Dichtung Adalbert Stifters zu einer Leuchtkraft entzündete wie nie zuvor. In den Finsternissen jener Kulturkatastrophe erwies sich gerade Stifter als ein Dichtet von starker seelenheilender Wirkung. Der große, fast erstaunliche Einrluß, den besonders der „Nachsommer“ ausgeübt hat und noch immer ausübt, mag nicht zuletzt seinen Grund darin haben, daß die Menschen dieser Dichtung unser genaues Gegenteil sind.

Paul Valery hat in einem Vortrag, den er „Die Politik des Geistes“ genannt hat, die Bilanz unseres modernen Lebens gezogen und ist bei Betrachtung der auf allen Lebensgebieten zunehmenden Krise zu der lapidaren Erkenntnis gelangt, daß unser Leben „Unordnung“ sei. Das Eigentümliche des „Nachsommers“ scheint nun gerade darin zti bestehen, daß er eine einzige Glorifizierung des Ordnungsgedankens ist: Verherrlichung eine! umfassenden Ordnung, die alles Chaotische völlig aufgesogen hat. Der Roman Stifters ist dadurch ein Riesenprotest gegen das Abenteuer des Geistes, von dem Valery sprach; gegen das Abenteuer nämlich, die Welt der Ordnung zu zerschlagen, um mit den Kräften des Geistes unbekanntes Neuland des Lebens zu erobern, in der törichten

Hoffnung, eine neue Ordnung an Stelle der bestehenden setzen zu können.

Die Ordnung — Stifter nennt sie die „Ordnung der Dinge“ -r- ist der Mittelpunkt der Nachsommerwelt. Wohl ist in dieser Welt auch für einander widersprechende, einander störende Kräfte Platz, allein sie verbleiben im menschlichen Bereich als Leid und Not des Menschen. Sie vernichten den Menschen nicht. Denn darauf kommt es an: daß alles, und sei es dem Menschen noch so ungünstig gesinnt, immerhin einen Bezug zum Menschlichen, zum Humanen behält. Dieses Hereinnehmen der Welt in das Reich des Humanen gelingt dem Menschen aber um so mehr, je feiner seine eigene innere Ordnung mit der großen Ordnung der Welt, dem „ordo universi“ der mittelalterlichen Philosophie, harmoniert.

„Weil die Menschen nur ein Einziges wollen und preisen, weil sie, um sich zu sättigen, sich in das Einseitige stürzen, machen sie sich unglückli.h. Wenn wir nur in uns selber in Ordnung wären, dann würden wir viel mehr Freude an den Dingen dieser Erde haben. Aber wenn ein Ubermaß an Wünschen und Begehrungen in uns ist, so hören wir nui diese immer an und vermögen nicht die Unschuld der Dinge außer uns zu fassen“, sagt Stifter. Glück und Freude erscheinen so bedingt durch die Harmonie der inneren Ordnung des Menschen mit der äußeren Ordnung der Welt.

Jenes „Ubermaß an Wünschen und Begehrungen“ nennt Stifter gewöhnlich „Leidenschaft“ Diese Kraft ist es, die sich vor allen anderen Erscheinungsformen des Geistes entzweiend zwischen das Ich und den „ordo universi“ stellt. Sie macht aus dem Menschen ein Selbst, hebt ihn aus dem Weltganzen heraus und nährt das Unglück, das den also Überheblich-Einsamen immer tiefer ergreift. Gerade Stifters Bewertung der Leidenschaft spricht den am 20. Jahrhundert Erkrankten voll besonderer Bedeutung an. Leidenschaft ist für Stifter der Sammelbegriff für alle Mächte der Entzweiung, des Hasses, des Inhumanen, des Dämonischen und Satanischen, das umfassendste Attribut aller der Harmonie der Welt widerstrebenden Kräfte. Die gleiche Auffassung der Leidenschaft finden wir auch im „Glasperlenspiel“ Hermann Hesses: „Was du Leidenschaft nennst“, heißt es dort, „ist nicht Seelenkraft, sondern Reibung zwischen Seele und Außenwelt. Es ist dort, wo die Leidenschaftlichkeit herrscht, nicht ein Plus an Kraft des Begehrens und Strebens ' vorhanden, sondern sie ist auf ein vereinzeltes und falsches Ziel gerichtet, daher die Spannung und Schwüle in der Atmosphäre. Wer die höchste Kraft des Begehrens ins Zentrum richtet, gegen das wahre Sein hin, gegen das Vollkommene, der scheint ruhiger als der Leidenschaftliche.“

Ähnlich wie Hesse spricht auch Stifter davon, daß „Ruhe“ und „Heiterkeit“ Gegenpole zur Leidenschaft von Natur aus sind. Höchste Ruhe, jene ewige Ruhe, die nach Goethe in Gott dein Herrn ist, ist der sichtbare Ausdruck völliger Harmonie der inneren mit der äußeren Ordnung. /

Diese Ruhe aber ist gleichsam der Grenzrain, an dem die Sprache des Lebens fast verstummt. Was ist denn wilde, „blinde“ Leidenschaft, wie sie so richtig genannt wird, als Triumph des Lebens, als entfesselte Lebensdämonie? Es mag wohl einleuchten, daß jene klare Harmonie nur auf Kosten des Lebens erkauft werden kann. So vermag auch mit Recht Nietzsche die Heiterkeit, die bei Stifter meistens mit dem Begriff der Ruhe gepaart erscheint, als „des Todes heimlichsten süßesten Vorgenuß“ ansprechen. Der Nachsommer ist das jahreszeitliche Symbol für die Heiterkeit als den heimlichsten Boten des Todes, wenn Stifter an seinen Verleger schreibt: „Ein Glück, das immer dauernder wird, wie ein Nachsommer, in welchem die Gewitter und die Hitze aufgehört haben, aber eine milde Wärme und zarte Durchsichtigkeit alle Gegenstände rein und ruhig vor uns hinstellt, abgeklärt und vorbereitet, daß einmal der nahe Winter sie in seine Hülle aufnehme, was für uns den Tod und das Weggehen von dieser Erde bedeuten mag.“ In diesem für das Verständnis des Nachsommergedankens sehr bedeutsamen Brief vom 12. Juni 1856 unternimmt es der Dichter, seinen Verlegerfreund über den Tod seiner Gattin zu trösten. Und diese stete Nähe, diesen immer inniger gestalteten Umgang mit der Toten, mit dem Gedanken an den Tod, d'es alles nennt der Dichter Nachsommer im Sinne des oben zitierten Briefes. Nadisommer ist so Symbol für die menschliche Stufe, auf der die Leidenschaften einer milden Wärme gewichen sind.

„Ruhe in Bewegung“ nennt der Dichter die Schönheit der Kunst mit einer alten Formel, So darf es nicht wundernehmen, wenn Heinrich in einem visionären Augenblick Natalie, seine Geliebte, und die Statue in einer und der gleichen Gestalt erblickt. An dem Gebilde der Kunst beginnt er das „Wesen“-hafte zu erkennen und damit schon mehr als das nur Natürliche zu sehen. Das ganze platte Gerede von Stifter, dem unentwegten Naturschüderer, widerlegt der Dichter selbst durch diese seine Worte: „Es habe mir nur“, läßt er seinen Helden Heinrich sagen, „da ich lange Zeit Gegenstände der Natur gezeichnet hatte, eingeleuchtet, daß das menschliche Antlitz der würdigste Gegenstand für Zeichnungen sei, und da habe ich die Versuche begonnen, es in solchen auszudrücken. Ich habe anfangs dabei unwissend immer die Richtungen von Naturzeichnungen verfolgt, bis sich mir etwas Höheres zeigte, dessen Darstellung, darüber hinausgeht, und dessen Vergegenwärtigung ich nun anstrebe “ Und an anderer Stelle: „Von dem Ganzen möchte man sagen, es ist das Schönste; die Teile sind bloß natürlich.“ „Bloß natürlich“! so spricht kein Künstler, der seine Aufgabe im Schildern von Naturerscheinungen erblickt. Narur ist in Stifters Weltanschauung nicht der letzte und höchste Wert. Ihr kommt die Aufgabe zu, den Menschen auf die Sprache der Dinge und dadurch auf die immer deutlichere allgemeine Ordnung des „Ganzen“, des „ordo universi“, hinzulenken. Je mehr der Mensch die stumme Sprache der Natur vernimmt, um so mehr verstummt die Sprache der Leidenschaft seiner Subjektivität Höchster Oberwert in der Rangordnung der Werte ist die völlige Harmonie mit dem Geiste des „Ganzen“, eben der „ordo“-Gedanke.

So verk'ärt sich dem Dichter der Abstieg von der Lebenshöhe zu einem milden und zarten Erglänzen der höheren und höchsten Ordnung, in der sich die Welt in ihrer ewigen Ruhe zu erkennen gibt.

Hermann Krings hat in seinem Buche „Ordo. Phlosophisch-historische Grundlegung einer abendländischen Idee“ ausgeführt, wie sehr der ganze Zeitraum zwischen Augustinus und Bonaventura mit seinen Flöhepunkten Albertus Magnus und Thomms von Aquin im Banne des ordo-Gedankens steht. Ordo ist nach Krings der

Gedanke, „daß kein Seiendes vereinzelt, isoliert ist in einem individualistisch-zweckhaften Sinne, sondern daß alles Seiende zwar unterschieden, aber nicht geschieden ist“, daß es ein „Ganzes geordneter Teile“ ist. Eben dieser Grundgedanke, der auf ein Ganzes hingeordneten Teile beherrscht Stifters Kunstanschauung, wenn er im Nadisommer sagt, daß sich „allseitige Übereinstimmung aller Teile zum Ganzen“ und künstlerische „Ruhe“ gegenseitig bedingen. Erst „Maß und Ordnung“ schaffen „jenen Abschluß in der Seele, den wir Schönheit nennen“ Es ist ganz offensichtlich, daß Stifter mit diesen Gedanken eine geistige Haltung einnimmt, die ihre philosophische Ausprägung schon bei Augustinus fand. So heißt es im „Gottesstaat“ des Augustinus: „Der Friede aller Dinge ist die Ruhe der Ordnung“. Dieser Friede ist eben die vollkommene „Gerechtigkeit im Sein der Dinge“. Drei Elemente sind nach Augustinus der Ordnung eigen: Maß, Schönheit und Friede. Genau aus den gleichen Elementen baut sich auch die Nachsommerwelt auf. Die Parallele zwisdien zwei so weit auseinanderliegenden Zeiten darf nicht allzusehr überraschen. Das Gemeinsame zwischen dem mittelalterlichen ordo-Gedanken und Stifters Nachsommerwelt liegt offensichtlich in dem Bestreben, das Sein nicht nur als „Seinsbegriff, sondern in der ganzen Fülle seiner grenzenlosen Möglichkeiten in einem Griff zu fassen“ (Krings). Es scheint mir wesentlich, daß Stifter als die Grundfrage seiner Dichtung die nach der Möglichkeit einer „Erfüllung“ des Lebens stellt. Höchste Lebensfüll gesehen unter dem Aspekt des Gedankens eines „ordo universi“, könnte man als die Hotline des „Nachsommers“ bezeichnen.

Für Stifter war die Kunst ein „Zweig der Religion“. Das Schöne war ihm das ..Göttliche im Gewände des Reizes“. So kann es nicht wundernehmen, wenn sich bei ihm Elemente einer Auffassung des Schönen und des ganzen Seins finden, wie sie seit Augustinus und d;r Scholastik ausgebildet wurden. Augustinus nimmt ja in der Geschichte der Sinngebung, der Analvse des Schönen eine hervorragende Stelle ein.

Das Svmbol des Nachsommers bedeutet in diesem Zusammenhang des Ordnungsgedankens die Ruhe und den Frieden aller Dinge. Jene Ruhe der Ordnung jenseits der leidenschaftserfüllten Welt voll Ungerechtigkeit gegenüber den Dingen, für die def hohe Sommer das dem Nachsommer ent sprechende Symbol wäre.

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