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Stille und Nacht

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Guten Abend, meine Damen und Herren! Eine gesegnete Weihnacht wünsche ich Ihnen: Gottes Ja über dieses Fest und die Feier, die Sie dem Feste gegeben haben. Der gestrige Heilige Abend und der ganze Christtag heute waren ausgezeichnet durch die Anwesenheit Gottes und das Gedächtnis an Seine Menschengeburt vor zweitausend Jahren. Daß Gott Mensch wurde; daß Gott Seine erschreckende Majestät derart verhüllte, daß wir Ihn verkennen konnten — das ist ein ungeheures Geheimnis unserer Erde. Die Luft und der Boden und die Tiere und die Sterne, die Nacht und das Licht und das Wasser und die Bäume und „ein Mensch zu sein“ sind seither anders: das Unsrige ist nicht mehr so dicht und verschlossen und geheuer, wie es vorher war. Denn Gott lebte in alldem und mit allem und allen. Er mischte der Erde und dem Menschen Seinen Duft der Ewigkeit bei, der nun nie mehr verlorengehen kann. Wohl können wir Menschen hart und spürlos werden. Wir können Gottes Erdenleben vergessen und können es übersehen, überspielen, nicht wahrhaben wollen. Zwar bleibt dann das Gewesene dennoch — es kann nicht ungeschehen gemacht werden. Nur wir, wir schließen uns — ungläubig — aus dieser Gottesgeschichte auf Erden aus. Glauben wir aber, daß Gott einst Mensch wurde, so müssen wir trotzdem die Müdigkeit und den vielfachen, den staubigen Alltag überwinden: um an dieses Geheimnis zu denken, es miteinzubeziehen in unsere Erlebnisse und Erfahrungen. Jedes religiöse Fest erinnert uns an eine der Lebensdaten Gottes auf dieser Welt. In der Festfeier rücken wir diese Vergangenheit in die Gegenwart: die Vergangenheit Gottes und die ständige, allgegenwärtige Anwesenheit Gottes in unsere Gegenwart gerückt — das ist das Fest. Im Fest feiern wir kultisch, das heißt unter besonderen gemeinsamen Formen der Anbetung und Verehrung das jeweilige Festgeheimnis.

Haben Sie gestern abend, haben Sie heute den ganzen Tag etwas davon gespürt? Waren Sie erschreckt, erstaunt darüber, daß Gott einmal Mensch wurde und zu Bethlehem geboren worden war? Haben Sie angebetet und verehrt, was Ihnen und uns Gläubigen allen vergegenwärtigt wurde an diesem Festtage? Hat eine kleine Unruhe wenigstens für einen Augenblick Ihnen ein erschreckendes Entzücken gebracht?

Sie haben es vielleicht versucht, ein Fest zu feiern. Sie haben von außen her Ihr Möglichstes getan, um das Weihnachtsfest würdig zu begehen. Die lange oder kürzere Vorbereitung mit den Geschenken und dem Christbaum, gewiß! Haben Sie auch versucht, in religiöse Stimmung zu kommen? Haben Sie vorgefühlt, wie Ihr Herz auf dieses Fest abgestimmt ist? Ob Sie das Herz fähig fanden, in ein Geheimnis einzutreten? Ob es wach genug war, etwas Unfaßliches, etwas anderes als das Alltägliche, etwas Göttlich- Außerordentliches, Gottes Anwesenheit, zu ahnen? Das Herz hätte es sein müssen, wenn Sie sich selbst versuchen wollten, denn im Herzen sammelt sich der Mensch am menschlichsten und lebendig. Zwischen dem Geist und Trieb die ausgleichende Mitte — dieses, das Herz hätte dabeisein müssen: wach, willig, offen und ein wenig Sehnsucht in ihm, sich zu überbieten ins Uebermütige im Ueberschwang. So hätten Sie gestern abend und heute den ganzen Tag über bereit sein müssen, dann hätten Sie ein Fest gefeiert. Dann hätten Sie all dies mitgebracht, was den Advent und den Werktag überwunden hätte, damit Sie Weihnachten feierten. — Aber Sie haben es ja vielleicht so gefeiert. Sie waren vielleicht wirklich anwesend über alle Gegenwärtigkeit hinaus. Sie waren vielleicht nvtten darin. Dann haben Sie Gottes Ja über dieser stillen, heiligen Nacht der Gottesgeburt gespürt.

Haben Sie dabei gemerkt, wie schwer, es uns fällt, aus dem Gewohnten herauszukommen und uns ins Ungewohnte fallen Zu lassen? Es forderte mindestens ebensoviel Kraft und Sammlung wie die Bereitung des äußeren Festes. Sollte es Ihnen dieses eine Mal geglückt sein, ohne alle Anstrengung für dieses Fest sich vor- bereitet zu finden, so danken Sie Gott. Aber dieses Gelingen ist nicht Garantie dafür, daß es Ihnen jedesmal, bei jedem Festtage gelingen wird. Wir sind es gewohnt, in einem Zeitalter der Schulen und Schulungen, der Examina für alles und jedes, uns vorzubereiten. Wir vergessen es aber meistens oder halten es für unnötig, uns auf ein Fest innerlich vorzubereiten — dann sind wir erstaunt über unsere Fühllosigkeit, sind enttäuscht datüber, daß das" Fest uns nichts gab und wir es vielleicht langweilig fanden. Alles Außerordentliche in unserer Menschenwelt braucht seine Vorbereitung — das wußte Gott und hat jedem größeren Ereignis auf Erden, da Er selbst eingreifen wollte in unsere Geschichte, Seine Vorläufer und Propheten vorausgeschickt. So sollten wir uns innerlich immer bereit machen auf ein Fest. — Gewiß nicht mit gefühlvoller Kinderromantik oder ödender Sentimentalität. Aber geistig sollten wir uns einen Ruck in eine neue Richtung geben: aufmerken auf die Weise, in der Gottes Anwesenheit jeweils von uns gefeiert werden soll. Nicht die Gefühlsstimmung ist dabei wichtig, sondern der Glaube. Die Gefühle können wir nicht kommandieren und die Stimmungen entziehen sich allzu rasch unseren Befehlen. Aber der Glaube, durch den wir uns in die Wirklichkeit Gottes versetzen, ohne unsere Wirklichkeit der Erde ganz zu verlassen. Im Herzen müssen diese beiden Wirklichkeiten auferstehen. In der Mitte zwischen oben und unten, zwischen innen und außen, zwischen Du und Ich, zwischen Gott und Mensch, zwischen Erde und Himmel.

Der Glaube. Ja — aber das Vielfältige unserer Erde und unserer Gegenwart, die zerstoßenen Atome und die analysierten Seelen; die vielfachen Angebote ohne Nachfrage, die uns nicht reicher machen, sondern verwirrter; die viele, vielfältige Welt in uns und um uns — sie verdeckt die Einfalt des gläubigen Herzens und damit die Freude am Fest. Wir kommen einfach nicht durch durch das Viele, das uns anhaftet und sich an uns hängt. Wir überschauen es nicht, es überfällt uns und wir verfallen selbst. Es ist nicht damit getan, daß wir das Außen besorgen und meinen, alles damit geleistet zu haben, was man von uns verlangen kann. Die Geschenke und das Festmahl — gewiß! Aber wenn diese nur noch mehr Dinge und mit den Dingen Bewegungen und mit den Bewegungen Unruhe und mit der Unruhe Alltäglichkeit bringen? Dann wird kein Fest daraus erwachsen. Vor allem wird das Weihnachtsfest daraus nicht entstehen können und der Gesang wird falsch sein: „Stille Nacht, Heilige Nacht.“

Ein gewöhnlicher Sonntag ist wie eine Probe, wie eine Einübung auf die Festtage: an den Sonntagen sollten wir die Ruhe und das Geistige lernen. Da wäre der Schlaf, dieses natürlichste Mittel, zur Ruhe zu kommen. Am Sonntag, wenn das Schlafen ein Ueberfluß und nicht bloß das Auf- und Nachholen der Kräfte ist, am Sonntag sollten wir schlafen lernen: loslassen die Stunden, die Arbeiten, die hinter uns und die vor uns liegen; sich befreien vom Wachsein und von der ganzen Erde;' sich in die Pause gleiten lassen, in der keiner weiß, ob er sie überleben werde; bereit sein, wegzugehen, ohne je wiederzukommen; entschlossen sein, alles aus der Hand zu geben, die ganze Erde, um zu sterben. S o schlafen zu können und es probiert zu haben, wie der Schauspieler seine Rolle auf dem Theater probiert, bis sie reif ist zur Aufführung — so schlafen zu können, heißt: Ruhe zu lieben; heißt: sich auf ein Fest vorzubereiten.

Und auch das Träumen, das Träumen im Wachzustand, muß gelernt werden. Das absichtslose und begehrnisferne Vor-sich-hin- Starren. Bloß schauen; ohne Zweck und ohne gewollte Richtung schauend horchen auf das, was d a ist. Die geheimen Konsonanzen der Stille ertragen, und in der Stille getragen zu sein von bloßer Freude darüber, daß man atmet, lebt und d a ist — das bereitet uns auf das Außerordentliche vor.

Und dann das W a r t e n. Worauf? Oh, das Warten auf nichts Besonderes und Festumrisse- nes. Das bloße schauende, horchende, aufmerkende Warten.

Und dann das S p i e 1 : diese Seelenstimmung, in der wir uns uns selbst abgelenkt sind und ins

All und Offene und Ganze neugierig hinausleben.

Und dann das Bleiben : Lassen Sie alle und alles fortgehen, bleiben Sie da, bleiben Sie unbewegt, bleiben Sie unbeweglich, bleiben Sie sitzen, unverwirrt von Dingen und Menschen und Gesprächen. Bleiben Sie ohne äußere Hilfsmittel der Unterhaltung: bleiben Sie absichtslos und ruhig. Bleiben Sie, ja,' „nur so“! — All dies an den Sonntagen zwischen den hohen Festen geübt, bereitet Sie vor, ein Fest wirklich zu feiern: Sie werden die Anwesenheit Gottes ertragen, diese schwere, unsichtbare, unhörbare, schweigende, stille Anwesenheit Gottes. Sie werden hinter das Geheimnis des Festes kommen; die jeweilige Erinnerung an Gottes Geschichte mit uris kann sich nur innen zur Erinnerung formen: in der Stille. Das Viele der lauten Stunden, der kraftraubenden, hetzenden Werke unserer Tage muß zur Ruhe gebracht werden. In der Ruhe wird die Stille Ihnen eine unentbehrliche Gewohnheit werden, und in der Stille ist Gott anwesend. Nur dort ist das Fest und wird zur Feier Von innen her: geistig und gemeinsam mit allen Stillen dieser Erde.

Auch dieser Tag geht nun zu Ende. War es ein Fest? War es eine Enttäuschung? War es ein Versuch? Ein Wagnis, das noch nicht ganz glückte? Wir werden es lernen in dem Maße, als wir die Stille lernen. Nacht senkt sich über die Erde, diese barmherzige Hülle der Natur, die zum Schweigen und zur Stille einlädt. Machen wir sie nicht zu laut und lärmend. Künsteln wir nicht zuviel an ihr herum mit elektrischem Licht und erzwungener Freude. Machen wir sie nicht zu einem verlängerten Tag - sonst kommt hinter der Nacht die Finsternis auf, die das Licht nicht begreift. Lassen wir auch der Nacht ihre Bedeutung und ihren Sinn: die dunkle, samtene, sanfte Hülle der Natur. Zum Schweigen und zum Beten und zum Sterben will sie uns erziehen. Entziehen wir uns ihr nicht mit eitlem Getue, lügnerisch solches „Vergnügen“ nennend.

„Stille Nacht, Heilige Nacht!" Mit diesem Gesang haben wir das Weihnachtsfest begonnen. Ob es ein Fest wurde, darin Gott die Stille und Gott selbst die Nacht war — darauf müssen Sie sich selbst antworten. Ist es mißlungen, so verzweifeln Sie nicht. War der Tag langweiliger und ungekonnter als die Tage der Arbeit, so nehmen sie diese Erkenntnis als eine Warnung und als eine Aufforderung: des Sonntags sich vorbereiten zu sollen auf die Festtage: mit Geduld die Stille zu leinen und die Nacht zu lieben. Darin wird Gott für Sie anwesend werden, und Er wird sich aus Seiner einstmaligen Geschichte auf unserer Erde her einlassen in Ihre Geschichte Ihres Lebens auf Erden: in der Arbeit und im Alltag, in der Stille, in der Ruhe, im Sonntag und im Fest wird Er bei Ihnen sein.

Einen gesegneten Abend dieses Weihnachtsfestes wünsche ich Ihnen: Gottes liebendes Ja über das Fest der Stille, das Fest der Nacht, das Fest Seiner Geburt und über die Feier, die Sie diesem Feste gegeben haben.

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