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Stimmen aus dem Dunkel

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„Es ging mir gut, und immer war in mir, wie ein warmes lebendiges Tier, dieser Geschmack von Langeweile, von Einsamkeit und manchmal von Überschwang.“ Dies läßt Francoise Sagan eine ihrer Romanheldinnen sagen. Umreißt diese Aussage über einen individuellen Seelenzustand nicht konturen-haft das Lebensgefühl jener Jiingejn Generation schlechthin, die steif' hineingeworfen wähnt in Welt und Zeit, die die Frage nach dem Sinn des Lebens aufwirft, nach Antwort ringt, doch diese nicht zu geben vermag?

Es ist eine Jugend mit ihren eigenen Idealen und Idolen. Sie revoltiert — mehr innerlich als nach außen — gegen das Überlieferte, brandmarkt Formalismus und Heuchelei der Welt, die sie umgibt. Man leidet an der „Leere“, an der Disharmonie des Lebens. Diese jungen Menschen scheitern dann daran, daß sie sich innerlich unglücklicher fühlen, als sie es in Wirklichkeit sind.

Schenken wir jungen Menschen Gehör, die uns durch ihre Aussagen mit den Hintergründigen und der Problematik ihres Lebens konfrontieren:

Ein achtundzwanzigjähriger Angestellter: „Wenn ich Rechenschaft über mein bisheriges Leben ablege? Materiell geht es mir nicht schlecht. Ich habe einen Beruf, der einen eigentlich zufriedenstellen könnte. Ich bin verheiratet. Ich verstehe mich mit meiner Frau. Wir haben zwei Kinder. Meine Nachbarn sagen wohl: Eine glückliche Familie! — Doch bin ich eigentlich das, was man so schlechthin glücklich nennt? Wenn ich ehrlich bin, ich sehe eigentlich kein echtes Ziel vor mir. Man lebt in den Tag hinein, in eine Zukunft, die doch ungewiß und grau ist. Ich komme mir oft vor wie eine Ameise in einem Ameisenhaufen. Was ist schon dieses Leben? Vor zehn Jahren, mit siebzehn, da sah ich in ihm etwas wie ein großes Abenteuer.“

Ein neunzehnjähriger Maturant: „Meine Mutter versteht nicht, warum ich mit hundert Kilometer auf meiner Maschine fahre. Für mich ist es etwas Wunderbares! Das läßt sich nicht schildern. Es ist ein herrlicher Rausch, von dem der Spießbürger nichts weiß. Angst, daß etwas geschehen könnte? Ich trachte immer, niemanden anderen zu gefährden. Ich selbst? Besser ein Tempo, bei dem man kaum zum Krüppel werden kann, sondern bloß tot!“

Ein junger Mann mit Abitur: „Eine Gedenktafel für Anton Bruckner? Für solche Leute habe ich nichts übrig.

Ein guter Fußballspieler hat wesentlich mehr Verdienste! Übrigens: ich möchte einmal auf dem Fußballplatz sterben. Man schießt einen Elfer — ein Herzschlag und man bricht zusammen. Einmal muß man ja sterben, ob jetzt oder später, das ist eigentlich einerlei.“

Ein Zwanzigjähriger: „Wozu man lebt? Wenn man das wüßte! Mein Vater sagt immer: Als er so jung war wie ich jetzt, da hatten sie noch Ideale. An Sonntagen zogen sie hinaus, wanderten, sangen vaterländische Lieder. Reden wurden gehalten: von Ehre, Glaube, Treue, Vaterland. Dann kam der Krieg. Da ist er dann fünf Jahre im Dreck gelegen, und als er endlich heimkam, sperrten sie ihn ein. Sei du klüger, als ich es gewesen bin! sagt er immer zu mir. Wenn ein paar Leute die aus der Vergangenheit nichts gelernt haben, wieder um dich buhlen sollten, so sollst du wissen, wie du daran bist!“

★

Ein fünfzehnjähriges Mädchen: „Wenn Peter Kraus sterben sollte, dann hätte auch für mich das Leben keinen Sinn mehr...“

Aus einer Zeitungsmeldung: „Jimmy, wir kommen!“ schrien zwei Mädchen, die sich kürzlich aus dem 13. Stockwerk eines Hochhauses in die Tiefe stürzten. Die beiden hatten einen gespenstischen Kult mit ihrem Idol James Dean getrieben ...

„Mein Gott ist Elvis Presley!“ war dieser Tage auf dem Portal eines ehrwürdigen Domes zu lesen. Mit Kreide war es in ganz großen Buchstaben aufgeschrieben...

Ein Fünfundzwanzigjähriger: „Glücklich kann nur der sein, der sich selbst belügen kann. Mein Beruf? Ich liebe ihn nicht. Frauen? Die sind nicht mehr als eine Episode. Das Leben hält nicht, was es einem mit sechzehn oder siebzehn Jahren verspricht. Eines Tages merken es die meisten, was das Leben eigentlich für ein Betrug ist. Das einzige, was mich befriedigt: ein schneller Wagen ...“

Ein siebzehnjähriger Elektroinstallateurlehrling: „Man ist wie ein Kuchen, der von allen Seiten angeschnitten wird, aber was in der Mitte von diesem Kuchen drin ist, das weiß man nicht... Ich habe einen Spaziergang gemacht und kam ans Kinderheim, wo wir früher gespielt haben. Da kannten wir noch keine Masken. Ich sah den Baum dort, den wir immer bestiegen hatten, sah den Stein dort, der einen Brunnen verdeckte und den wir weggehoben hatten. Mich überkam eine Melancholie. Ich war ganz allein. Wer waren wir denn damals? loh weiß es nicht...“

„Mein Leben begann mit dem sechzehnten Jahr, als ich zum Denken erwachte. Da fand ich die Welt verdorben und schlecht, das Leben sinnlos, die Zukunft hoffnungsleer. Wer will ihr Opfer sein? — Ich nicht! Ich wähle in Freiheit meinen Tod. Nennt ihr mich Dummkopf, Feigling, was kümmert es mich dann? Mir graut nicht vor dem sicheren Sterben. Hier schließ ich zu: dort wird mir auf getan.“ — Dieses schrieb ein achtzehnjähriger Student, bevor er sich in Linz vor die Räder einer Lokomotive warf.

Es wäre vermessen, feststellen zu wollen, in diesen Aussagen die Jugend unserer Zeit schlechthin zu sehen. Billig wäre es zu sagen: „Träumer und Lebensschwache hat es schon immer gegeben. Überläßt sie den Pathologen! Was kümmern sie uns!“ — Nein! Diese Jugend ist Frucht aus dem Nährboden ihrer Zeit und deren Mahner und Ankläger.

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