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Stimmen um Caux

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Die Menschen der Gegenwart sind harthörig geworden — nicht ganz nur aus eigener Schuld. Bittere Erfahrungen haben die Kranzgefäße der Herzen verengt. Jeder Volksmann, jeder Prediger weiß heute, wie schwer es ist, den Menschen unserer Zeit wirksam anzusprechen. Und doch: auf eine Stimme hören sie. Ist es nicht überraschend, zu sehen, was für gewaltige Bewegungen entstehen, wenn die machtvolle Stimme der Wirklichkeit, einer neuen Wirklichkeit gelebten Christentums die Seelen trifft,'eines gelebten Christseins in Freude, Frieden und brüderlicher Zusammenarbeit?

Seit den zustimmenden Äußerungen, die der „Osservnrore Romano“ schon 1940 schrieb, haben zahlreiche katholische Blätter der Welt sich einer ' positiven Berichterstattung über die Oxford Bewegung geöffnet, die in Caux einen ihrer reprärentativen Kristallisationspunkte hat. Zu den bemerkenswertesten Dokumenten darf ein Leitartikel in der von den Jesuiten herausgegebenen holländischen Wochenschrift „De Linie“ vom 15. August 1947 gerechnet werden.

Es hat zu Zeiten Einwände gegeben und es kann nicht anders sein, daß auch zu der ebenso eigenartigen wie großartigen Einrichtung, an die sich der Name Caux knüpft, gelegentlich kritische Erwägungen sich melden. Handelt es sich hier nicht letzthin doch um eine neue Sekte, welche mit neuen Weltbeglückungsparolen die Menschheit auf neue Abwege führt? Wie steht es mit den religiösen Grundbegriffen dieser Bewegung? Wie weit kann der katholische Christ mittun? „Moral Rearmement“ — die „Moralische Aufrüstung“, der anstatt Oxford-Bewegung heute übliche Ausdruck, ist heute im steten Wachsen und Werden; zahlreiche, oft sehr verschiedenartige Strömungen münden in sie ein und erklären selbstverständlich manches

Detail. Dennoch ergibt sich bereits heut ein starkes Einheitserlebnis. Monsignor Chevrot, bekannt durch seine aufsehenerregenden Kanzelreden in Notre-Dame in Paris, erklärte Ende August nach einem dreiwöchigen Aufenthalt in Caux: „Das, was ich gesehen und gehört habe, hat mich tief bewegt. Stellt euch einmal die Freude eines Menschen vor, der an seinem Lebensabend sieht, wie die Träume seiner Jugend sich verwirklichen. Schon die jungen französischen Christen meiner Generation hatten sich gelobt, die Mauern des Hasses niederzureißen, welche die Menschen trennen. Unser Lied war ,Die Liebe ist stärker als der Haß'. Aber die ,Weißen' haben uns als gefährliche Utopisten zurückgestoßen, wir wurden zermalmt zwischen Kriegen und sozialen Konflikten, die uns in grausamer Weise Lügen straften. Hatten wir uns vielleicht doch getäuscht? Hier in Caux habe ich das Morgenrot jener neuen Welt gesehen, die wir aufbauen wollten. Hier habe ich es erlebt, wie sich Industrieführer und Bergarbeiter, Angehörige von Nationen, die sich gestern noch töteten, Menschen aus allen Erdteilen, allen Rassen und allen Glaubensbekenntnissen unter einem gleichen Ideal verbrüderten. Also bewahrheitet es sich doch: Die Liebe ist stärker als der Haß!“ Chevrot gab drei Gründe an, welche ihm die Überzeugung vermittelten, daß diese Bewegung wirklich imstande sein werde, wirksam an der Rettung der Welt mitzuarbeiten; ihr tiefer Glaube: „Ihr zweifelt nicht! Ihrzweifelt nicht am Menschen, weil ihr nicht an Gott zweifelt. Wer immer an Gott glaubt, wird auch an den Menschen glauben, den Gott so sehr geliebt hat. Ihr glaubt daran, daß jeder in sich die Selbstsucht ersticken und so Gerechtigkeit in die Welt bringen k a n n.“ Dieser Glaube findet seinen Widerschein in der Freude: „die Freude, die Atmosphäre Gottes, bestimmt das Klima von Caux!“ Als zweiten Grund des Zutrauens, das ihm die Bewegung abgewonnen habe, bezeichnet Chevrot die strengen Anforderungen, welche die „Moralische Aufrüstung“ an alle jene stellt, welche die Welt erneuern wollen. Er ruft seinen neugewonnenen Freunden in Caux zu: „Ich möchte euch meinen Dank dafür aussprechen, daß ihr mich drei Wochen lang gezwungen habt, meine Gedanken und Wünsche ständig durch das Sieb der vier Forderungen der unbedingten Ehrlichkeit, Reinheit, Selbstlosigkeit und Liebe gehen zu lassen. Ich habe erkannt, daß ich noch viel lernen muß ...“ Der dritte Grund für ihn sei das Erlebnis einer echten Bruderschaft, wie sie in diesem Kreise verwirklicht werde. „Einer dient dem andern. Caux ist das Abbild einer Welt, wie Gott sie haben will, in der, dank einer grenzenlosen Liebe, selbst die Verschiedenheit der Menschen dazu beiträgt, sie zu einen.“

In sechstägigen Aussprachen hat eine Gruppe französischer Theologen ein Memorandum über „Caux und wir Katholiken“ fertiggestellt, das unter anderem urteilt: 1. Diese Bewegung will keine neue religiöse Heilslehre verkünden, sie ist weder eine Partei noch eine Sekte noch auch eine Religion: sie berührt deshalb auch das katholische Dogma nicht. Caux will aber eine neue Lebensform vermitteln. 2. Was ist unter dem Begriff der „Führung“ (guidance) des Menschen durch Gott, die in der „Moral Rearmement“ vorangestellt wird, zu verstehen? Wir Katholiken glauben an die tätige Gegenwart Gottes in uns. „Wenn die vier Forderungen der Moralischen Aufrüstung (absolute Ehrlichkeit, Reinheit, Selbstlosigkeit und Liebe) gewissenhaft von uns erfüllt werden, dann dürfen wir annehmen, daß unsere Gedanken, unsere Liebe und unser Wille von Gott gelenkt werden: daher dann auch die Spontaneität unserer Erneuerung, die Kraft unserer Überzeugung, die Macht unserer Ausstrahlung, die Freude, welche unsere Gegenwart dem Nächsten vermittelt, der kühne und aufbauende Wagemut dieser Bewegung.“ -Die Moralische Aufrüstung erklärt aber selbst: „Selbstverständlich sind nicht alle Gedanken, welche uns in der stillen Stunde (,quiet time') kommen, Ausdruck des göttlichen Willens.“ (Cecil Rose, „Wenn der Mensch horcht“). Es muß deshalb das, was dem einzelnen als Führung Gottes erscheint, von ihm auch einer Prüfung unterworfen werden. Wie Buchman, der Gründer der Bewegung, selbst erklärt, soll diese fünffach sein: durch die Kirche, durch das Wort Gottes in der Hl. Sdirift, durch die Mannschaft (Team, Equipe), durch das eigene Gewissen, durch die gegebenen Umstände. (Ceci n'est pas pour vous. Delachaux 1937, pp. 82 f.)

Bemerkenswert ist auch, wie ein so feiner Kopf, wie der angesehene Schweizer katholische Publizist Dr. Wide im Luzerner „Vaterland“ vom 22. Juli dieses Jahres urteilt: „Caux ist nichts anderes als weltweit erfaßtes Christentum, ist Betreten eines Landes, das dem größten Teil derMienschen als terra incognita, als unbekanntes Land gilt. Darum kann sich der Katholik nur freuen, daß in Caux bestätigt wird, was er längst weiß. Aber auch hier gilt, daß Wissen allein nichts nützt, und daß die Tat alles i s t.“ Wohl ist es richtig, und man muß immer wieder darauf hinweisen, daß es ohne Christentum, daß es ohne aktives Bekenntnis zu den religiösen Grundwahrheiten des Christentums auch keine Anwendung des Christentums gibt. Aber wir wollen uns doch freuen, daß es in weiten Kreisen außerhalb der Kirche Menschen gibt, die in ihrer ganzen Haltung diesem Christen-tum bewußt oder unbewußt zustreben. Wir wollen sie nicht herüberziehen, aber ihnen die Hand reichen lur gemeinsamen Tat für den moralischen Wiederaufbau der einzelnen Seelen und damit für den moralisdien Wiederaufbau unserer Welt.“

Das ist ein Urteil, dem man sich nach eigener Prüfung gerne anschließt.

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