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Stoffgewitter und Sprachfeuerwerke

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Seit Jahren läßt Gert Jonke auf den neuen Roman warten, den der Verlag einst unter dem Titel „Entflieht auf leichten Kähnen" ankündigte. Da sich Jonke nie um das saisonale Abliefern von Manuskripten gekümmert hat, wollen wir ihm geduldig eine weitere Frist für den großen Roman gewähren. Zumal jetzt mit der Sammlung „Stoffgewitter" eine Art Werkstattbericht vorliegt, eine Auswahl aus den Geistesblitzen und Donnerschlägen des Sprachfeuerwerkers.

Der Band versammelt Novellen, Gedichte, Skizzen, Reden, Grotesken und Essays aus den letzten zehn Jahren, darunter bisher unveröffentlichte Texte, die über Jonkes Poetik als Synthese von Literatur und Musik Auskunft geben. In der glanzvollen Novelle „Geblendeter Äugenblick. Anton Weberns Tod" wird die Ermordung des Komponisten in die Vergangenheit hinein umerzählt, so daß am Ende ein kleines poetisches Wunder geschieht. In „Individuum und Metamorphose" schildert Jonke, wie es zu seiner „Besiedelung der Sprache und dem Wohnen in Erzählungszimmern kam". Auf eindrucksvolle, oft komisch-vertrackte Weise erfahren wir, wie er sich Heimat zwischen Herkunft, Zeit und Utopie vorstellt, wie er sein künstlerisches Weltbild auf den Fundamenten der Borges, O'Brien, Musil, Cortäzar, Hildesheimer, Artmann, Jandl und anderer Sprachweitenerfinder aufbaut, um darüber seine Humorkuppeln, Musiktürme und Kopfwolken zu setzen.

Jonkes Bemühen gilt, in der Auseinandersetzung mit den Sprachauffassungen Nietzsches und Mauthners, der Suche nach dem Unsagbaren hinter dem Schweigen und Verstummen. Dank Jonkes Beredsamkeit wird sich der geforderte Leser nicht in den kom - plizierten Gedankengebäuden verirren. Wer dennoch durchschnauferi muß, hat Gelegenheit dazu etwa in der genial-irrwitzig improvisierten Rede über die Schweiz (nebst Randbemerkungen über Österreich) oder im Doppelporträt mit dem Kollegen Kofier. Vom weit ausholenden Essay bis zur kunstvoll verknappten, vertrackten Miniatur zeigt sich Jonke als Worterfinder und Weltenzauberer, der bei seinen Sprachkonzerten den Part von Komponist, Dirigent und Orchester zugleich spielen kann. Freilich ist er auf ein Publikum mit feinem Hörorgan angewiesen, auf Leser also, die gern auf dem Kopf gehen und solange querdenken, bis die fernen Klanggewitter ertönen - über den letzten Akkord hinaus.

STOFFGEWITTER

Von Gert Jonke

Residenz Verlag, Salzburg 1996 256 Seiten, geb., öS 268,-

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