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„Strafer höhung bewirkt gar nichts”

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Sexueller Mißbrauch traumati-siert die Opfer oft ein Leben lang. Die Behandlung der Täter ist daher nicht zuletzt zum Schutz potentieller Opfer wichtig. Was in diesem Bereich geschieht, hat die FURCHE von Experten erfragt.

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Sexueller Mißbrauch traumati-siert die Opfer oft ein Leben lang. Die Behandlung der Täter ist daher nicht zuletzt zum Schutz potentieller Opfer wichtig. Was in diesem Bereich geschieht, hat die FURCHE von Experten erfragt.

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Hol,GER ElCH, Kinderpsychologe des unabhängigen Kinderschutzzentrums in Wien, das Opfer und Täter betreut „Die Arbeit mit Tätern hilft potentiellen Opfern. Denn Menschen, die dazu neigen, Kinder zu mißbrauchen, lassen es nicht sein. Die Therapie ist aufwendig: zweimal pro Woche und das über Jahre. Aber in der Regel verändert sich etwas. Viele brechen aber ab, oder lassen sich erst gar nicht zuweisen. Die sitzen lieber ein halbes Jahr im Gefängnis. Insofern ist der Appell ,helfen statt strafen' zu blauäugig. Manche sind moralisch so desorientiert, finden etwa, was sie an ihrer eigenen Tochter verbrochen haben, sei ihr gutes Recht: die bleiben am besten verwahrt.

Von unseren Klienten wurden rund 60 Prozent sexuell mißbraucht. 90 Prozent davon in der Familie. Nicht immer ist der Vater der Täter, auch der Onkel oder Cousin, seltener der Babysitter oder ein fremder .Onkel' im Park. Unsere Kindertherapeuten sind derzeit ausgelastet. Um aufzustocken, fehlt das Geld.

Sexueller Mißbrauch ist eine strafrechtlich relevante Perversion, eine Körperberührung gegen den Willen des Kindes. Im Prinzip definiert das Kind selbst, was sein Schamgefühl verletzt, ein Blick ist für mich allerdings noch kein Übergriff. Normal erzogene Kinder müßten auch einen Exhibitionisten ertragen.

Das Strafhöchstmaß wird selten ausgeschöpft, denn es gibt eine Tradition der Rechtsprechung, daß Unbescholtene keine Höchststrafe bekommen. Es gibt die Forderung, etwa von Frau Partik-Pable, die Mindeststrafe zu erhöhen. Ich befürchte den gleichen Effekt wie bei der Nazi-Wiederbetätigung - daß die Richter dann lieber freisprechen.

Wenn man sexuellen Mißbrauch anzeigt, sollte man genügend Beweise haben, sodaß der Schuldspruch garantiert ist. Wenn etwa das Kind nicht redet, oder die Therapeutin sich der Aussage entschlägt, kann der Richter nichts tun. Und für das Kind ist ein Freispruch des Täters oft folgenschwer.”

Andreas Zrmbaty,

Sprecher des Vereins filr Bewährungshilfe, Wien:

„Die Gleichgültigkeit dem sexuellen Mißbrauch gegenüber ist erschreckend. Die Sendung Help-TV etwa hat im Gemeindebau, wo das Mädchen Christiane Beranek umgebracht wurde, einen Versuch gemacht: sie spielten per Lautsprecher ,Prügelsound': keiner ist eingeschritten.

Der Ruf nach Straferhöhung bei sexuellem Mißbrauch bewirkt gar nichts. Der Täter denkt überhaupt nicht, wie lange er sitzen muß. Viele haben derartige Affektstaus, daß sie das Denken einfach ausschalten. Ich bin eher für eine Strafverschärfung: daß die Täter mit den Folgen konfrontiert werden, die Situation des Opfers erkennen oder von ihrem Geld für dessen Therapie aufkommen.,

Die chemische Kastration von Tätern entspricht Hoffnungen der Gesellschaft, aber die Wirkung ist -ohne begleitende Therapie - sehr gering. Sie wird durchgeführt, allerdings nur mit Zustimmung des Täters. Generell ist die Behandlung von Tätern im Strafvollzug katastrophal. Sie werden wie Tiere verwahrt und benehmen sich dann auch so. 80 Prozent der Leute werden rückfällig.”

professor max friedrich, Psychiater an der Klinik für Neu-ropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters: „Dem Täter muß die Möglichkeit einer Therapie gegeben werden. Primär freiwillig, aber meist muß eine Motivationsschiene gelegt werden. Am erfolgreichsten scheint mir die Verhaltensmotivation: daß er die Schuldhaftigkeit erkennen und einbekennen kann. Man muß mit ihm daran arbeiten,

daß er ihn Zukunft den Weg zur Verführung meidet. Es ist auch nicht damit getan, daß man einen Pfarrer, der sexuelle Übergriffe begangen hat, vom Dorf X nach Y verlegt, sondern ihn etwa für die Altersseelsorge einteilt. Die Kontrolle des Täters ist immens wichtig: man muß sich regelmäßig vergewissern, wo und wie er lebt.

Es ist eine Grundsatzfrage, ob sich ein Staat die entsprechende Therapie für Sexualtäter leisten will. Das muß man einmal durchbringen in einem Land, wo Jörg Haider gleich den ,Bimmel' abschneiden will.

Die Prävention von Sexualdelik-ten geht nur über richtige Aufklärung. Es ist verrückt, sechsjährige Mädchen anzuleiten, laut zu schreien, wenn sie etwas nicht wollen. Wichtig ist, daß sie lernen, ja oder nein zu sagen, je nachdem, was sie wollen.”

michael neider, Leitender Staatsanwalt im Justizministerium: „Konkrete Reformen des Strafvollzugs gibt es derzeit nicht, wir arbeiten allerdings an Modellen, um Rückfälle von Straftätern zu vermeiden.

Es wäre etwa sinnvoll, einen Sexualtäter, der sich nicht im Maßnahmen-, sondern im Normalvollzug befindet, frühzeitig zu entlassen, um ihm eine Therapie anzubieten. Denn nur bei einer bedingten Entlassung kann man ihm die Weisung geben, sich einer Therapie zu unterziehen. Und diese Weisung kann auch überwacht werden. Wenn die ganze Strafe verbüßt ist, besteht keine Möglichkeit mehr. Allerdings hängt die Umsetzung vom therapeutischen Netz ab.”

alfred pritz, Wiener Psychoanalytiker, Präsident des Weltkongresses für Psychotherapie:

„Der Täter braucht eine ,Nachbeelterung',

ein therapeutisches Milieu, um seine Impulse schon während der Haft zu bearbeiten. Das ist in Österreich nur im Ansatz vorhanden, im Normalvollzug gar nicht.

Wichtig wäre, Gewalttäter besser zu diagnostizieren, um zu wissen, welcher Behandlungstortur man sie unterzieht.

Psychopathische Täter sind nicht in der Lage, ein Gewissen zu entwickeln. Das muß faktisch die Gesellschaft ,übernehmen' und ihn so menschenwürdig wie möglich verwahren. Von den vielen Gewalttätern sind es einige Hundert, die man wirklich nur mehr einsperren kann. Neurotiker hingegen haben die Tat aus einem Konflikt begangen und können therapiert werden.

Allerdings steckt da ein gewisser Romantizismus dahinter, zu meinen, daß ein Täter bei entsprechender Behandlung garantiert nicht rückfällig wird. Man brauchte auch eine Kri-se-nintervention für die Opfer, für die das Leben oft ein Trauma wird.”

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